Morales und Correa machen in Cochabamba Front gegen die USA
ALBA-Staaten attackieren Interamerikanisches Menschenrechtssystem
Von Gerhard Dilger, Cochabamba *
Beim Gipfel der Organisation Amerikanischer
Staaten (OAS) in Cochabamba
wurde das Interamerikanische
Menschenrechtssystem verbal heftig
unter Beschuss genommen und eine
Überarbeitung beschlossen.
Eigentlich hätte es ein Treffen für
die sozialen Menschenrechte werden
sollen: Die 42. Generalversammlung
der Organisation Amerikanischer
Staaten (OAS) im bolivianischen
Cochabamba stand
unter dem Motto »Ernährungssicherheit
«. Stattdessen drehte sich
fast alles um das Interamerikanische
Menschenrechtssystem und
die in Washington ansässige Interamerikanische
Menschenrechtskommission.
Diese Kommission
beanstande Menschenrechtsverletzungen
nur in Ländern,
deren Regierungen nicht die
Politik der USA teilten, sagte Boliviens
Präsident Evo Morales und
forderte eine »Neugründung« der
OAS. Sie müsse die »Achtung der
Menschenrechte nicht nur in Lateinamerika
überwachen, sondern
auch in den USA«. In der Tat hat
der US-Kongress den Beitritt Washingtons
zur Interamerikanischen
Menschenrechtskonvention,
der 1977 unter Präsident Jimmy
Carter beschlossen worden war,
bis heute nicht ratifiziert. Damit
unterliegen die USA ebenso wenig
wie Kanada der Rechtsprechung
des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichts,
das seinen
Sitz in Costa Rica hat.
»Es gibt zwei Wege«, rief Morales
zum Schluss seiner umjubelten
Eröffnungsrede, »entweder die
OAS stirbt im Dienst des Imperiums
oder sie wird wiedergeboren,
um den Völkern Amerikas zu dienen
«.
Schützenhilfe bekam Morales
von Rafael Correa, der als einziger
Staatschef angereist war. Die Delegationen
zu den Generalversammlungen
werden bestenfalls
von den Außenministern geleitet,
die USA und Brasilien schickten
hohe Funktionäre. Der Ecuadorianer
geißelte die »Doppelmoral« der
»hegemonistischen Länder« und
sprach sich dafür aus, die Kommission
in ein Land zu verlegen,
das Mitglied der Konvention ist.
Correa, der im eigenen Land
immer wieder Medien und kritische
Nichtregierungsorganisationen
(NRO) attackiert, blieb sich in
Cochabamba treu: »Internationale
Bürokratien« und NRO würden
»ohne jegliche demokratische Legitimation
« die linken Regierungen
Südamerikas gängeln.
»Wenn es keinen Wandel gibt,
müssen wir die OAS abschaffen«,
sekundierte Venezuelas Staatschef
Hugo Chávez aus Caracas. Konkret
möchten die Regierungen
des linken ALBA-Bündnisses,
dass die Aktivitäten
von Menschenrechtskommission
und -gericht stärker
mit den Regierungen
abgestimmt werden. Auch
der chilenische OAS-Generalsekretär
José Miguel Insulza
macht sich für
»freundschaftliche Lösungen
« stark. So sollen
Schutzmaßnahmen für
Menschenrechtsaktivisten
ebenso eingeschränkt
werden wie die Berichterstattung
über Meinungsfreiheit.
Kritische Länderberichte
sollen abgeschafft
werden.
Diskreter Rückhalt für diese
Bestrebungen kommt aus Mexiko,
Kolumbien, Argentinien, Peru und
Brasilien, das letztes Jahr vom Gerichtshof
wegen der juristischen
Unregelmäßigkeiten beim Staudammprojekt
Belo Monte gerügt
worden war.
Menschenrechtler sind entsetzt:
27 Organisationen aus der
gesamten Region protestierten bei
Insulza gegen die Pläne. »Das Interamerikanische
Menschenrechtssystem
hat Leben gerettet
und hilft dabei, öffentliche Politik
zu orientieren«, meint Juana
Kweitel von der brasilianischen
Gruppe Conectas. Sie lobt Kommissionsmitglieder
und Richter als
engagierte, unabhängige Experten,
deren kritischer Blick bei etlichen
Regierungen freilich eher als
Bedrohung denn als Hilfe wahrgenommen
werde. Nun soll eine außerordentliche
OAS-Versammlung
»spätestens im ersten Trimester
2013« über die Reformpläne befinden.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 7. Juni 2012
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