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FBI fing zwei kubanische Spione

Fidel Castro: Sie verdienen "alle Ehrerbietung der Welt"

Von René Heilig *

Ein Ex-Beamter im US-Außenministerium und seine Frau sind Ende vergangener Woche USA wegen Spionage für Kuba verhaftet worden. 30 Jahre lang sollen der heute 72-jährige Walter Kendall Myers und seine ein Jahr jüngere Frau Gwendolyn Steingraber Myers Geheimnisse an Havanna übermittelt haben.

»Unglaublich ernst« nannte David Kris, Abteilungsleiter für nationale Sicherheit im US-Justizministerium, den jüngsten Fall von Spionage, den das FBI aufgedeckt hat. Unter den Codenamen »Agent 202« und »Agentin 123« sollen Walter und Gwendolyn Myers seit 1978 für den kubanischen Nachrichtendienst gearbeitet haben.

Myers habe lange Jahre als Ausbilder am Institut für Außendienste des Ministeriums gearbeitet, anschließend im Büro für Geheimdienste und Forschung. Vom Juli 2001 bis zu seiner Pensionierung im Oktober 2007 sei er auf die Analyse von geheimdienstlichen Informationen über europäische Angelegenheiten spezialisiert gewesen und habe täglich Zugang zu geheimen Daten gehabt. Allein im letzten Jahr seiner Ministeriumstätigkeit habe Myers Zugang zu 200 »brisanten oder geheimen« Geheimdienstberichten zum Thema Kuba gehabt.

Darüber, wie die beiden rekrutiert wurden, gibt es verschiedene Darstellungen. Man habe Walter Myers angesprochen, als er bei der UNO in New York zu tun hatte. Nein, behaupten andere angeblich in den Fall involvierte Ermittler. Man habe ihn 1978 bei einer wissenschaftlichen Tour durch Kuba für eine Mitarbeit gewonnen. Was nicht allzu schwer gewesen sein muss, denn in einer Tagebucheintragung, die das US-Justizministerium präsentierte, ist die Zuneigung zu Kuba festgehalten. »Kuba ist so aufregend«, die Revolution habe großartige Möglichkeiten eröffnet, heißt es. Zugleich wird Widerwille gegen das imperialistischen System der USA deutlich.

Die Myers' müssen effektiv gearbeitet haben. Doch nicht für Geld. Das einzige, was sie von den kubanischen Nachrichtendienstlern erhalten hätten, sei das Transistorradio, mit dem sie den Kurzwellen-Kontakt zur Zentrale in Havanna aufrecht erhalten haben -- bis sie auf verschlüsselte E-Mails umgestiegen sind.

Andere Nachrichten wurden ausgetauscht nach dem Vorbild verschiedener Spionagethriller. So habe Frau Myers im Supermarkt einfach ihren Einkaufswagen mit dem eines Kuriers »verwechselt«. Treffs fanden auch in Trinidad und Tobago, in Argentinien, Brasilien, Ecuador und in Jamaika statt. Im Jahr 1995 habe sich der damalige kubanische Staatschef Fidel Castro mit den beiden Myers' in Havanna getroffen.

Am Samstag (6. Juni) stellte sich kein Geringerer als der kubanische Revolutionsführer hinter die am Donnerstag Verhafteten. Sie verdienen seiner Meinung nach »alle Ehrerbietung der Welt«, schrieb er in einem Internetportal und unterstrich, die Verfolgung habe nichts zu tun mit der Sicherheit der USA. Castro merkte an: »Komisch ist vor allem, dass die Informationen über die Festnahme 24 Stunden, nachdem die USA eine diplomatischen Niederlage erlitten haben, verbreitet wurden.« Gemeint ist die Entscheidung der Organisation Amerikanischer Staaten, Kuba wieder in ihre Reihen aufzunehmen und damit den mehr als vier Jahrzehnte langen Ausschluss des kommunistischen Staates zu beenden.

Überführt wurden die Myers' durch eine FBI-Provokation. Ein Spezialagent gab sich als kubanischen Sicherheitsmann aus, der mit den Kundschaftern die neue Situation besprechen wollte, die sich durch die einsetzende Annäherung zwischen Havanna und Washington ergeben habe.

Auf ähnliche Art hatte man vor rund zwei Jahrzehnten drei für das MfS tätige US-Amerikaner überrumpelt. Zwei der drei sitzen noch immer wie normale Kriminelle in einem US-Gefängnis. Ähnliches könnte Walter K. und Gwendoyn S. Myers widerfahren. Sympathien für den Kommunismus gelten in den USA noch immer als Staatsverbrechen ersten Ranges.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Juni 2009

"Lächerliche Antwort auf eine Niederlage"

Unter dem Titel "Lächerliche Antwort auf eine Niederlage" veröffentlichte das kubanische Internetportal www.cubadebate.cu am Sonntag (7. Juni) eine "Reflexion" von Fidel Castro, aus der wir im Folgenden Auszüge dokumentieren: **

Als ich gestern abend genau die Rede von Obama an der muslimischen Universität Kairo analysierte, trafen Agenturmeldungen mit der merkwürdigen Information ein, daß zwei über 70 Jahre alte Personen im Ruhestand unter der Anklage festgenommen worden sind, 30 Jahre lang für die kubanische Regierung spioniert zu haben. Fast alle wichtigen westlichen Nachrichtenagenturen, acht von ihnen, verbreiteten die Nachricht.

Die angeklagten Personen sind Walter Kendall Myers und seine Ehefrau Gwendolyn Steingraber-Myers. Es wird angefügt, daß er als Experte für Europaangelegenheiten gearbeitet hat, daß sie 1995, vor 14 Jahren, nach Kuba gereist sind und zu diesem Datum durch mich empfangen wurden. Ich habe mich in dieser Zeit aus verschiedenen Gründen mit Tausenden von Nord­amerikanern getroffen, einzeln oder in Gruppen, manchmal mit Gruppen von mehreren hundert von ihnen, so wie die Studierenden, die im Rahmen des Reiseprojekts »Semester am Meer« nach Kuba gereist sind, weshalb ich mich kaum an Details eines Treffens mit zwei Personen erinnern könnte. Jetzt verstehe ich, warum George W. Bush den Studierenden der Reisegruppe verboten hat, weiter Kuba zu besuchen. Sie haben viele Stunden lang mit mir gesprochen, obwohl sie zu Familien der gehobenen Mittelschicht gehörten.

Die Anklage sagt, daß das Ehepaar zahlreiche Auszeichnungen erhalten habe, räumt aber zugleich ein, daß sie nie Geld oder persönliche Vorteile angestrebt haben. (...)

Das Merkwürdige ist, daß diese Nachricht 24 Stunden nach der Niederlage der US-Diplomatie in der Generalversammlung der OAS ans Licht kommt. Warum wurden diese Personen, die von FBI-Agenten, die sich als kubanische Spione ausgaben, kontrolliert wurden, nicht schon viel früher verhaftet? Warum passiert das gerade jetzt?

Jetzt wird das Spiel der angeblichen Justiz gegen zwei Personen beginnen, die im voraus moralisch mit Anschuldigungen zermürbt werden, die das Verhalten der Geschworenen vorherbestimmen, die darüber entscheiden müssen, ob sie schuldig oder unschuldig sind. Mit Sicherheit werden sie nicht die freundliche Behandlung erfahren wie die Terroristen, die von der Regierung dieses Landes angeworben wurden, um ein Flugzeug der Cubana Air mit allen, die in ihm reisten, zu zerstören und schreckliche Verbrechen gegen unser Volk zu begehen, und die sogar die Gesetze der Vereinigten Staaten verletzten, indem sie zahlreiche kleinere Terrorakte auf ihrem eigenen Gebiet begingen.

Die Kampagne gegen die Eheleute hat bereits begonnen. Sie werden als Verräter dargestellt, die mit 35 Jahren Gefängnis bestraft werden können, die sie dann bis zu einem Alter von 100 Jahren verbüßen müssen. Die Staatsanwälte können ihre üblichen Manöver anwenden, um politische Ziele zu suchen.

Die ganze Intrige wurde gesponnen, nachdem Obama das Amt als Präsident der Vereinigten Staaten angetreten hat. Vielleicht hat zu der Inhaftierung nicht nur die in San Pedro Sula erlittene schwere Niederlage beigetragen. Vielleicht waren es auch die Nachrichten darüber, daß die Regierungen der USA und Kubas Kontakte geknüpft haben, um über wichtige Themen von beiderseitigem Interesse zu reden. (...)

Die Konfrontation mit den Vereinigten Staaten ist ideologisch und hat nichts mit der Sicherheit dieses Landes zu tun. (...) Erscheint euch allen diese Geschichte von der kubanischen Spionage nicht lächerlich?

** Aus: junge Welt, 8. Juni 2009




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