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Mehr als ein Streit um Kuwaits Herrscherfamilie

Oppositionelle beklagen Iran-Freundlichkeit des Regierungschefs

Von Karin Leukefeld *

Zum dritten Mal in Folge demonstrierten am vergangenen Freitag zumeist junge Menschen im Zentrum von Kuwait City und forderten den Rücktritt der Regierung. Die Angaben über Teilnehmerzahlen schwanken zwischen 500 und »mehr als 3000«. Aber nicht nur das Ausmaß unterscheidet die Proteste im Emirat von dem in anderen arabischen Staaten.

Kuwaits Ministerpräsident Scheich Nasser al-Mohammed al-Ahmad as-Sabah ist ein Neffe des Emirs Scheich Sabah al-Ahmed as-Sabah. Den Emir selbst stellen die Demonstranten nicht in Frage, doch der Regierungschef sollte ihrer Meinung nach nicht aus der Herrscherfamilie kommen.

Auch im Parlament sieht sich der Ministerpräsident mit Gegenwind konfrontiert. Seine Politik der guten Nachbarschaft gegenüber Iran verstoße gegen die nationalen Interessen Kuwaits. Das meinen drei Abgeordnete der Opposition, die eine parlamentarische Befragung des Regierungschefs und seines Stellvertreters fordern. Auf Antrag Scheich Nassers wurde die Befragung jedoch um zwei Wochen verschoben. Für die Verschiebung stimmten 35 der 63 Stimmberechtigten. Sollte das Parlament dem Ministerpräsidenten nach der Befragung das Misstrauen aussprechen, müsste er zurücktreten.

Scheich Nasser sei es wichtiger, gute Beziehungen zu Iran zu haben, als gute Beziehungen zu den Staaten des Golfkooperationsrates, kritisierten die Abgeordneten Mohammad Hayef, Walid al-Tabtabai und Mubarak al-Waalan. Erstere gelten als sunnitische Islamisten, Al-Waalan als Unabhängiger, alle drei sind radikale Gegner Irans.

Die einseitige Politik des Ministerpräsidenten habe sich vor allem darin gezeigt, dass er nicht umgehend Truppen zur Unterstützung des Herrscherhauses in Bahrain entsandte, als die bahrainische Monarchie durch einen »schiitischen Aufstand« unter Druck geriet. Auch der Empfang des iranischen Außenministers Ali Akbar Salehi vor Kurzem wird Scheich Nasser angekreidet.

Mitte Mai war es während einer Debatte über zwei im US-amerikanischen Sondergefängnis Guantanamo einsitzende kuwaitische Gefangene im Parlament bereits zu einer Schlägerei zwischen schiitischen und sunnitischen Abgeordneten gekommen, nachdem die Schiiten die beiden Männer als »Terroristen« bezeichnet hatten.

Die Herrscherfamilie der Sabahs regiert seit 1756. Damals gehörte Kuwait zur Provinz Irak des Osmanischen Reiches. Später britisches Protektorat, wurde Kuwait 1961 offiziell unabhängig. Als konstitutionelle Erbmonarchie hat das Emirat erst seit Mitte der 90er Jahre ein Parlament.

Wie andere arabische und westliche Staaten finanzierte Kuwait Irak im Krieg gegen Iran (1980-1988). Als Bagdad seine Schulden nicht bezahlen konnte, bediente Kuwait sich aus dessen grenznahen Ölquellen. Die dadurch ausgelöste völkerrechtswidrige Invasion irakischer Truppen in Kuwait wurde 1991 von einem Militärbündnis unter Führung der USA beendet, bis heute kassiert Kuwait Wiedergutmachungszahlungen von Irak.

Westliche Nachrichtenagenturen und Medien interpretieren den Protest in Kuwaits Parlament und auf der Straße als Forderung nach »Freiheit, Demokratie und einer Regierung des Volkes«. Reformen kann Kuwait sicherlich gebrauchen, doch weist die Kritik am Regierungschef, er betreibe Iran gegenüber eine zu freundliche Politik, in eine andere Richtung. Seit dem Irak-Krieg 2003 und einer verschärften Konfrontationsstellung des Westens gegenüber Iran haben religiöse und ethnische Spannungen in der Region zugenommen. Sunniten und Schiiten werden von den beiden regionalen Schwergewichten – Iran und Saudi-Arabien – für ihre politischen Interessen benutzt. Saudi-Arabien wird dabei von den USA verbal und mit Waffenlieferungen angefeuert.

Der dogmatische Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten hat zwar eine historische Wurzel, wurde allerdings über Jahrhunderte überwiegend im geistigen Wettstreit zwischen religiösen Führern ausgetragen, kaum mit Waffen. 2004 wurde jedoch erstmals ein von verschiedenen Geheimdiensten vorgelegtes Konzept ruchbar, nach dem die USA den Nahen und Mittleren Osten neu ordnen wollen. Bekannt geworden ist das Konzept als »Projekt eines Neuen/Größeren Mittleren Ostens«. Im Namen von Demokratie und Menschenrechten könnten demnach Syrien und Iran, die Türkei und Saudi-Arabien durch Landabgaben geschwächt, Irak dreigeteilt, Kurden, Schiiten und Sunniten mit eigenen Staaten gestärkt werden. Kriege sind einkalkuliert und könnten gegebenenfalls von neuen US-amerikanischen Militärbasen geführt werden, die gleichzeitig dazu dienen, die reichen natürlichen Ressourcen der Region zu kontrollieren.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Juni 2011


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