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Große Zustimmung

Kubas Bevölkerung sieht die begonnenen Reformen mehrheitlich positiv. Probleme bei der Umsetzung

Von Mario Arcadi, Pinar del Rio *

Überall in Kuba wird derzeit wieder intensiv über die seit Monaten durchgeführten Veränderungen der Wirtschaft diskutiert. So treten am 20. Dezember neue Regeln zur Vergabe von Bankkrediten für Kleinbauern, Selbständige sowie für den Bau und die Renovierung von Wohnungen in Kraft.

Zuvor war am 10. November die Verordnung 283/2011 in Kraft getreten, die den Kauf, Verkauf und das Vermieten von Wohnungen und Häusern zwischen Privatpersonen legalisiert und regelt. Darüber wurde die Bevölkerung in mehreren Fernsehsendungen mit Spezialisten informiert, eine 48 Seiten umfassende Sonderausgabe des Justizministeriums wurde Zeitungen beigelegt. Ausdrücklich wird im Text des Gesetzes darauf hingewiesen, daß nun keine Genehmigungen von staatlichen Stellen mehr notwendig sind, sondern allein der Wille der Vertragspartner für einen rechtskräftigen Abschluß ausreicht. Die Geschäfte müssen über eine Bank abgewickelt werden, so daß die fälligen Steuern in Höhe von vier Prozent des Kaufpreises vom Finanzministerium eingezogen werden können. Eine wichtige Einschränkung ist, daß der Kaufwillige nicht schon eine Wohnung, oder ein Haus besitzen darf, weil der Handel mit Immobilien und die Benutzung von Wohnraum als Kapitalanlage verhindert werden sollen. Der Staat regelt somit gesetzlich, was im kubanischen Alltag schon seit Jahren auf Umwegen und mit vielen Tricks praktiziert wurde. Die Zusatzbestimmungen, die in der Vergangenheit getätigte Geschäfte mit Wohnraum legalisieren sollen, stoßen deswegen in der Bevölkerung auf große Zustimmung.

Das ist durchaus nicht bei allen Wirtschaftsreformen der Fall. So wird die Höhe der Besteuerung der Gewinne aus selbständiger Tätigkeit, die zwischen null und 50 Prozent liegt, immer wieder kritisiert. Auch die Gebühren, die für die Lizenzerteilung zur Ausführung einiger der seit einem Jahr freigegebenen fast 200 Geschäftstätigkeiten erhoben werden, sind Anlaß zu kontroversen Diskussionen.

Maikel etwa sieht die Veränderungen positiv. Er arbeitet tagsüber als Netzwerkadministrator in der Pädagogischen Fachhochschule. Nun hat er sich eine Lizenz für einen selbständigen Nebenerwerb besorgt, denn der Lohn für seine eigentliche Beschäftigung hat kaum gereicht. In der Wohnung, die er gemeinsam mit seiner Mutter, einer Sportlehrerin, bewohnt, wurde dazu das Wohnzimmer bis auf den Fernseher, ein paar Stühle und eine Playstation ausgeräumt und in einen Spielsalon umgewandelt. Abends nach der Arbeit treffen sich hier die Jugendlichen aus seinem Wohngebiet und spielen bei ihm stundenweise gegen Bezahlung. Dieser Nebenverdienst bringt ihm monatlich fast so viel ein wie sein Job an der Hochschule. Da er aber voraussichtlich weniger als 5000 Pesos (rund 160 Euro) im Jahr einnehmen wird, muß er zunächst keine Gewinnsteuern bezahlen, nur die monatliche Gebühr für die Lizenz in Höhe von 100 Pesos. Sozialabgaben entfallen ebenfalls, da sie schon von seinem Lohn als Netzwerkadministrator beglichen werden. Zusammen mit dem Gehalt seiner Mutter ist das gemeinsame Einkommen damit auf ein akzeptables Niveau angestiegen. Maikel denkt schon daran, sein Geschäft auszuweiten. Ein zweites Gerät, das er gegen Gebühr außer Haus verleihen will, soll demnächst angeschafft werden.

Dagegen hat Yoalis ihre Lizenz zum Verkauf von Pizzas, belegten Broten und alkoholfreien Getränken vor ihrem Hauseingang nach ein paar Monaten wieder zurückgegeben. Trotz Vollzeiteinsatz hat sich das Geschäft für sie nicht gelohnt. So beklagt sie, daß Zutaten wie Mehl, Zucker, Fleisch und ähnliches im örtlichen Supermarkt zu teuren Endverbraucherpreisen eingekauft werden müssen. Sie will es noch einmal versuchen, wenn Großverbrauchermärkte, in denen Selbständige zu ermäßigten Preisen die notwendigen Zutaten fürs Geschäft einkaufen können, eingerichtet werden.

Ihr Nachbar, ein Schuhmacher mit kleiner Werkstatt im Hinterhof seiner Wohnung, beklagt sich über latente Lieferschwierigkeiten. Denn wenn es zum Beispiel keinen Klebstoff gibt, kann er keine Reparaturen ausführen. Da die Steuern und Gebühren aber beglichen werden müssen, bleibt ihm keine andere Wahl, als sich auf dem Schwarzmarkt die notwendigen Materialien zu besorgen. Das wiederum schadet der Wirtschaft. Zu einer funktionierenden Makroökonomie, wie sie der kubanische Staat zum Wohle aller anstrebt, muß ein stabiles, funktionierendes Netz für Rohstoffe eingerichtet werden.

Für eine umfassende Bewertung der »neuen kubanischen Ökonomie« ist es nach einem Jahr noch zu früh, denn für den Umbau sind fünf Jahre eingeplant. Aber die bisher durchgeführten Änderungen fallen mehrheitlich auf fruchtbaren Boden. Auch die Kritiker sind zuversichtlich, daß die Probleme im Detail langsam, aber sicher gelöst werden. In den Straßen haben die bunten und phantasievoll gestalteten Verkaufsstände das Stadtbild schon positiv verändert. Imbißstände und der Verkauf von CDs und DVDs sowie Schuh-, und Lederwaren sind die Spitzenreiter der neuen Selbständigkeit. An vielen Ecken stehen Händler mit Handwagen, die frisches Gemüse und Früchte anbieten.

Damit bei aller neuen materiellen Freiheit die Inhalte der kubanischen Revolution im Bewußtsein der Bevölkerung wach bleiben, startete die Regierung nun parallel eine Kulturoffensive. Bildende Kunst, Musik, Tanz und Theater sollen verstärkt an allen Schulen und in den Gemeindezentren gefördert werden. Dabei geht es nicht darum, aus allen Kubanern Künstler zu machen. »Denn dann würden wir irgendwann malend, tanzend und singend verhungern«, formulierte es der kubanische Kulturminister Abel Prieto in der Fernsehsendung »Mesa Redonda« (Runder Tisch). Aber »jeder Arbeiter, Bauer oder Techniker soll sich seiner kulturellen Identität bewußt werden und die Liebe zur Kunst entdecken, damit sich kein Kubaner und keine Kubanerin vom Blendwerk des Konsumismus und der Müllkultur des Kapitalismus in die Irre führen läßt«.

* Aus: junge Welt, 8. Dezember 2011


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