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Bittere Zeiten im kubanischen Zuckersektor

Havannas radikale Umstrukturierung geht zu Lasten der Produktionsergebnisse

Von Leo Burghardt, Havanna *

Vor fünf Jahren leitete die kubanische Regierung einen radikalen Wandel im Zuckersektor ein – mit zwiespältigen Folgen.

Um die kubanische Zuckerrohrernte (Zafra) ist es still geworden. Früher dominierte sie vor, während und nach der Kampagne, die von November bis Ende April dauern kann, die Inlandsthemen der Medien. Aber vor fünf Jahren setzte die Regierung eine radikale, wie es heute scheint, eine allzu radikale Reform durch, die Fidel Castro als das Ende »der Sklaverei«, also der Abhängigkeit von dieser Monokultur rühmte. Ihm sekundierte der damalige Präsident der Internationalen Zuckerorganisation mit Sitz in London, Peter Baron: »Das ist gewiss eine schmerzhafte Entscheidung, aber doch der richtige Schritt zur rechten Zeit.« Es widerspreche eben jeder ökonomischer Vernunft, (uralte) Fabriken durchzuschleppen, die immer nur Verluste machen. Damals deckte der Zuckerpreis auf dem Weltmarkt oft nicht einmal die Selbstkosten, die in Kuba allerdings im Vergleich zu anderen Zucker produzierenden Ländern ungewöhnlich hoch sind. Die große Krise, die sogenannte Sonderperiode in Zeiten des Friedens, die Anfang 1990 nach dem Zusammenbruch des europäischen Sozialismus einsetzte, drückte auf Grund von Mangel oder gänzlichen Ausfalls die Produktionsleistung der Industrie und der Bauern immer weiter nach unten. Das betraf Ersatzteile für die Fabriken, Düngemittel, Treibstoff für die Mähdrescher und Bewässerungsanlagen ebenso wie die bestenfalls mittelmäßige Lebensmittelversorgung für die Arbeiter. Der »Stolz Kubas« erlosch, zumal unzulängliche Organisation, unkoordiniertes Herumexperimentieren mit neuen Zuckerrohrsorten und inkompetente Leiter, die sich für ihr Versagen mit den Folgen der Sonderperiode und der Blockade herausredeten, den Wiederaufstieg bremsten.

2002 wurden von den 156 Zuckerfabriken 95 stillgelegt. Das betraf zigtausend Arbeiter und ihre Familien, die zwar weiterhin ihren Lohn und Ersatzbeschäftigungen erhielten, aber es war doch ein tiefer, auch emotionaler Einschnitt. Seit 1791 war Kuba die Zuckerinsel! 69 Prozent kultivierbaren Bodens, die zu den Fabrikkomplexen gehörten, wurden anderen landwirtschaftlichen Kulturen zugedacht. Die Zuckerrohrbauern, weit über die Hälfte private, behielten die besten Äcker. Und trotzdem ging es von Ernte zu Ernte weiter abwärts. Die vergangene war mit etwas mehr als einer Million Tonnen Rohzucker die schlechteste seit 100 Jahren. Kuba muss in Kolumbien und Brasilien Zucker zukaufen, denn die Kubaner selbst konsumieren jährlich 700 000 Tonnen und 400 000 Tonnen sind vertraglich fest dem zweitstärksten Handelspartner China zugesprochen.

Che Guevara hatte schon vor 45 Jahren prophezeit, dass in Zukunft die Derivate des Zuckerrohrs das große Geld bringen würden. Das hatte man offensichtlich nicht bedacht, als man sich für die Reform ausschließlich von den Zuckerpreisen leiten ließ. Obgleich sich ein sehr aktives und sehr erfolgreiches Forschungsinstitut seit Jahren den Derivaten widmet. 30 verschiedene Produkte hat es bisher entwickelt, Äthanol schon längst. Jedoch alles klein-klein.

Dass die Zuckerindustrie sich so schwer tut, hängt auch mit dem Klimawandel zusammen. Von 2000 bis 2005 eine verheerende Dürre, danach ein Übermaß an Niederschlägen, die die Plantagen in knietiefen Schlamm verwandelten. Weder Mensch noch Maschine konnten ins Rohr. Deshalb sind die Experten vorsichtig, wenn sie nach den möglichen Ergebnissen der laufenden Zafra befragt werden. Denn das tropische Niederdruckgebiet Noël, das sintflutartige Wassermassen ablud, machte 2400 Kilometer Straßen, Wege und Eisenbahnstrecken, Zubringer für die Zuckerfabriken, kaputt. Sie sind noch nicht völlig repariert. Das Rohr erreicht während etwa dreier Tage seine höchste Rentabilität. Jede Verzögerung lässt sie sinken. Zuckerrohr gibt es genug, um bis April auf 1,6 Millionen Tonnen zu kommen. Die Fabriken sind besser gewartet als 2007. Einen Strich durch die Rechnung könnten allein anhaltende Regenfälle und zu hohe Temperaturen machen.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Januar 2008


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