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Neue Beweglichkeit in Kuba

Hans Modrow zu Havannas Reformen, den Beziehungen zur EU und notwendigen Debatten linker Kräfte *


Hans Modrow, ehemaliger Ministerpräsident der DDR, stellte auf der Buchmesse in Havanna kürzlich die von Cuba Sí geförderte spanische Fassung seines Buches »Perestroika. Wie ich sie sehe« vor. Für das Interesse an Modrows Einschätzung spricht die Anwesenheit des kubanischen Kulturministers Rafael Bernal bei der Präsentation. Für »nd« befragte Harald Neuber den heutigen Vorsitzenden des Ältestenrats der Partei DIE LINKE.


Kuba befindet sich in einem umfassenden Reformprozess, der als »Aktualisierung des wirtschaftlichen und sozialen Modells« bezeichnet wird. Erleben wir in Kuba gerade etwas, was in der DDR Ende der 80er Jahre nicht gelang?

Zunächst gibt es einen beachtlichen Unterschied, den man nicht ignorieren sollte. Während in der DDR die Führung keine Bereitschaft zeigte, wirklich einen Prozess der Umgestaltung in Angriff zu nehmen, orientiert man in Kuba auf die Bewahrung und Entwicklung des Sozialismus. Da spricht man von Reformen, von Leitlinien und Veränderungen. Das hat es in der DDR nicht gegeben.

Auch im Verhältnis zwischen Regierung und Bevölkerung?

Seit mehr als drei Jahren ist vor allem Staats- und Regierungschef Raúl Castro noch stärker bemüht zuzuhören und zu erfahren, was in der Bevölkerung diskutiert wird. Die Regierung versucht ständig zu erfahren, ob die Reformen Wirkung zeigen. Es ist hier eine Beweglichkeit in der Politik und Wirtschaft vorhanden, die es in der DDR seit Mitte der 80er Jahre nicht mehr gab.

Sie waren wiederholt in Kuba. Welche Veränderungen sind Ihnen beim jüngsten Besuch aufgefallen?

Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen zeigen Wirkung. Dabei sehe ich vor allem die Versorgung der Bevölkerung und die Landwirtschaft. In diesem Bereich wurde die Entwicklung eines Modells aus staatlichem, genossenschaftlichem und privatem Eigentum eingeleitet. Es kann doch nicht sein, dass eine unter günstigen klimatischen Bedingungen arbeitende Landwirtschaft das Volk nicht ernähren kann – das wird hier klar ausgesprochen. Derzeit sind jährlich fast zwei Milliarden Dollar nötig, um die Ernährung durch Importe zu gewährleisten.

Gibt es Anzeichen der Besserung?

In einem Projekt zur Milchproduktion, an dem die Solidaritätsorganisation Cuba Sí beteiligt ist, wurden die Anforderungen offen diskutiert. Die kubanischen Partner wiesen darauf hin, dass verstärkte Bemühungen für eine höhere Effektivität in der Landwirtschaft unabdingbar wären. Der Boden soll für höhere Erträge besser vorbereitet und bearbeitet werden. Bis zu 67 Hektar Bodenfläche werden Familien zur privaten Nutzung übergeben, um die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern. Da ist viel in Bewegung. Unter den neuen privatwirtschaftlich agierenden Bauern sind nun auch wieder junge Leute. Das habe ich vor einigen Jahren noch nicht erlebt.

Mehr Produktion also durch private Nutzung der Agrarflächen?

Natürlich schafft das auch neue Fragestellungen. Wenn der Staat 67 Hektar Ackerland langfristig an Familien verpachtet, dann kann keine Familie eine Fläche dieses Ausmaßes alleine bewirtschaften. Es wird in Kuba daher auch eine Landarbeiterschaft entstehen, die Gewerkschaften braucht, damit ihre Interessen vertreten werden. Auch das ist hier ein Thema.

Welche Auswirkung hat die Integration Kubas in die lateinamerikanischen Märkte?

Bisher habe ich den Eindruck, dass diese Integration weniger die Landwirtschaft erreicht, sondern mehr die Industrie. Die Landwirtschaft profitiert davon insofern, als Venezuela Erdöl liefert und das die Basis der Mechanisierung ist.

Sie haben im Rahmen der Buchmesse auch an einer Debatte über die Entwicklung des Sozialismus teilgenommen. Dabei nahm der Träger des kubanischen Nationalpreises für Soziologie Aurelio Alonso stark auf politische Reformen Bezug. Kommt diese Debatte zu kurz?

Nein. Bei einer Begegnung mit Wissenschaftlern des Philosophischen Instituts der Universität Havanna hat dieses Thema eine wichtige Rolle gespielt. Mein Genosse Dietmar Schulz von der Internationalen Abteilung der LINKEN und ich bekamen sogar den Vorwurf zu hören, dass wir uns zu sehr auf die Ökonomie orientieren. Unsere Gesprächspartner meinten, es sei notwendig, die demokratischen Strukturen und die Rechte der Menschen stärker in den Fokus zu rücken. Die politischen Entscheidungsträger in Kuba erwarten von den Wissenschaftlern heute solche Beiträge.

Mehrfach schon waren Sie Gast im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Kubas (PCC). Wie gestalten sich die Beziehungen zwischen der LINKEN und der PCC?

Mit dem jüngsten Besuch des Parteivorsitzenden Bernd Riexinger wurde durchaus ein neuer Schritt getan. Er war wie auch ich mit dem Vorsitzenden der Internationalen Abteilung des Zentralkomitees der PCC, José Ramón Balaguer, zusammengekommen. Meine Treffen hier haben gezeigt, dass die PCC an einem engagierten Dialog mit der deutschen Linken interessiert ist, in dem man sich gegenseitig zuhört und keiner den anderen belehrt.

Eine Annäherung gibt es auch zwischen Kuba und der EU. Hofft Kuba auf substanzielle Veränderungen?

Wir haben darüber mit dem Ersten Stellvertretenden Außenminister, Marcelino Medina, gesprochen, einem ehemaligen Botschafter Kubas in Deutschland. Dabei ging es auch um die Beziehungen Kubas zur EU und zu den USA. In den USA geht die Initiative zu einer Annäherung zwischen beiden Staaten stark aus dem Parlament hervor. Zuletzt haben sich 66 Senatoren nach Besuchen in Kuba an Präsident Barack Obama gewandt und ihn aufgefordert, die repressive Kuba-Politik auf den Prüfstand zu stellen. Dies findet in der US-Öffentlichkeit ein Echo.

Der Dialog mit der EU wird derweil von einer Minderheit antikubanischer Staaten ausgebremst, darunter bisher auch Deutschland ...

Auf kubanischer Seite wird sehr aufmerksam verfolgt, wie sich die EU verhält. Hier wurde eine Position sehr deutlich: Wenn es zu Gesprächen mit der EU kommen sollte, wird Kuba diesen Dialog als souveräner Staat führen. Es kann keinen Dialog geben, bei dem die einen über den anderen stehen. Kuba stellt sich auf die kommende Debatte ein, etwa über Reisefreiheit. Die Regierung in Havanna hat die Migrationspolitik liberalisiert. Nun können die Menschen leichter ausreisen, werden von anderen Staaten – vor allem der EU – aber nicht ins Land gelassen.

Droht die EU den Anschluss zu verlieren?

Kuba geht davon aus, dass die Blockade der USA früher oder später aufgehoben wird. In diesem Zusammenhang steht das brasilianisch-kubanische Projekt, einen gewaltigen Industriehafen in Mariel zu schaffen. Das geschieht auch mit Blick auf den neuen Kanal in Nicaragua. Hier werden zukunftsorientierte Strategien entwickelt. Auch die EU sollte diese Perspektive im Hinterkopf behalten. Das könnte zum gegenseitigen Nutzen sein.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 27. Februar 2014


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