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Sozialismus in den Farben Buddhas

Laos' Bambusvorhang ist offen, doch der Weg aus der Armut steinig

Von Heidi Diehl *

Zuerst entdecken uns die Kinder. Seit Wochen warten die Bewohner des Dorfes am Mekong, vor allem der Lehrer, auf die Besucher, die mit dem Schiff kommen sollen. Damals war die Besatzung zufällig im Dschungel auf das Dorf gestoßen. 276 Menschen vom Volk der Aini, eine ethnische Minderheit in Laos mit eigener Sprache und Kultur, leben hier. Ohne Strom und fließendes Wasser, sie leben wie schon ihre Vorfahren von der Jagd und vom Ackerbau. Die einzige wirkliche Veränderung seit Jahrhunderten kam vor zwei Jahren ins Dorf – der Lehrer La Sung aus der fernen Landeshauptstadt Vientiane. Der erst 22-Jährige erzählte der Schiffsbesatzung, dass er im Rahmen eines Regierungsprogramms zur Bekämpfung des Analphabetentums verpflichtet wurde, hier für drei Jahre zu unterrichten. Nicht nur die Umstellung von einem modernen auf ein ihm unbekanntes primitives Leben sei für ihn ein Problem. Es fehle an allem, was man zum Unterrichten braucht – Stifte, Kreide und Hefte. Zwei große Kartons voll davon haben wir bei unserem Besuch im Gepäck, und nicht nur La Sung strahlt übers ganze Gesicht, als wir die Kisten auspacken.

Nur ein kleines Mädchen lässt sich von dem Trubel nicht beeindrucken. Sie konzentriert sich auf ihr Blatt Papier und schreibt sauber Worte von der Tafel ab. Vielleicht ist sie ja besonders ehrgeizig, vielleicht weiß sie, dass sie zu den ersten ihres Volkes gehört, die lesen und schreiben lernen. Möglicherweise aber auch, dass für sie die Schulzeit bald vorbei sein kann. Denn, wenn der Lehrer wieder geht, wird es vor allem für Mädchen schwer, weiter lernen zu können. Auch wenn es in Laos theoretisch eine Schulpflicht gibt, praktisch ist jeder Dritte der rund sechs Millionen Einwohner Analphabet. In entlegenen Bergregionen, und ganz besonders unter den zahlreichen ethnischen Minderheiten, die nicht einmal laotisch sprechen, sind es nicht selten mehr als 50 Prozent. Dennoch hält die Regierung daran fest, bis 2015 das UNO-Millenniumsziel »Bildung für alle« zu verwirklichen. Die »Zwangsverpflichtung« junger Lehrer in abgelegene Dörfer ist ein Weg dahin.

Jungen haben größere Chancen auf Bildung, viele von ihnen werden von ihren Familien in buddhistische Tempel geschickt. Zwar ist das Leben als Novize hart und entbehrungsreich, und längst nicht alle haben das Ziel, ihr Leben als hoch geachtete Mönche zu verbringen, doch die Ausbildung ist sehr gut. Neben dem Studium der Lehre von Buddha gehören naturwissenschaftliche Fächer und Fremdsprachen zum Unterricht.

Vom Novizen zum Unternehmer

Auch Phetchamphone Khoundala, der sich der Einfachheit halber Herr Oth nennt, war Novize. Er legte das Abitur ab und erhielt, wie 2500 andere Laoten ab 1975 die Chance, in der DDR zu studieren. Doch als er 1993 mit dem Diplom der Leipziger Fachhochschule als Telekommunikationsingenieur nach Laos zurückkehrte, bekam er nicht, wie erhofft, einen Job, sondern musste zusehen, wie er sich durchschlägt. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers hatte sich auch in Laos, das seit dem 2. Dezember 1975, als die bis heute allein regierende Revolutionäre Volkspartei die Demokratische Volksrepublik proklamierte, die Situation grundlegend geändert. Die neue Richtung lautete nun: Festhalten am Sozialismus bei gleichzeitiger Förderung der Marktwirtschaft. Das Land, das Jahrzehnte seinen Bambusvorhang geschlossen gehalten hatte, öffnete sich ausländischen Investoren und Touristen.

Eine Chance, die Herr Oth ergriff. Er gründete 1999 eine Reiseagentur mit Spezialisierung auf deutschsprachige Touristen. Fünf Jahre später ging er mit dem Chef des Berliner Reiseveranstalters »Lernidee«, Hans Engberding, ein Joint Venture ein. Der Deutsche baute in Laos sein Kreuzfahrtschiff »Mekong Sun«, das während der Bauphase 120 Arbeitsplätze sicherte und heute 16 Crewmitglieder und deren Familien ernährt. Gemeinsam lassen Engberding und Oth das Schiff unter dem Dach des Unternehmens »Mekong River Cruises« fahren. Die »Mekong Sun«, mit der wir unterwegs sind auf der »Mutter aller Wasser«, wie die Laoten den Mekong nennen, ist ein gelungenes Beispiel für die neue laotische Wirtschaftspolitik.

Doch es ist ein schwieriger Weg aus der Armut. Bis 1954 war Laos unter französischer Kolonialherrschaft. Dann führten die USA ihren »Secret War«, einen Krieg, der nie offiziell erklärt wurde, und warfen zwischen 1964 und 1973 über drei Millionen Tonnen Bomben auf das Land ab – mehr, als im gesamten Zweiten Weltkrieges fielen, heißt es. Seit der Proklamierung des Landes 1975 als Volksdemokratie herrscht endlich Frieden. Doch die Hauptziele konnten auch im 31-jährigen Versuch, den Sozialismus aufzubauen, bislang nicht erreicht werden. Es fehlt an Straßen, Stromleitungen, Schulen, Krankenhäusern und sogar an genügend Reis für alle.

Laos ist ein Agrarland, besitzt fast keine Industrie. Das dünn besiedelte Land erstreckt sich über eine Fläche, die etwa der Größe der alten Bundesrepublik entspricht. Mehr als 60 Ethnien, die sich in Brauchtum, Glaube und Sprache unterscheiden, leben friedlich miteinander. 90 Prozent der knapp sechs Millionen Laoten sind Buddhisten. Daran konnte auch die Verbreitung des Marxismus-Leninismus in den vergangenen 31 Jahren nichts ändern. Und so sind die Laoten zwar grundsätzlich bereit, den Sozialismus aufzubauen, aber nur unter buddhistischen Vorzeichen. Was bedeutet, nichts zu überstürzen, alles in Ruhe anzugehen und ausschließlich mit dem Ziel, durch gute Taten wiedergeboren zu werden, um irgendwann Einlass ins Nirwana zu finden.

Tourismus und deutsche Entwicklungshilfe

Mit einem Bruttoinlandsprodukt von jährlich 491 US-Dollar pro Einwohner (2005) gehört Laos zu den ärmsten Ländern der Erde. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 53 Jahren, die Kindersterblichkeit bei elf Prozent.

Viele Regierungsprogramme gibt es, um die Armut zu beseitigen. In der Entwicklung eines naturnahen Tourismus sieht die Regierung einen der Schwerpunkte zur Verbesserung der ökonomischen Situation. Der Tourismus soll zur »Speerspitze der ökonomischen Entwicklung« werden. Seit 1999 wirbt das Land mit dem staatlichen Programm »Visit Lao«. Insbesondere seit die alte Königsstadt Luang Prabang 1995 und 2001 die aus dem 5./6. Jahrhundert stammende Tempelanlage Vat Phou, das weltälteste Beispiel der Khmer-Architektur, in die Liste der UNESCO Weltkulturerbestätten aufgenommen wurden, kommen immer mehr Touristen. Wie die »Vientiane Times« am 5. Dezember 2006 schrieb, stieg die Zahl der Touristen von 37 000 im Jahr 1991 auf rund 1,3 Millionen im Jahr 2006. Der Tourismus bringt im Vergleich zu anderen Exportprodukten wie Elektrizität, Bekleidung und Holz die meisten Devisen ein. 2004 waren es 118,9 Millionen US-Dollar.

Ein weiterer Schwerpunkt zur Beseitigung der Armut ist ein umfangreiches Programm zur ländlichen Entwicklung, das auch von Deutschland unterstützt wird. In der Provinz Bokeo im Norden des Landes treffen wir Jan Seven, der seit vier Jahren hier für den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) tätig ist. Der 39-Jährige hat in Berlin Gartenbau studiert und hilft, Bauern neue Einkommensmöglichkeiten zu erschließen. Gerade haben sie gemeinsam mit einem japanischen Unternehmen eine Methode entwickelt, aus Bambus Holzkohle herzustellen, die in Japan in großen Mengen u. a. für Teezeremonien gebraucht wird. Die Produktion und der Export sollen vielen laotischen Familien ein langfristiges Einkommen sichern. Das Projekt des DED, in dem Jan Seven mitarbeitet, läuft seit 1992 und umfasst 80 Dörfer. Es beinhaltet eine Fülle von Maßnahmen, wie den Bau von Schulen, Wasserleitungen oder Straßen.

Hilfe von außen ist gut und wichtig, sagt mir Herr Oth. »Doch letztlich müssen wir die Entwicklung unseres Landes selber in die Hand nehmen. Deswegen bitte ich meine Freunde, die mit mir studierten, und dann ins Ausland gingen, nach Laos zurückzukommen. Es lohnt sich, unser schönes Land aufzubauen. Mit Buddhas Hilfe.«

* Aus: Neues Deutschland, 12. Januar 2007


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