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"Die Regierung steht unter Zeitdruck"

Omar Everleny Pérez über die Zukunft von Kubas Wirtschaft *


Omar Everleny Pérez, Direktor des Studienzentrums der kubanischen Wirtschaft, ist Verfechter von weniger Staat in der kubanischen Wirtschaft. Knut Henkel sprach für das "neue deutschland" (nd) mit ihm über bisherige Reformen und Perspektiven.


ND: In Kuba ist gerade das jahrelang geltende Handelsverbot von Autos aufgehoben worden. Welchen ökonomischen Stellenwert hat diese Änderung und stehen weitere Reformen an?

Pérez: Generell geht es in Kuba voran. Aber es gibt Maßnahmen, die eine ökonomische Bedeutung haben, und andere, die kaum ins Gewicht fallen. Die Legalisierung des Autohandels hat keinen großen Einfluss auf das Bruttoinlandsprodukt, denn den Handel hat es illegal vorher auch gegeben.

Aber die Maßnahme hat psychologische Bedeutung?

Genau. Nun wird legalisiert, was unter der Hand bereits Usus war. Neuwagen kann sich ohnehin kaum ein Kubaner leisten, aber die Maßnahme hat aus politisch-ideologischer Perspektive Signalcharakter. Das trifft auch für die Legalisierung des An- und Verkaufs von Wohnungen zu, die noch in diesem Jahr kommen soll - wahrscheinlich im Dezember.

Anscheinend gibt es auch Reformen in der Landwirtschaft?

Ja, das Landwirtschaftsministerium will die gesetzlichen Vorgaben für die Verteilung von staatlichem Land an Privatbauern anpassen. Die Zeiträume für die Landnutzung sollen ausgeweitet werden, und die Bauern sollen das Recht haben, Gebäude auf dem Land zu bauen. Beides hatte in der Vergangenheit bei den Bauern für Kritik gesorgt, denn es gibt Bauern, die recht weit entfernt von den Feldern leben.

Reichen diese Maßnahmen aus?

Die Bauern können seit Kurzem ihre Produktion direkt an die Hotels verkaufen. Das ist ein Fortschritt, denn zuvor mussten die Hotels Lebensmittel importieren und durften nicht vor der eigenen Haustür einkaufen. Heute ist das möglich und es gibt auch einen speziellen Wechselkurs: ein Dollar hat den Gegenwert von sieben Peso cubano, nicht wie generell festgelegt von 1:1. Diese Maßnahmen können, so denken wir am Institut, für neue Dynamik in der Landwirtschaft sorgen. Und auch im Bereich der Arbeitsmittel gibt es Fortschritte. So wurden die Preise von einigen Arbeitsgeräten reduziert, staatliche Unternehmen können schwere Geräte an die Privaten vermieten und auch die Ankaufpreise für Agrarprodukte wurden hier und da korrigiert. Zudem laufen derzeit Versuche, in einigen Landesteilen ohne Preisvorgaben zurechtzukommen.

Wie sieht bei den neuen Selbstständigen aus - ist die Freigabe von rund 180 Berufen für die Selbstständigkeit ein Erfolg?

Ja, ich sehe Fortschritte. Die Zahl der Selbstständigen ist binnen eines Jahres von 144 000 auf 330 000 gestiegen. Der Staat hat mit etwa einhunderttausend neuen Selbstständigen gerechnet, nun sind es doppelt so viele, und die Quote steigt.

Soll der Privatsektor weiter wachsen?

Ja, und die Senkung der Gebühren für die Lizenzen oder die Aussetzung der Steuerzahlungen, wenn renoviert oder repariert wird, gehen in diese Richtung. Das sind kleine Schritte, die positiv registriert werden.

Wie steht es denn um die Versorgung der Privaten mit Produktionsmitteln? Gibt es Großmärkte?

Nein, die fehlen immer noch. Trotz dieser Hürden ist die Zahl der Restaurants und das Angebot groß. Es gibt viel Konkurrenz ...

Auch genug Kunden?

Nein, das ist das Grundproblem. Nur wenn die Leute gut verdienen, wird es auch ausreichend Nachfrage geben. Es besteht das Risiko einer Pleitewelle, denn Essengehen können sich nur wenige Kubaner leisten. Grundsätzlich brauchen wir Wachstum, wirtschaftliche Erholung, um voranzukommen, aber bisher hat die Wirtschaft nicht sonderlich stark zugelegt.

Von 1,9 Prozent ist die Rede ...

Ja, und das ist nicht allzu viel. Wir müssen produktiver werden. Da gibt es bisher kaum Fortschritte. Das ist die große Herausforderung. Letztlich ist alles Nötige in den Leitlinien, die auf dem Parteitag im April verabschiedet wurden, fixiert. Sie enthalten den Zeitplan für die Maßnahmen und wir müssen von Jahr zu Jahr weiterkommen bis dann 2015 alle Maßnahmen umgesetzt sind.

Sind Sie sicher, dass die getroffenen Entscheidungen auch um gesetzt werden?

Diese Regierung steht unter Zeitdruck und sie unterscheidet sich von der vorherigen Regierung. Ich denke, dass die Reformen umgesetzt werden, auch weil alle Maßnahmen, die Raúl Castro in den letzten Jahren initiiert hat, nach vorne wiesen.

Welche Perspektiven sehen Sie für das kommende Jahr?

Die Exporte von Medikamenten gehen nach oben, und im Dezember wird eine Ölplattform offshore nach Öl bohren. Das sind positive Nachrichten, die unsere Wirtschaft auch dringend braucht.

* Aus: neues deutschland, 21. Oktober 2011


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