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"Kuba bleibt seinen Idealen treu"

Neue Verhandlungsrunde zwischen Washington und Havanna: Solange USA Blockade aufrechterhalten, kann von Normalisierung der Beziehungen keine Rede sein. Ein Gespräch mit Oscar Martínez in Havanna *


Oscar Martínez ist stellvertretender Leiter der Abteilung für internationale Beziehungen beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Kubas.

Am kommenden Freitag findet in Washington die zweite Verhandlungsrunde zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Kuba und den USA statt …

Moment mal. Von einer Normalisierung sind wir noch weit entfernt. Solange die USA ihre Blockade gegen unser Land aufrechterhalten, wird es keine normalen Beziehungen geben. Bei den Gesprächen in Washington geht es um die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen.

Was nicht das gleiche wie Normalisierung ist?

Das ist allenfalls ein erster Schritt dahin. Aber selbst dafür müssen noch zahlreiche Hindernisse beseitigt werden.

Beide Länder sind doch an der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen interessiert. Was steht dem im Weg?

Es gibt ja bereits seit längerer Zeit ständige Vertretungen in den jeweiligen Hauptstädten. Aber unsere Mission in Washington kann wegen der Blockade keine Banktransaktionen ausführen. Das ist eine Hürde, die die USA beseitigen müssen. Zudem muss die US-Regierung Kuba von der Liste der Länder, die den Terrorismus fördern, streichen. In der letzten Woche waren zahlreiche hochrangige Politiker aus den USA zu Besuch in Havanna, und sie alle haben bestätigt, dass Kuba mit Terrorismus nicht das Geringste zu tun hat.

Sind das die einzigen Differenzen?

Auch über die Bedeutung der Wiener Konvention, die Diplomaten eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Gastlandes verbietet, gibt es unterschiedliche Positionen. Es ist allgemein bekannt, dass die USA ihre Botschaften in vielen Ländern zur Subversion und Spionage nutzen. US-Präsident Obama hat in seiner Rede am 17. Dezember 2014 selbst erklärt, dass seine Regierung gegenüber unserem Land nur die Methoden, nicht aber ihre Ziele verändert hat. Alle Funktionäre der USA wiederholen seitdem ihre Forderung nach einem »Regime-Change« in Kuba. Hier gibt es vor der offiziellen Eröffnung von Botschaften noch Klärungsbedarf.

Und selbst dann wäre es bis zu einer Normalisierung noch ein langer Weg?

Unser Präsident Raúl Castro hat am 28. Januar auf dem CELAC-Gipfel in Costa Rica die Voraussetzungen genannt. Dazu gehören die Beendigung der Blockade, die Rückgabe des mit dem Marinestützpunkt in Guantánamo besetzten Gebietes, die Einstellung der subversiven Radio- und Fernsehübertragungen und eine gerechte Entschädigung unseres Volkes für die erlittenen menschlichen und wirtschaftlichen Schäden.

Die Blockade ist aber das Hauptproblem?

Ja, und das ist bisher nicht gelöst worden. Obama und viele Politiker beider Parteien in den USA sind für die Beendigung der Blockade. Aber es ist offen, ob sie dafür die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Kongress zusammenbekommen. Deshalb sollte die Obama-Administration ihre Möglichkeiten nutzen, um möglichst viele derjenigen Restriktionen aufzuheben, die sie ohne Abstimmung im Kongress beseitigen können. Das würde den Prozess voranbringen.

Verstehen Sie, dass einigen Kuba-Freunden die derzeitige Annäherung nicht geheuer ist?

Einige Medien in den westlichen Ländern berichten über den derzeitigen Prozess zwischen Kuba und den USA so, als ob jetzt eine große Verbrüderung stattfinden würde. Diese Medienberichte zeugen einerseits von Unkenntnis und Unverständnis der Verfasser und sollen andererseits unsere Freunde in aller Welt verunsichern. Dabei hat Kuba immer deutlich gemacht, dass es seinen politischen Idealen treu bleibt und die Ergebnisse und Prinzipien unserer Revolution nicht zur Disposition stehen. Kuba ist und bleibt ein sozialistisches Land.

Auch die Europäische Union verhandelt mit Kuba über eine Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen. Die nächste Gesprächsrunde findet am 4. und 5. März hier in Havanna statt. Was steht da an?

Die EU ist durch die Rede Obamas im Dezember offenbar überrascht worden. Jetzt kommt sie etwas spät. Einige Akteure in der EU haben versucht, den Normalisierungsprozess zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Jetzt preschen die USA vor, und die EU hat sich noch immer nicht von ihrem »Gemeinsamen Standpunkt« verabschiedet, der auf Druck der USA von Vertretern der äußersten Rechten durchgesetzt worden war. Diese Position ist durch die aktuelle Entwicklung aber überholt und völlig sinnlos geworden. Es sollte jetzt ohne Vorbedingungen um die Gestaltung unserer gegenseitigen Beziehungen gehen. Wir werden nicht weiterkommen, wenn wir uns gegenseitig vorhalten, was unserer Ansicht nach auf der jeweils anderen Seite im argen liegt. Wir machen uns große Sorgen um die Bürger- und Menschenrechte in einigen europäischen Ländern. Uns beunruhigen das Vorgehen der Polizei gegen friedliche Demonstranten, der Umgang mit Flüchtlingen und die Diskriminierung von Muslimen. Trotzdem sind wir bereit und daran interessiert, mit der EU auf gleicher Augenhöhe über eine Verbesserung unserer Beziehungen zu verhandeln.

Damit hatten einige EU-Länder bisher aber ihre Schwierigkeiten?

Ja, aber die Mehrheit der EU-Staaten ist für den Dialog mit uns, und wir haben eine große Zahl bilateraler Abkommen vereinbart und unterhalten hervorragende Beziehungen zu vielen europäischen Ländern. Im letzten Jahr waren die Außenminister der Niederlande, Frankreichs, Großbritanniens und Spaniens zu offiziellen Besuchen in Kuba. Für dieses Jahr haben sich die Außenminister mehrerer anderer europäischer Länder bereits angekündigt.

Die Bundesrepublik Deutschland fehlt in Ihrer Aufzählung.

Im Januar war eine Abordnung des Auswärtigen Amtes mit dem für Lateinamerika zuständigen Abteilungsleiter zu einem offiziellen Besuch in Havanna. Wir hoffen, dass sich daraus ein konstruktiver Dialog entwickelt, denn die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Kuba könnten besser sein. Es gibt einen positiven Austausch in der Kultur, im Sport, im Tourismus, zwischen Wissenschaftlern und Hochschulen. Im Vergleich zu anderen EU-Ländern wären aber deutlich mehr Verbindungen zum gegenseitigen Vorteil möglich. Die wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik zu Kuba sind akzeptabel und entwickeln sich, aber das Potential ist größer. Hier könnte die Politik zu besseren Rahmenbedingungen beitragen.

Die Welt erwartet gespannt das erste offizielle Zusammentreffen zwischen den Präsidenten Raúl Castro und Barack Obama auf dem Amerikagipfel am 10. und 11. April in Panama. Die USA fordern, dass dort die kubanische Zivilgesellschaft teilnimmt, und wollen Kuba offenbar als Diktatur vorführen. Was sagen Sie dazu?

Das ist eine Frage der unterschiedlichen Konzepte von der Zivilgesellschaft. Für die US-Regierung gehören die Millionen Werktätigen, die Bauern, die Studenten, die Intellektuellen, die Rentner und die Hausfrauen in Kuba alle nicht zu dem, was sie Zivilgesellschaft nennen. Für sie besteht die Zivilgesellschaft vor allem aus den Gegnern des revolutionären Prozesses in unserem Land. Diese Gruppen gibt es, aber sie repräsentieren nicht unsere Bevölkerung und sind im Land völlig bedeutungslos. Viele dieser Leute werden für das, was sie tun, von US-Diensten, von Stiftungen rechtskonservativer Parteien oder von Exilorganisationen der Anhänger des früheren Diktators Batista bezahlt. Für die US-Regierung und ihre Gefolgsleute ist das die kubanische Zivilgesellschaft. Wir verstehen unter der Zivilgesellschaft in Kuba und in den anderen Ländern der Welt etwas anderes. Für uns besteht die Zivilgesellschaft aus Arbeitern, aus Gewerkschaftern, aus Schülern, aus Studenten, aus Bauern, Schriftstellern, Frauen und deren Organisationen.

Außerdem will Washington in Panama die Menschenrechte zum großen Thema machen.

Die westlichen Staaten argumentieren gegenüber den Ländern der sogenannten dritten Welt gern mit den Menschenrechten. Auch da vertreten sie ein völlig anderes Konzept als wir und die Länder des Südens. Von welchen Menschenrechten sprechen sie, wenn in vielen europäischen Ländern Bürger, die gegen soziale Missstände protestieren, von militärisch ausgerüsteten Polizisten verprügelt werden, wenn in Spanien das Recht auf Protest eingeschränkt oder ganz untersagt wird, wenn Menschen aus ihren Wohnungen geworfen werden oder auf der Straße landen, weil eine Fabrik geschlossen wird, um den Profit der Aktionäre zu steigern? Was ist das wichtigste, das existentiellste Menschenrecht? Wir meinen, das ist das Leben. Warum kümmern sich die Regierungen, die sich so große Sorgen um die Menschenrechte machen, nicht darum, die Gesundheitsversorgung, die Bildung, bezahlbare Wohnungen, die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und soziale Gerechtigkeit für die Bevölkerung ihrer eigenen Länder herzustellen oder zu sichern? Wir möchten gern über die Menschenrechte der Flüchtlinge und der Minderheiten in Europa reden, über die Menschenrechte der schwarzen Bevölkerung in den USA, über die Menschenrechte der Häftlinge, die ohne Anklage und Gerichtsverhandlung in der US-Basis von Guantánamo festgehalten, entwürdigt und gefoltert werden. Wir sind bereit, uns über all diese Themen in Panama und jedem anderen Ort der Welt zu unterhalten. Aber das ist nicht das Konzept der USA und ihrer Gefolgsleute. Sie wollen keine gleichberechtigte Diskussion, sondern allein darüber entscheiden, wer über welche Themen reden darf. Ich sage Ihnen voraus, dass sie mit diesem Konzept scheitern werden.

Interview: Volker Hermsdorf, Havanna

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 25. Februar 2015


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