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Laos vor Einführung neuen Mindestlohns

Kein Fall für offene Auseinandersetzungen

Von Alfred Michaelis, Vientiane *

Was andernorts heftiges Für und Wider auslöst, geschieht im südostasiatischen Laos in aller Ruhe und im Konsens – und ist doch nicht unproblematisch: die Festlegung eines Mindestlohns.

Sie sitzen da in trauter Runde, Vertreter der Gewerkschaften, der Industrie- und Handelskammer und des Ministeriums für Arbeit und Sozialfürsorge, und beraten über eine Erhöhung des Mindestlohns. Was andernorts Gegenstand heftiger Kontroversen ist und Streiks der Beschäftigten auslöst, wird in Laos einvernehmlich geregelt. Buddhistische Kulturtradition und 38 Jahre Herrschaft der Revolutionären Volkspartei lassen wenig Raum für offene Auseinandersetzungen.

Als in der Demokratischen Volksrepublik Laos im Jahr 1991 erstmals ein Mindestlohn gesetzlich festgelegt wurde, war von umgerechnet etwa einem Dollar pro Tag die Rede. Nachfolgende Steigerungen brachten real eher einen Abstieg, was dem rasanten Verfall des laotischen Kip Mitte der 90er Jahre geschuldet war. Doch seit in Laos Bergbau und Energieerzeugung für den Export boomen, steigt der Wert der heimischen Währung und der Mindestlohn wuchs auf derzeit rund drei Dollar pro Tag. Die rohstoffgestützte Wirtschaft zeigt viele Zeichen der von Ökonomen beschriebenen »Holländischen Krankheit«, nämlich ein Ansteigen des Wechselkurses aufgrund der Devisenzuflüsse aus dem Rohstoffexport, verbunden mit Lohnsteigerungen im Rohstoffsektor, hoher Inflation und steigenden Lebenshaltungskosten bei gleichzeitiger Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit aller Sektoren außerhalb des Rohstoffbereichs. Dazu kommt, dass Gehaltssteigerungen für Staatsangestellte in den vergangenen drei Jahren die Inflation und die Lebenshaltungskosten zusätzlich in die Höhe trieben.

Laos treibt in ein Dilemma. Die Gewerkschaften haben ihren Vorschlag auf den Tisch gelegt: 800 000 Kip, das sind umgerechnet 80 Euro, im Monat, knapp 30 Prozent mehr als im Moment. Den Unternehmern bleibt eigentlich nichts, als mit den Zähnen zu knirschen. Denn stimmen sie nicht zu, greift das Ministerium ein und legt den neuen Grenzwert einfach fest – aus Erfahrung dem Wunsch der Gewerkschaft folgend.

Folgt man der Logik der Regierung, dann löst die Lohnerhöhung auch das dringendste Problem der Wirtschaft, nämlich den Arbeitskräftemangel vor allem im Niedriglohnsektor. Vielerorts ziehen es Laoten vor, den Mekong nach Thailand zu überqueren und vom dort dreimal höheren Mindestlohn zu profitieren. Die simple Arithmetik lässt dabei jedoch wesentliche Faktoren wie die Produktivität außer Betracht. Schon jetzt hat die Bekleidungsindustrie, einer der größten Arbeitgeber des Landes, mit höheren Mindestlöhnen als beispielsweise bei den direkten Konkurrenten Kambodscha oder Bangladesch zu kalkulieren – bei niedrigerer Produktivität. Hinzu kommen wegen der Binnenlage von Laos sehr viel höhere Transportkosten. Andere große Jobmaschinen sind nicht in Sicht, dazu ist auch der Ausbildungsstand der Arbeitskräfte nicht hoch genug.

Ein mögliches Abwandern von Unternehmen indes würde die Sorgen der Regierung weiter verstärken, denn statt höherer Steuereinnahmen aus wachsenden Einkommen stünde ein weiteres Schrumpfen der Haushaltseinkünfte zu befürchten. Der Staatshaushalt ist ohnehin heftig unter Druck geraten, was den Finanzminister veranlasst, auf der kommenden Parlamentssitzung einen Anstieg der Neuverschuldung auf 5 Prozent des Bruttosozialprodukts vorzuschlagen. Und ob ein höherer Mindestlohn tatsächlich für ein besseres Auskommen der Empfänger sorgt, ist fraglich. Bisher nutzten die Händler jeden Einkommenszuwachs zu einem raschen »Angleichen« der Preise.

* Aus neues deutschland, Montag, 7. Juli 2014


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