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Wiedervereinigung auf Kubanisch

2014 plant die Karibikinsel die Rückkehr zu einer einzigen Währung – ein Ausdruck gewonnener Stabilität

Von Rainer Schultz, Havanna *

Außenpolitisch erfolgreich, innenpolitisch abwägend, kulturell spektakulär, wirtschaftlich stabilisierend, aber prekär – so präsentiert sich die Kubanische Revolution rund um ihren 55. Geburtstag.

»Sozialismus ist die einzige Garantie für unsere Unabhängigkeit«, mahnte der 82-jährige Präsident Raúl Castro leicht verkatert die 3500 festlich geladenen Gästen am Rathaus von Santiago de Cuba zum Jahresbeginn. Dort hatte sein Bruder am 1. Januar 1959 den Sieg im Kampf gegen die Diktatur verkündet. In Havanna blieb der Revolutionsplatz diesmal leer und dunkel, nur die Konterfeis Che Gueveras und Camilo Cienfuegos' leuchten vom Innenministerium herab. Anders auf der antiimperialistischen Tribüne am Malecón. Dort ist die Botschaft musikalisch: Meterhohe Boxen sorgen dafür, dass der Reggaeton auch Kilometer entfernt noch zu hören ist. Ein Zeichen der neuen kulturellen Hegemonie? Verschiedene Lesarten sind möglich.

Die Reden des Staatspräsidenten werden inzwischen nur noch auf einem der fünf Fernsehkanäle übertragen. Der Staat zahlt, um auch das anzubieten, was populär ist. »Wir müssen unser Gehör wieder auf den Boden richten, in Dialog mit der Bevölkerung treten«, hatte Raúl in einer anderen Rede fast hegemonietheoretisch formuliert. Öffentliche Räume und Inhalte werden neu verhandelt. Als der Jazzmusiker Roberto Carcassés im Oktober auf seinem live übertragenen Konzert von mehr direkter Demokratie sprach, wurde ihm zunächst untersagt, auf staatlichen Bühnen zu spielen. Dann schritt der renommierte Musiker Silvio Rodríguez ein und verteidigte ihn auf seinem Blog. Das Verbot wurde zurückgenommen.

Im November verkündete die Parteizeitung »Granma« die Schließung der privaten, sehr beliebten 3D-Kinos wegen der dort gezeigten »Banalität« und »niederen Kultur«. Ein Aufschrei des Publikums und vieler Intellektueller wie des Essayisten Victor Fowler folgte. Sie gestanden dem Staat das Recht der Regulierung, nicht aber der inhaltlichen Zensur zu. Kurze Zeit später war in derselben Zeitung zu lesen, die Maßnahme werde überdacht und wahrscheinlich revidiert.

Widersprüche und Probleme werden in Kuba inzwischen offener diskutiert. Die Regierung Raúl Castros versucht, die unterschiedlichen Kulturen, die sich seit den Öffnungen, Veränderungen und Widersprüchen der 1990er Jahre ergeben haben, wieder zusammenzuführen. Und dies nicht nur in der Politik, sondern vor allem auch in der Wirtschaft.

Fidel Castro waren die Wirtschaftsreformen, die er zunächst selber als Notmaßnahmen einleitete, zuwider. Tourismus, Dollarisierung und Privatwirtschaft führten notwendigerweise zu mehr Ungleichheit, Prostitution und Korruption, sagte der »máximo líder« Anfang der 90er Jahre. Damit sollte er Recht behalten. Sie waren als vorübergehende Maßnahmen in einer Notsituation, genannt »Spezialperiode«, gedacht, als Kuba nach dem Zusammenbruch des europäischen Staatssozialismus plötzlich alleine dastand. Um die negativen Einflüsse zu minimieren und die reale Ungleichheit weniger sichtbar werden zu lassen, durften normale Kubaner weder Hotels frequentieren noch Mietautos fahren oder Mobiltelefone besitzen.

Als Fidels Bruder Raúl 2008 zum Präsidenten gewählt wurde und der Druck einer wachsenden Mittelschicht stieg, beendete er Teile dieser Restriktionen und sorgte damit zugleich für sprudelnde Staatseinnahmen. Inzwischen können auch Friseure wie Leo ihren Weihnachtsurlaub wieder in der Touristenhochburg Varadero verbringen. Leo hat bereits seinen zweiten Salon eröffnet – auf den Namen seiner Mutter, weil das Gesetz bisher den Besitz auf eine Immobilie pro Person begrenzt. Einen institutionellen Rahmen auszutarieren, in dem die sozialistische Staatswirtschaft in Symbiose mit einer wachsenden Privatwirtschaft ein nachhaltiges Modell sozialer Gerechtigkeit ermöglicht, ist die Aufgabe, der sich die gegenwärtige Regierung stellt.

Der Verzicht auf Ausreisegenehmigungen war die Neujahrsbotschaft für 2013. Praktisch hatte sie für die Mehrheit der Inselbewohner jedoch nur geringe Bedeutung, da für alle Reiseziele, die von der Insel direkt angeflogen werden, ein Einreisevisum benötigt wird. Symbolisch allerdings war es eine Errungenschaft, nicht mehr den Staat fragen zu müssen, wenn man das Land verlassen wollte. Informatiker Jorge hatte sich deshalb gleich im Januar ein teures Flugticket nach Ecuador gekauft – »nur um auszuprobieren, ob das wirklich stimmt«. Es stimmte. Sogar erklärte Regierungsgegner wie Yoani Sánchez können frei ein- und ausreisen. Das ist Teil der neuen kubanischen Normalität. Zur alten Normalität gehören politisch motivierte vor allem Kurzzeit-Festnahmen – meist für 24 bis 72 Stunden –, deren anhaltend hohes Niveau Regierungsgegner gerade wieder beklagten. 2013 sollen es über 6000 gewesen sein.

Jorge ist inzwischen nach seinem Studium in Kuba nach Quito ausgewandert und plant, eine Software-Firma zu gründen. Aber auch er kann anders als früher zurückkehren und mit dem verdienten Geld seine Familie unterstützen. Bereits in Kuba hatte er für spanische Hotelketten Kontrollprogramme entwickelt, ohne offizielle Genehmigung, denn Informatiker stehen nicht auf der Liste der 178 Berufe, die inzwischen legal in Eigenbeschäftigung ausgeübt werden können. Die fünf CUC (etwa 3,70 Euro) Stundenlohn, die er erhielt, gingen daher am Fiskus vorbei. Dem soll künftig mit der Einführung eines Steuersystems ein Riegel vorgeschoben werden.

Nach einem halben Jahrhundert steuerfreien Lebens erinnern sich nur noch die Ältesten an das republikanische – und hochkorrupte – Steuersystem vor der Revolution. Kein Wunder, dass von den inzwischen 440 000 Selbstständigen – etwa ein Zehntel der arbeitenden Bevölkerung, die inoffizielle Zahl ist weitaus höher – nur rund die Hälfte überhaupt eine Steuerklärung machten. »Wir müssen erst wieder eine neue Kultur dafür entwickeln«, sagt Saira, die als Ökonomin an der Universität zu Kubas Steuersystem promoviert. Laut einer in der Parteizeitung veröffentlichten Fallstudie für die Provinz Granma zahlen dort 92 Prozent nicht den korrekten Betrag.

Kräftiger als die Steuern fließen trotz des Embargos Gelder aus den USA. Soziologen wie der US-Amerikaner Nelson Valdés argumentieren, dass das Embargo schon deshalb aufgehoben werden müsse, weil es die exilkubanische Gemeinde ungerechtfertigt bevorteilt. Laut Valdés sind es vor allem die fast zwei Millionen Kubaner in der Diaspora, insbesondere in den USA, die lukrativen Handel mit Kuba treiben, Grundstücke durch Familienangehörige erwerben und den neuen Privatsektor in Kuba wesentlich mitbestimmen. Zehn Flüge täglich bringen Unmengen an Konsumgütern auf die Insel und oftmals abgeschöpfte Gewinne zurück nach Florida. Alle anderen US-Amerikaner sind davon per Gesetz bei Strafe ausgenommen.

Kubas wirtschaftliche Prognose für 2014 ist mit 2,2 Prozent Wachstum des Bruttoinlandsproduktes bescheiden. Nachdem 2013 der Zuwachs mit 2,7 Prozent fast ein Prozent geringer ausfiel als geplant und prognostiziert, ist man diesmal vorsichtiger. Stagnation des Tourismus, allgemeine Ineffizienz, andauernde Wirtschaftssanktionen und Verzerrungen durch die doppelte Währung sind einige der Hauptprobleme, die deshalb angegangen werden. Für 2014 befürchten Ökonomen wie Pavel Vidal einen Liquiditätsengpass, der zu weiteren Reformen führen könnte, um notwendige Auslandsinvestitionen zu erleichtern. Zwar hat Kuba zum Jahresende erfolgreich seine historischen Schulden mit Russland neu verhandelt – und zu 80 Prozent erlassen bekommen. Nach wie vor ist die Regierung aber auf Druck der USA von zinsgünstigen Krediten des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank abgeschnitten. Deswegen kann die Karibikinsel zumeist nur sehr teure und kurzfristige Kredite bekommen.

Präsident Raúl Castro kündigte zudem die schrittweise Zusammenführung der zwei Währungen an, des kubanischen Pesos und der devisengebundenen CUC-Währung, die sein Bruder vor 20 Jahren als Antwort auf die Krise einführte. Pilotprojekte wurden bereits begonnen, bei denen der Wechselkurs zwischen CUC und Peso nicht mehr 1:24, sondern 1:10 ist. Schrittweise soll dies auf weitere Staatsbetriebe, dann auf Kooperativen ausgeweitet werden, bevor es für die gesamte Bevölkerung gelte, verkündete Castro in seiner Parlamentsansprache am 21. Dezember.

Mit venezolanischer, chinesischer, aber auch brasilianischer Hilfe wurden zudem wichtige Infrastrukturprojekte begonnen, wie der etwa 50 Kilometer westlich von Havanna gelegene Containerhafen von Mariel, der als Freihandelszone für Auslandsinvestitionen und inländische Beschäftigung sorgen soll. Die Zone soll Ende Januar von Brasiliens Präsidentin Dilma Roussef und Raúl Castro im Rahmen des Gipfeltreffens der Gemeinschaft lateinamerikanischer Staaten CELAC eröffnet werden.

Außenpolitisch ist Kuba weiter auf Erfolgskurs. Die Insel mit ihren elf Millionen Einwohnern pflegt mit der wichtigen Ausnahme der USA mit fast allen Staaten der Welt normale diplomatische Beziehungen und ist respektiertes und aktives Mitglied zahlreicher internationaler Organisationen. Die Entsendung tausender Ärzte und Lehrer in andere Länder verleiht der sozialistischen Republik großes Prestige vor allem im globalen Süden und insbesondere den dortigen ländlichen Armutszonen.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen verurteilt – folgenlos – seit mehr als zwei Jahrzehnten mit überwältigender Mehrheit das Embargo der USA, das seit einem halben Jahrhundert die kubanische Wirtschaft drangsaliert. Kuba wird Ende Januar die CELAC-Präsidentschaft übernehmen, leitet erfolgreich Friedensverhandlungen zwischen der FARC-Guerilla und der kolumbianischen Regierung in Havanna. Die CELAC-Staaten haben bereits angekündigt, dass ein weiteres Gipfeltreffen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ohne das seit 1962 ausgeschlossene Kuba weitgehend boykottiert würde. Das Jahr 2014 könnte also mehr als nur zwei Währungen wieder zusammenführen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 8. Januar 2014


Ein Traum, der anderswo Albtraum ist

Gesetz über freien Autohandel trat in Kraft **

»Kuba legalisiert den freien Kauf von Autos«, war die Neujahrsschlagzeile 2014. Am 19. Dezember 2013 vom Ministerrat beschlossen, trat das Gesetz am 3. Januar in Kraft. Es ist Thema Nummer Eins auf den Straßen Kubas. »Hast du schon die Preise gesehen?« beginnt meist das Gespräch. »Wahnsinn!« lautet die Antwort. Die Niederlassungen von Mercedes, Fiat und anderen internationalen Produzenten ziehen Neugierige vor die Schaufenster. Der Traum vom eigenen Auto – Bestandteil jeder Vorstellung von urbaner Modernität des 20. Jahrhunderts – war in Kuba mit der Revolution und dem folgenden US-Embargo in weite Ferne gerückt. 50 Jahre später wird dieser Traum, der in vielen anderen Metropolen längst zum Albtraum geworden ist, von der Regierung wiederbelebt.

Zwar war schon zwei Jahre zuvor der Immobilien- und Automarkt geöffnet worden, doch war diese Öffnung beschränkt auf bereits zirkulierende Privatautos. Jetzt können auch erstmals wieder importierte Wagen direkt vom Staat gekauft werden. Zuvor durften lediglich vor 1959 zugelassene Autos frei gehandelt werden – daher die außergewöhnliche Pflege der US-amerikanischen Oldtimer. Und Häuser wurden »getauscht«, wobei faktisch bei jedem »Häusertausch« Devisen flossen. Auch neuere Autos wechselten ihre Besitzer, nur eben nicht auf dem Papier. Das war nicht zuletzt ein administratives Problem für den Staat. Ausländern, Diplomaten, aber auch »verdienten Internationalisten« wurde zuweilen die Erlaubnis erteilt, ein Auto einzuführen. Die Importgenehmigungen wurden zuletzt mit 5000 bis 10 000 US-Dollar im Internet gehandelt. Fälle wie der von Michelle, die einen russischen Ingenieur heiratete, damit sie offiziell seinen Fiat Tico besitzen durfte, den ihr kubanischer Freund mit Trinkgeldern aus dem Urlaubsort Varadero finanzierte, waren kein Einzelfall.

Auch um solche Absurditäten zu beenden, werden nun allen dieselben Rechte zugestanden, es kommt nur noch aufs Portemonnaie an. Damit bleibt es aber für die meisten vorläufig ein Traum: Lieblingsbeispiel der Kubaner ist der neue Peugeot 508, mit 262 000 CUC veranschlagt, aber auch 51 000 CUC (etwa 37 000 Euro) für einen VW Jetta von 2010 sind astronomisch. Die eingespielten Mehreinnahmen, so die Logik des Gesetzes, sollen in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs investiert werden. Während viele andere Länder an Stau und Parkplatzmangel leiden, ist es hier immer noch der Mangel an Transportmitteln, der den Alltag beherrscht, auch wenn sich die Lage seit den 90er Jahren verbessert hat. So wird das kubanische Reparaturgenie wohl noch für einige Jahre gefragt sein, um US-amerikanische Cadillacs und russische Ladas am Laufen zu halten.

Zwar hat im Dezember ein neues Dekret die Kreditpolitik weiter vereinfacht, doch bisher wurde die Mehrheit der knapp 220 000 vergebenen Kleinkredite für Hausbau beziehungsweise -reparaturen vergeben, sagte eine Vizeministerin für Finanzen im Fernsehen. Die Senkung auf 1000 Pesos (etwa 41 US-Dollar) Minimum und Rückzahloptionen bis zu zehn Jahren werden vor allem auch privaten Mini-Initiativen als Startkapital dienen. Das touristisch charmante Bild von Fahrradrikschas und Pferdekutschen als Transportmittel wird also vorerst erhalten bleiben. rais

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 8. Januar 2014


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