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Widerstand gegen EU in Mittelamerika

Die Kritik an dem geplanten neoliberalen Freihandelsabkommen wächst

Von Harald Neuber *

Soziale Organisationen und linke Parteien aus Europa und Zentralamerika wollen den Widerstand gegen ein geplantes neoliberales Handelsabkommen verstärken.

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass der Brüssler Vorstoß zur Öffnung der mittelamerikanischen Märkte zwei Jahre nach Beginn der Verhandlungen scheitert. Gleich zwei Vertreter aus Lateinamerika klären in diesen Tagen deswegen über die möglichen Folgen der geplanten Freihandelsverträge auf. Am Montag (25. Mai) traten William Rodríguez aus Nicaragua und Alfredo Holguin aus Kolumbien gemeinsam in Berlin auf. »Tatsächlich laufen die Verhandlungen zwischen unseren Staaten und den europäischen Regierungen schon seit den 1980er Jahren«, sagte Rodríguez (Sozialnetzwerk »Eine andere Welt ist möglich«). In Lateinamerika habe man lange an den Kontakten festgehalten, »weil wir an einen europäischen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz geglaubt haben«. Diese Illusion existiere nicht mehr: »Inzwischen ist uns klar, dass Brüssel dem gleichen Freihandelsmodell folgt, das auch die USA anstreben«, sagte Rodríguez auf der Berliner Konferenz, die unter anderem von der Bundestagsfraktion der LINKEN organisiert wurde.

Als Mitglied der nationalen Leitung des Mitte-Links-Bündnisses Demokratischer Alternativer Pol rief Alfredo Holguin vor rund 60 Gästen in Berlin zu stärkerem Widerstand gegen die Freihandelspolitik auch in Europa auf. Seit Anfang der 1990er Jahre hätten linke und soziale Bewegungen schließlich eine Serie beachtlicher Erfolge verbuchen können, betonte der kolumbianische Politiker, der vom Münchner Verein Ökumenisches Büro eingeladen wurde. So sei das US-amerikanische Freihandelsabkommen ALCA schon auf dem vierten Amerika-Gipfel in Argentinien im November 2005 gescheitert. Doch mahnte Holguín auch zur Vorsicht: »Die Freihandelsinitiative der USA liegt auf dem Sterbebett, tot ist sie noch nicht.«

Die Bundestagsabgeordnete der Linken Heike Hänsel schlug als Moderatorin des Abends deswegen ein international besetzten Tribunal gegen die Folgen der EU-Handels- und Außenpolitik vor. So könne in Europa über das noch nicht genügend beachtete Thema aufgeklärt werden. Denn auch der europäische Vorstoß für ein neoliberales Handelsabkommen mit Mittelamerika ist derzeit hart umkämpft. In einem halben Dutzend Treffen seit Mitte 2007 konnte keine Einigung zwischen Brüssel und den mittelamerikanischen Staaten erzielt werden. Zwar wurden bei Fragen des politischen Dialogs zuletzt Fortschritte gemacht. Doch nach Informationen aus diplomatischen Kreisen bezeichnete der Regionalverantwortliche der EU-Generaldirektion für Handel, Nicola Ardito, den Fortgang der Handelsgespräche bei einer internen Beratung noch vor wenigen Wochen als »nicht sehr ermutigend«.

Soziale Organisationen und linke Parteien aus Mittelamerika hätten immer wieder auf die Probleme hingewiesen, erklärte Rodríguez im Gespräch mit ND: »Während unsere Länder fast nur einfache Agrarprodukte wie Bananen oder Ananas exportieren, führt die EU hochmoderne Waren wie Automobile oder Medikamente aus.« Wäre der Warenverkehr ohne jegliche Regulierung liberalisiert, würde das den historischen Rückstand der südlichen Ökonomien zementieren. Zu Regulierung und Ausgleich sei die EU aber nicht zu bewegen: »Sie wollen uns ihre Regeln diktieren.«

Auch deshalb wächst die Gegenwehr in Mittelamerika. Am Rande eines Treffens des Zentralamerikanischen Integrationssystems (SICA) forderten soziale Gruppen vergangene Woche erneut den Ausstieg aus den Verhandlungen mit Brüssel. Die Freihandelsgegner können auf Zeit spielen. Derzeit lehnen vor allem Nicaragua und Honduras die EU-Bedingungen ab. Am 1. Juni werden sie Verstärkung bekommen. Dann übernimmt der gewählte Präsident Mauricio Funes in El Salvador die Amtsgeschäfte. Der Kandidat der Linken löst den neoliberalen Unternehmer Antonio Saca ab – bislang einer der vehementesten Befürworter des Freihandelsabkommens mit der EU.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Mai 2009


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