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Lateinamerika: Ein Kontinent rüstet auf

Von Benjamin Beutler *

Während die Weltgemeinschaft in New York noch bis Ende Juli um die Verabschiedung eines neuen internationalen Vertrages über Waffenhandel ringt hat Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff abseits großer Öffentlichkeit eine Förderinitiative für die heimische Rüstungsindustrie ins Rollen gebracht. Über 70 Milliarden US-Dollar sollen bis 2015 in den Bau von Jagdflugzeugen und Atom-U-Boote fließen, berichtete jüngst die argentinische Tageszeitung »Clarín« unter Bezugnahme auf brasilianische Regierungskreise. Die Steuer-Milliarden der aufstrebenden Regionalmacht sollen in Form von Subventionen, Steuererleichterungen, Niedrig-Kredite sowie über die Bildung von »strategischen nationalen Rüstungskonsortien« dazu verwendet werden, dass Brasilien vom Einkaufsland zum Netto-Exporteur von Waffen aufsteigt, so das Blatt aus dem Nachbarland.

Wirtschaftsförderung am Zuckerhut

Hinter dem Programm steckt knallharte Wirtschaftsförderung. Ein im März verabschiedetet Gesetz Nr. 12.598 bevorzugt bei Ausschreibungen für Rüstungsaufträge explizit Unternehmen aus Brasilien. Auch ist, um in den Genuss der Milliarden-Vergünstigungen zu kommen, eine Aktienmehrheit brasilianischer Unternehmer Förderbedingung. Das heimische Business steht dafür längst in den Startlöchern. So hat sich Brasiliens Big Player Odebrecht, ein Mischkonzern im Bereich Chemie, Energie und Bauwirtschaft unter der Führung der deutschstämmigen Odebrecht-Familie, die Beteiligung am Bau von Brasiliens künftiger Atom-U-Bootflotte gesichert. 4,5 Milliarden US-Dollar kostet das erste Exemplar. Mit der Staatsfirma »Nuclebrás Equipamentos Pesados SA« (NUCLEP) für Atomkraftanlagen hat Odebrecht darum eine Beteiligung gegründet. Wie die Tageszeitung »O Globo« berichtet weckt dieses Geschäftsmodell auch bei anderen Großfirmen des Landes zunehmendes Interesse.

Europas Waffenschmiede stehen Schlange

Denn Partner aus Europa, gut ausgestattet mit Kapital und Know-How für das »Geschäft mit dem Tod« stehen Schlange. Vom großen Kuchen wollen sie nichts verpassen. Und so hat sich Odebrecht-Konkurrent und Bau- und Energiekonzern »Andrade Gutiérrez« mit der französischen Waffenschmiede »Thales« zusammengetan. Das Planungs- und Ingenieursbüro »Engevix« ist derweil ein strategisches Bündnis mit dem deutschen Rüstungsunternehmen »Thyssen Krupp« aus Essen eingegangen. Bauriesen wie »OAS« und »Queiroz Galvao«, Flugzeugbauer »Embraer« und andere stehen mit Rüstungsfirmen aus Italien und Großbritannien in Verhandlungen. In einem »O Globo«-Interview beschreibt General Aderico Visconte Pardi Mattioli vom Verteidigungsministerium das strategische Ziel Brasiliens. Um die »technologische Souveränität des Landes« zu erreichen strebe man eine Vereinigung aller großen Unternehmen des Rüstungssektors »wie in Europa« an, so der Militär.

Tendenz steigend: Mehr Geld für Kriegsmaterial

Die Entwicklungen in Brasilien spiegeln die zunehmende Aufrüstung des Kontinents wieder. Im Weltvergleich liegt die Region Südamerika in Sachen öffentlicher Militärausgaben zwar nicht an der Spitze, stellt das »Stockholmer Institut für Friedensforschung (SIPRI) in seinem neuesten Bericht 2012 fest. Rund 66 Milliarden US-Dollar gaben die Regierungen von Kolumbien bis Chile im Jahr 2011 aus. Auch wenn Argentinien (-9 Prozent), Brasilien (-8,2 Prozent) und Venezuela (-7,4 Prozent) im vergangenen Jahr ihre Militärausgaben drosselten gehen angesichts gesunder Staatshaushalte die Rüstungsausgaben langfristig nach oben. Um 66 Prozent stiegen in Südamerika die Ausgaben für Waffenkäufe im Vergleich zu 2002, so SIPRI. Die größten Zuwächse im Jahr 2011 verzeichnen in der Region Paraguay (+ 34 Prozent), Chile (+12 Prozent) und Guatemala (7,1 Prozent). In Mittelamerika und der Karibik, das 2011 rund sieben Milliarden US-Dollar ausgab, ein 36-Prozent-Zuwachs im Vergleich zu 2002, verzeichnete Mexiko (+5,7 Prozent) die größten Mehrausgaben.

* Quelle: Blickpunkt Lateinamerika, hrsg. von der Bischöflichen Aktion Adveniat; www.blickpunkt-lateinamerika.de
Mit freundlicher Genehmigung durch die Redaktion.



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