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Kuba will Selbstversorgung ausbauen

Revitalisierung der Landwirtschaft soll Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten verringern

Von Leo Burghardt, Havanna *

Seit vergangenen Donnerstag haben in den 169 Land- und Stadtkreisen Kubas die neuen Agrar-Kommissionen ihre Arbeit aufgenommen. Sie sollen die mehr schlecht als recht funktionierende Landwirtschaft durch eine rigorose Dezentralisierung und der »jeweiligen Region angemessene, wohl durchdachte kühne Maßnahmen« (Raúl Castro) aus dem Mittelmaß herausführen.

85 Prozent dessen, was die Kubaner verzehren, entstammt Importen. Der Staat muss dafür 1,6 Milliarden Dollar im Jahr berappen, bei steigender Tendenz. Zugleich liegen 51 Prozent des kultivierbaren Bodens brach oder werden mangelhaft bewirtschaftet. Rentabel arbeiten nur die Privaten und zumindest einigermaßen akzeptabel jene Genossenschaften, denen Plantagen vom Staat zur Nutzung übergeben wurden. Die rein staatlichen Farmen können nur in den seltensten Fällen ihren Verpflichtungen nachkommen. Bei insgesamt sechs unterschiedlichen Besitz- bzw. Pachtformen mit ihren jeweiligen Verwaltungen, Märkten und Infrastrukturen herrscht einfach Wirrwarr. Viele Bauern warfen den Bettel da hin. Junge Leute blieben oft nicht auf dem Land, jene, die blieben, verrichteten ihre Arbeit meist lustlos, es fehlte an Anreizen und angemessenen Aufkaufpreisen.

Für die einfachsten Arbeitsmittel wie Macheten, Pflüge, Sicheln, Eggen oder Beile, selbst für Stiefel und andere Arbeitsbekleidung mussten die Bauern in einen Papierkrieg mit der Bürokratie ziehen, den sie allzu oft verloren. Seit dem 1. April sind die Bürokraten ausgeschaltet, die ersten Geschäfte wurden eingerichtet, in denen Bauern einkaufen können - allerdings nur gegen CUC, den »harten« und konvertiblen Peso. Zugleich wurden einige Aufkaufpreise deutlich erhöht wie für Milch und Kartoffeln. Und in den Wechselstuben kann man »weiche« gegen »harte« Peso umtauschen.

Jeder Kubaner kann inzwischen auch in jedem Hotel Quartier nehmen - zu Touristenpreisen. Doch obgleich es durchaus zigtausend wohlhabende Kubaner gibt und Millionen Jahre lang ihr Leid klagten, dass ihnen, auch wenn sie über genügend Bares verfügten, eine solche Unterkunft versagt wurde, gab es bisher kaum zahlende kubanische Gäste; dafür um so mehr Nachfragen, ob es denn wahr sei, dass man jetzt ... - denn die Medien widmen den neuen Maßnahmen nur wenig Raum.

Wie der panamaische Botschafter in Havanna unlängst berichtete, sind heute jede Woche 20 statt wie früher zwei Containerschiffe zwischen Colón und einem kubanischen Hafen unterwegs. Sie hätten vorwiegend elektronisches Gerät geladen, das inzwischen ebenfalls frei verkäuflich ist, ab heute auch Handys. Computer sind noch nicht im Angebot, die potenzielle Nachfrage danach ist aber groß.

Es tut sich also etwas. Sofort ins Auge fallend und von den Hauptstädtern lauthals begrüßt, verkehren etwa neue bequeme Busse wieder regelmäßig, und außer in den Spitzenzeiten kann man sogar damit rechnen, einen Sitzplatz zu bekommen. Die Straßen, die sie befahren, wurden ordentlich instandgesetzt. Kuba lässt die Sonderperiode mit ihren dramatischen Mängeln an Lebensmitteln und Medikamenten, zerstörten Straßen und finsteren Nächten hinter sich. Nickel, Kobalt, Erdöl, Tabak, Erzeugnisse der Biotechnologie - Produktion und Export funktionieren. Aus China und Venezuela erhält Kuba günstige Kredite. Und der Dienstleistungsexport - vor allem geht es um Ärzte und Schwestern - bringt hunderte Millionen. Im Argen liegen weiterhin der Wohnungsbau und eben die Landwirtschaft. Aber unter dem Strich gibt es auch keinen Grund pessimistisch zu sein, denn die Probleme sind erkannt, und man sieht Licht am Ende des Tunnels.

* Aus: Neues Deutschland, 14. April 2008


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