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Laos lebt mit den "Bombies"

nd-Solidaritätskampagne: Kriegsschrott aus dem Indochinakrieg ist häufig lebensgefährlich

Von Marion Gnanko, SODI *

Rund zwei Millionen Tonnen Bomben warfen die USA von 1964 bis 1973 über Laos ab. Von der gefährlichen Streubomben-Submunition blieben rund 30 Prozent als Blindgänger im ganzen Land zurück. Diese Kriegshinterlassenschaften bedrohen noch heute das Leben der Menschen.

Versteckt in der atemberaubend schönen Landschaft von Laos lauern tödliche Andenken an einen lang zurückliegenden Krieg. Blindgänger und explosiver Kriegsschrott sind an jedem erdenklichen Ort zu finden. Auf Reisfeldern, Schulhöfen, auf Hügeln, in Flüssen, entlang Straßen und Wegen und sogar mitten in den Zentren der Provinzstädte.

Häufig findet der Kriegsschrott einen ganz praktischen Nutzen: ob Mörsergranaten zur Beschwerung und Fixierung von Strohdächern, manchmal bunt bemalte Bombenhülsen als Glocken auf dem Tempelgelände oder Überreste von Artilleriegeschossen als Schulglocken. Die Streubomben-Submunition BLU 3 B, auch Ananas genannt, weil sie in ihrer Form und leuchtend gelben Farbe an die süße Frucht erinnert, findet man häufig umgebaut zu Öllämpchen. Aber diese zuweilen harmlos anmutenden Bilder täuschen.

Die Kriegserinnerung bleibt wach

»Ich erinnere mich noch genau daran, wie die Bomben fielen«, erzählt Herr Viengkeo. »Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie aus den Flugzeugen abgeworfen wurden. Meinen Kindern habe ich beigebracht, stets vorsichtig zu sein: ›Wenn ihr etwas findet und nicht wisst, was es ist, lasst es auf jeden Fall liegen und berührt es nicht!‹ Ich hatte keine Ahnung, dass all die Jahre direkt unter meinem Haus eine Bombe lag.«

Vor zwei Jahren wurden Viengkeos Frau, seine Tochter und sein ältester Sohn durch Streumunition schwer verletzt. Beim Reinigen einer Regenwasserrinne, die unter dem in Laos typischerweise auf Stelzen gebauten Haus verlief, war seine Frau mit einer Schaufel auf den Blindgänger gestoßen. Die Explosion schleuderte den jüngsten Sohn sechs Meter durch die Luft. Er war sofort tot.

In Laos kamen infolge des US-amerikanischen Indochina-Kriegs zwischen 1964 und 1973 mehr Streubomben zum Einsatz als in jedem anderen Land der Welt. Ungefähr ein Drittel der geschätzten 270 Millionen Stück Submunition dieser Bomben gelangten nicht zur Explosion und lauern noch heute im ganzen Land verstreut als gefährliche Blindgänger im Boden. Diese »Bombies«, wie die Laoten die Submunition von Streubomben nennen, machen den größten Teil der nicht explodierten Kampfmittelrückstände in Laos aus. In 14 der 17 Provinzen des Landes leben die Menschen noch heute jeden Tag mit der Gefahr von Blindgängern, die von den schweren Bombardierungen im Indochina-Krieg zurückgeblieben sind.

Insbesondere die ländliche Bevölkerung leidet unter den Auswirkungen. Neben der unmittelbaren Gefahr von Unfällen hat die Kontaminierung des Bodens weitreichende sozio-ökonomische Folgen. Weite Flächen sind unzugänglich, die Ausweitung der Landwirtschaft ist nur begrenzt möglich. Immer wieder werden Kühe und Büffel der Bauern, aber auch Wildtiere durch Explosionen getötet. Die Menschen leben in ständiger Unsicherheit und Angst. Aufgrund der explosiven Gefahr bleibt in den betroffenen Regionen fruchtbares Ackerland ungenutzt. Die Möglichkeiten für die betroffenen Dorfgemeinschaften, zu bescheidenem Wohlstand zu gelangen, sind dadurch begrenzt. Häufig aber führen auch die Nahrungsmittelknappheit und das fehlende Einkommen dazu, dass die Menschen mit Streumunition belastete Flächen trotz der damit verbundenen Gefahr bewirtschaften. Die Verseuchung des Bodens mit diesen tödlichen Kriegshinterlassenschaften ist eine nachgewiesene Ursache für die verbreitete Armut in Laos. Die am stärksten betroffenen Gebiete gehören gleichzeitig zu den ärmsten des Landes.

Khamkeut, in der zentrallaotischen Provinz Bolikhamxay unmittelbar an der Grenze zu Vietnam gelegen, ist einer dieser besonders stark betroffenen Distrikte. Der Solidaritätsdienst-international (SODI) ist dort seit Mitte 2009 mit einem Integrierten Programm tätig, das die Räumung explosiver Kampfmittelrückstände mit Maßnahmen zur Entwicklung verbindet. Beides ist notwendig, um die Dörfer bei der Überwindung der Armut zu unterstützen. Die Beseitigung von Streumunition und anderen explosiven Blindgängern ermöglicht, dass die Einwohner von Khamkeut ihr Land bewirtschaften können, ohne dass sie der Gefahr ausgesetzt sind, verletzt zu werden oder ihr Leben zu verlieren. Darüber hinaus eröffnet die Kampfmittelräumung für die Dörfer die Möglichkeit zur sozio-ökonomischen Entwicklung. Die Dorfgemeinschaften erhalten Zugang zu Ackerland, Märkten und auch zu natürlichen Ressourcen, zum Beispiel aus den Wäldern.

Damit diese Möglichkeiten auch wahrgenommen werden können, unterstützt SODI die Dörfer Khouan Chanh und Nadeua mit einem vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Entwicklungsprojekt. In beiden Dörfern gibt es lange Listen von Problemen, die die Gemeinschaften zu bewältigen haben. Am dringendsten sind für die beiden Dörfer eine neue Grundschule und die Versorgung mit sauberem Wasser. Gemeinsam mit der Distriktverwaltung und der Frauenunion von Khamkeut hat SODI im Juni den Bau und die Ausstattung einer Grundschule und die Installation eines Wasserversorgungssystems in Angriff genommen. Die Einwohner von Khouan Chanh und Nadeua wirken dabei mit. Ihre Stimme hatte bei der Entscheidung über die Art der Maßnahmen das größte Gewicht. Nun legen sie bei den Bauarbeiten selbst Hand an.

Ab Januar werden die Maßnahmen noch ergänzt durch ein Mikrokreditprogramm für Tierzucht, den Anbau von Feldfrüchten oder die Eröffnung eines kleinen Geschäftes. Insgesamt 200 Familien aus beiden Dörfern erhalten so Unterstützung beim Aufbau eines gesicherten Einkommens.

Aber auch in die SODI-Aktivitäten zur Kampfmittelräumung sind die Dörfer einbezogen. Die in der Region geworbenen Räumarbeiterinnen und Räumarbeiter erhielten bei Projektbeginn eine spezielle Ausbildung an einem Trainingszentrum in der Hauptstadt Vientiane. Zwei erfahrene internationale Experten begleiten sie seither in der praktischen Arbeit und schulen sie in Theorie und Praxis stetig weiter. Die Teams werden unterstützt durch Hilfskräfte, die aus den Dörfern kommen, in denen gerade Blindgänger geräumt werden. Die ausgebildeten Kräfte suchen mit speziellen Detektoren nach Blindgängern, die Hilfskräfte graben die Funde vorsichtig aus. Selbstverständlich haben auch sie umfassende Instruktionen erhalten, die regelmäßig aufgefrischt werden.

Etwa 90 Prozent des Personals der Räumteams stammt aus Khamkeut. So entsteht regelmäßiges Einkommen in der Region. Dies macht sich bereits bemerkbar, wenn man durch die Dörfer geht. An vielen Ecken sieht man, wie hier ein neues Dach gebaut wurde, dort Wände aus Bambusmatten festen Holzwänden gewichen sind und die eine oder andere Familie nun über einen Minitraktor für die Arbeit auf dem Feld verfügt oder ein Moped als Transportmittel erwerben konnte.

»Seit SODI auf unseren Feldern die ›Bombies‹ geräumt hat, können wir unbesorgt Reis anbauen, ohne Angst vor einer Explosion«, sagt die 31-jährige Frau Som, Mutter von fünf Kindern aus Nadeua. »Jetzt kann ich sicher sein, dass meine Familie und auch ich nicht verletzt oder getötet werden, wenn wir auf dem Reisfeld arbeiten. Früher hatte ich immer Angst, dass meiner Familie etwas passieren könnte.« Ihr jüngerer Bruder arbeitet als Räumarbeiter in dem SODI-Team, das auch das Reisfeld der Familie von Streumunition befreit hat.

Das Trauma kehrt immer wieder zurück

Jedes Mal, wenn die Räumteams eine Sprengung vornehmen, werden Menschen wie Herr Viengkeo durch den Knall an einen schrecklichen Unfall erinnert, bei dem sie vielleicht einen Angehörigen verloren haben. Eine solche geplante und überwachte Sprengung bedeutet jedoch auch, dass die gerade vernichtete Munition niemanden mehr verletzen kann. »Ich hoffe, dass eines Tages unser Land von allen Blindgängern und Kriegsresten befreit ist, so dass ›Bombies‹ für meine Enkel keine Gefahr mehr sein werden«, sagt Herr Viengkeo leise.

* Die Autorin ist SODI-Projektmanagerin für humanitäre Kampfmittelräumung.

Aus: neues deutschland, 15. Dezember 2011



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