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Mit Effizienz und auf "eigene Rechnung" gegen die Krise

Kubas Tageszeitung "Granma" veröffentlichte Details zu Reformen in der Wirtschaft

Von Harald Neuber *

Um gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise anzugehen, soll in Kuba der Sektor der kleinen und mittelständischen Unternehmen massiv ausgeweitet werden. Ende vergangener Woche gab die Regierung in der Tageszeitung »Granma« Details zu den neuen möglichen Privatunternehmen bekannt. Demnach sollen Kubaner künftig in 178 Tätigkeitsbereichen »auf eigene Rechnung«, also selbstständig, arbeiten können.

Die Veränderung des bislang weitgehend staatlich kontrollierten Wirtschaftssystems war von Regierungschef Raúl Castro bereits am 1. August in der Nationalversammlung angekündigt worden. Auf drei Seiten informierte nun die »Granma« über die Maßnahmen, die »Teil der erneuerten Wirtschaftspolitik« seien. Oberstes Ziel sei es, Produktivität und Effizienz in der Binnenwirtschaft des sozialistischen Landes zu steigern.

Die Öffnung der Wirtschaft für private Initiativen folgt unmittelbar auf die Ankündigung, 500 000 Angestellte aus dem Staatsdienst zu entlassen. Dies sei notwendig, um die immensen Ausgaben des Staates zu verringern, teilte der Gewerkschaftsdachverband CTC Mitte September in einer Erklärung mit. Zugleich wurde den Ausgemusterten weitgehende Unterstützung versprochen.

Wie nun bekannt gegeben wurde, können sich Kubaner vor allem im Dienstleistungsbereich selbstständig machen. Zu den erwähnten Tätigkeiten zählen handwerkliche Berufe wie Elektriker und Maler. Aber auch private Programmierer, Fahrschullehrer und Blumenhändler wird es künftig in Kuba geben. Diese Neuerungen würden dazu beitragen, das Angebot an Waren und Dienstleistungen zu verbessern, hieß es dazu in der »Granma«.

Tatsächlich geht die Öffnung zur Privatwirtschaft über entsprechende Maßnahmen in den 90er Jahren hinaus. Damals waren von staatlicher Seite als Reaktion auf die schwere wirtschaftliche Krise nach der Auflösung des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) rund 143 000 Lizenzen für Familienunternehmen vergeben worden. Zahlreiche dieser Konzessionen wurden jedoch später wieder eingeschränkt. Im Zuge der jetzigen Reformen sollen nun eine Viertelmillion Lizenzen vergeben werden, heißt es dazu unter Berufung auf Regierungsdokumente im spanischen Dienst der Nachrichtenagentur dpa.

Nicht nur in der Anzahl, sondern auch in der Qualität unterscheiden sich die Reformen von vergangenen Maßnahmen. So wird es nach den offiziellen Ankündigungen erstmals möglich sein, ganze Wohnungen zu vermieten. Bislang können Kubaner maximal zwei Zimmer in privaten Immobilien verpachten, etwa an Ausländer. Auch können die Familienrestaurants - in Kuba als »Paladares« bekannt - fortan 20 statt bisher zwölf Plätze haben. Wer künftig auf der Insel einen privaten Betrieb eröffnet, kann zudem Angestellte beschäftigen. Durch die Erhebung mehrerer neuer Steuern will der kubanische Staat an dem erhofften Aufschwung teilhaben. Belastet werden die Einnahmen aus Dienstleistungen und dem Verkauf von Gütern. Zudem müssen Kleinunternehmer für die Sozialversicherung ihrer Angestellten aufkommen.

Wie aus einem staatlichen Planungsdokument hervorgeht, will die Regierung bei der wirtschaftlichen Öffnung aber nicht nur auf Privatunternehmen und Kleinunternehmertum setzen. Unterstützt werden soll vor allem auch die Gründung von Kooperativen. Diese neuen Gemeinschaftsbetriebe, so heißt es in dem Papier, könnten vor allem in der Baubranche und in der Agrarwirtschaft tätig werden. Auch in der weiterverarbeitenden Leichtindustrie - genannt werden beispielsweise Konservenfabriken - sollten Genossenschaften gefördert werden. Kubas Zentralbank sei bereit, die neuen Unternehmen mit Krediten zu unterstützen, heißt es von staatlicher Seite.

Für Kuba sind die Reformen nicht nur historisch. Besonders in der Landwirtschaft ist Havanna dringend auf eine Steigerung der Produktion angewiesen. Trotz einer beginnenden Bodenreform muss das Land nach wie vor einen Großteil der Nahrungsmittel importieren. Man folge nun dem Prinzip, dass derjenige mehr erhält, der mehr zur allgemeinen Wirtschaftsleistung beiträgt, kommentierte die »Granma«.

Wie zu Wochenbeginn weiter bekannt wurde, sollen im Zuge der angekündigten Freilassung inhaftierter kubanischer Systemoppositioneller bald drei weitere Gefangene auf freien Fuß gesetzt werden. Damit würde die Zahl der Freigelassenen auf 39 steigen, teilte die katholische Kirche Kubas am Montag mit. Die drei Männer im Alter zwischen 39 und 61 Jahren waren den Angaben zufolge zu 20-jährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden. Sie würden »in Kürze« freikommen und könnten nach Spanien ausreisen.

Die Staatsführung Kubas hatte im Juli nach Verhandlungen mit spanischen Regierungsvertretern und Abgesandten der katholischen Kirche verkündet, bis November dieses Jahres schrittweise 52 Häftlinge freizulassen. Die Betroffenen waren im Jahr 2003 festgenommen und zu Haftstrafen zwischen sechs und 28 Jahren verurteilt worden.

* Aus: Neues Deutschland, 29. September 2010


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