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Die Rolle der Künstler in der Gesellschaft

In Kuba tagte der Kongress der kubanischen Union der Schriftsteller und Künstler (UNEAC)

Nicht mehr so langweilig

Der Kongreß des kubanischen Schriftstellerverbandes forderte eine neue Kulturpolitik

Von Kerstin Sack *
Es war die lang erwartete große Aussprache: 400 Delegierte zogen auf dem Kongreß des kubanischen Künstler- und Schriftstellerverbandes UNEAC in der vergangenen Woche eine Zwischenbilanz der Kulturpolitik. Und die fiel nicht immer gut aus. Vor allem das Fernsehen und die Tagespresse standen im Zentrum der Kritik. Zu schlecht, zu verschlossen, zu unkritisch seien die Medien, hieß es im »Palacio de las Convenciones« im Osten der Hauptstadt Havanna. Einer der kritischsten Teilnehmer war Kulturminister Abel Prieto.

Zehn Jahre nach der letzten Veranstaltung dieser Art und kurz nach dem Regierungswechsel im Februar kam dem Kongreß eine besondere Bedeutung zu. Seit Monaten laufen heiße Debatten um die Kulturpolitik. Und kulturelle Diskussionen drehen sich in Kuba immer auch um die Revolution, ihre Vergangenheit, Gegenwart und die Zukunft.

Die 13 Arbeitsgruppen, von denen das Treffen seit einem Jahr vorbereitet wurde, beschäftigten sich u.a. mit Kultur, Ausbildung, Tourismus, Wirtschaft und Gesellschaft. Vor allem die Folgen der wirtschaftlichen Öffnung für die Jugendlichen wurden thematisiert. »Wir dürfen nicht zulassen, daß unsere Nachrichten von der Jugend als langweilig und überholt angesehen werden«, mahnte Prieto, »während alles aus Nordamerika als attraktiv und unterhaltsam gilt.«

Solche Selbstkritik bestimmte den Tenor des Kongresses von Dienstag bis Freitag voriger Woche. Die ­UNEAC, ein Verband mit rund 8500 Künstlern und Schriftstellern, habe ihre Aufgaben in den vergangenen Jahren kaum mehr wahrgenommen, hieß es. Senel Paz, Schriftsteller und Drehbuchautor des auch international sehr erfolgreichen Kinofilms »Erdbeer und Schokolade« (1993), bemängelte die zu geringen finanziellen Ressourcen, die TV-Produktionen zur Verfügung stünden. Langweilige Programme seien die Folge, der Alltag, vor allem von marginalisierten Gruppen, finde sich im Fernsehen kaum wieder. Statt dessen würden vor allem Samstag abends niveaulose ausländische Produktionen ausgestrahlt, oft drittklassige US-Schinken aus den 70er und 80er Jahren. »Aber«, so die bekannte Telenovela-Schauspielerin Maite Vera gegenüber junge Welt, »nun will die Regierung mehr Ressourcen zur Verfügung stellen«. Tatsächlich hatte auch Kulturminister Prieto das Problem des Fernsehens aufgegriffen. Die Aufgabe sei es, »kulturelle Referenzen« zu schaffen, sagte er, damit der »Kampf gegen neokoloniale Ideen« nicht verloren ginge.

Die UNEAC will nun regelmäßig über die Medienpolitik beraten. Dabei wird es auch um die Tagespresse gehen, die, ebenso wie das Fernsehen, wegen fehlender kritischer Berichterstattung und Debatten kritisiert wurde.

Die Künstler und Schriftsteller sehen vor allem bei der Jugend einen Werteverlust, dessen Ursache vor allem in der vergangenen schwierigen wirtschaftlichen Situation liegt. Mit der Steigerung des Tourismus, dem Wachsen der sozialen Ungleichheit und der Kommerzialisierung der Kultur seien Unsicherheiten entstanden. Als Rezept schlagen die Teilnehmenden eine Revision der gesamten Kulturpolitik vor, an der sie sich beteiligen möchten. Der Kongreß legte hierzu eine lange Liste mit konkreten Vorschlägen vor.

Die Künstler diskutierten aber auch ihre eigene Rolle in der Gesellschaft. Die Ansprüche an Kulturpolitik dürften nicht nur ihren eigenen Kriterien entsprechen, sondern müßten auch mit den Interessen der Gesellschaft übereinstimmen. Daß es hier zu Konflikten kommen kann, zeigt die in Kuba so beliebte Partymusik Reggaeton, die oft mit sexistischen Texten einhergeht. Wiederholt wurde gefordert, daß jede Form von Diskriminierung – die des Geschlechts, der Ethnie oder die der sexuellen Präferenz – nicht akzeptabel sei. Für Konfliktfälle solle eine Kommission eingerichtet werden, die alle Probleme möglichst offen diskutieren und nach Lösungen suchen soll. Applaus erhielt der Historiker Eusebio Leal, der dazu aufrief: »Bereiten wir uns auf ein neues Ziel für unser Land vor!«

Maite Vera, die an der Vorbereitung beteiligt war, ging zufrieden nach Hause: »Für mich ist am wichtigsten, daß es eine offene Debatte gab und das Vertrauen, daß niemand Angst zu haben brauchte, seine Meinung zu äußern. Es gibt die Bereitschaft, mit alten Konzepten zu brechen, die den Prozeß des wirklichen Sozialismus nur aufhalten würden.«

Komplett neu gewählt wurde das Präsidium der UNEAC. Erster Vorsitzender wurde der international bekannte Schriftsteller Miguel Barnet. Carlos Lage bedankte sich im Namen der Regierung bei den Delegierten mit den Worten: »Die Revolution ist heute so stark wie nie.«

* Aus: junge Welt, 7. April 2008


Kongress kritischer Geister in Kuba

Künstler und Schriftsteller debattierten

Von Leo Burghardt, Havanna **


In Havanna tagte in der vergangenen Woche der 7. Kongress der kubanischen Union der Schriftsteller und Künstler (UNEAC), der nicht nur von kunstinteressierten Kubanern mit Spannung erwartet worden war.

In der UNEAC, die sich weder als Gewerkschaft noch als staatliche Institution versteht, sind die meisten kritischen Geister des Landes vereint, die zwar die Revolution nicht in Frage stellen, zugleich aber auch gewappnet sind, deren Irrtümer ohne diplomatischen Schmus anzufechten. Gerade jetzt, nachdem Präsident Raúl Castro zur öffentlichen Debatte – »immer zur rechten Zeit, am rechten Ort und objektiv« – aufgefordert hatte.

Die Kubaner ließen sich das nicht zweimal sagen. Die Scheu, die Angst, bei einigen Scharfmachern der Obrigkeit anzuecken, ist dahin, zumal offensichtlich ist, dass die Regierung alles in ihren Kräften stehende tut, um materielle Mängel und bürokratischen Ballast abzubauen. Nach und nach.

387 Kunstschaffende vertraten 8000 UNEAC-Mitglieder, die ihren Kongress binnen eines Jahres vorbereitet hatten. Ohne Drehbuch von oben. Kulturminister Abel Prieto, der schon viele Jahre im Amt ist und für seine Leute geradesteht (er ist der einzige, der Fidel Castro in einer öffentlichen Versammlung widersprach) meinte, inzwischen mache sich jeder lächerlich, der behaupte, er werde wegen seiner Ideen verfolgt. Auch der vor einem Jahr zum Leiter der Kulturabteilung des ZK der KP berufene Eliades Acosta, ehemaliger Direktor der Nationalbibliothek, Schriftsteller und Philosoph, ist ein Verfechter pluralistischer Kultur und Gegner einer »dogmatischen Zensur«.

Symptomatisch für die gegenwärtige kubanische Kulturlandschaft ist, dass im Dezember 2007 das Theaterstück »Zwei gegen Theben« von Anton Arrufat freigegeben wurde. Es war 1968 verboten worden und lag seither auf Eis. Zugegeben, ein heikles Thema: Zwei Brüder kämpfen auf Tod und Leben um die Macht in der Stadt. Von Arrufat wurde bis Anfang der 80er Jahre nichts mehr gedruckt. So erging es vielen während der grauen fünf Jahre von 1971 bis 1976. Viele verließen das Land, nicht nur Arrufat blieb.

Er und andere Leidtragende sind schon seit Jahren rehabilitiert, haben höchste Ehrungen erhalten. Als Ende vergangenen Jahres drei der extremistischsten Zensoren des »grauen Jahrfünfts« in drei verschiedenen Fernsehprogrammen erschienen und zu Bagatellthemen befragt wurden, brach unter den Künstlern ein Sturm los. Gewiss nicht weil sie befürchteten, es könnten wieder Homosexuelle, nicht 100-prozentig Linientreue und Widersacher des sozialistischen Realismus geschmäht werden. Es war eher ein emotionaler Aufstand nach einem Ausrutscher des Fernsehens, aber eben einem höchst fatalen. Denn die Wunden waren noch nicht verheilt. Über dieses Jahrfünft war schließlich nie offen diskutiert worden. Man beförderte es heimlich, still und leise auf den Müll.

Dieser 7. Kongress wird reinen Tisch gemacht haben. Stichworte aus den Debatten, in denen das »graue Jahrfünft« nur ein Thema unter vielen war: nichts idealisieren; mehr kreative Konfrontationen; Verwaltungsfunktionäre, die nichts taugen, seien zurückzuweisen; Verschweigen – was auch immer – ist ein Fehler; wie soll die Gesellschaft den Sozialismus perfektionieren, wenn sie nicht informiert ist; in der Volksbildung, dem einstigen Paradestück der Revolution, klaffen tiefe, gefährliche Lücken; junge Künstler und solche aus den Provinzen seien fester in die Arbeit der UNEAC-Führung einbeziehen (nur drei Prozent der Delegierten waren jünger als 40 Jahre). Überall im Lande lebe Poesie, lebe authentische Kunst; jeder Spur von Bürokratie, Absurditäten und Unvernunft sei Halt zu gebieten, wenn »unser Sozialismus« erfolgreicher und attraktiver werden soll; die Qualität von »kulturellen Produkten« für den Tourismus sei himmelschreiend miserabel. Wie können wir den Alltag des schlechten Geschmacks, der Aggressivität, der schlechten Erziehung und der Banalität zum Positiven wenden?

Es wurde dem Vernehmen nach kein Thema ausgelassen, das die Künstler Kubas bewegt. Dazu Anton Arrufat: »In den entscheidenden Zeiten wie heute haben wir es immer verstanden, Wege zu finden, um das Verbogene zu korrigieren und geradezubiegen.«

Die Organisatoren hatten sich für den Kongress vier Tage Zeit genommen. Raul Castro war dabei, so oft er konnte. Der Schauspieler Ramón Silverio aus Santa Clara meinte, von vornherein habe sich abgezeichnet, dass es ein historischer Kongress werden könnte. Es dürfte eine unruhigere, aktivere, pluralistischere UNEAC dabei herausgekommen sein, die die »Kultur vor Bürokratismus, Vereinsmeierei, Fortschrittsfeindlichkeit, Demagogie und Opportunismus bewahrt ... und sich Kuba und der Revolution kämpferisch verpflichtet fühlt«, wie der Schriftsteller und Bundesverdienstkreuzträger Miguel Barnet in seiner Eröffnungsansprache verlangte. Er wird wahrscheinlich der nächste Präsident der UNEAC sein.

** Aus: Neues Deutschland, 7. April 2008


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