Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Bis Ende November einsatzbereit"

BND und Kuba-Krise: Was wusste Pullach über sowjetische Atomraketen und das mögliche Ende der Welt?

Von René Heilig *

Vor 50 Jahren stand die Welt am atomaren Abgrund. Ende Oktober 1962 erreichte die sogenannte Kuba-Krise ihren Höhepunkt. Nun hat der Bundesnachrichtendienst (BND) - in weiten Teilen - veröffentlicht, was er damals recherchiert hat. Das war nicht nur erstaunlich viel, sondern oft auch noch zutreffend.

Jahrelang hat vor allem ein Bundestagsabgeordneter - Jan Korte von den LINKEN - den deutschen Auslandsgeheimdienst genervt, er solle endlich seine braune Herkunft aufarbeiten. Damit geht es noch nicht allzu flott voran, doch seit der Geheimdienst Ende 2010 unter öffentlichem und parlamentarischem Druck eine (nicht so ganz unabhängige) Historikerkommission berufen hat, kommt manch »Beifang« in die Netze - zum 50. Jahrestag der Kuba-Krise auch allerlei interessante Dokumente aus jenen kriegsgefährlichen Tagen.

Das Kuba betreffende sogenannte Meldungsaufkommen war Anfang der 60er Jahre durchaus vielfältig und zeitnah. Logisch, denn nach Castros Sieg über den Diktator Batista schickte sich das kommunistische System von der Insel aus an, die Weltherrschaft zu übernehmen. Deshalb, so liest man im Vorwort des BND-Chefhistorikers Dr. Bodo Hechelhammer, habe sich der Altnazi und damalige BND-Präsident Reinhard Gehlen »für die Entwicklung in Kuba persönlich interessiert«.

Für den alten Wehrmachtsgeheimdienstler waren die USA viel zu blauäugig das betreffend, was sich auf der Insel tat. Gehlen habe deshalb sogar für einen militärischen Präventivschlag geworben. Er riet Washington, diese »gefährliche kommunistische Bastion, die zugleich eine vorzügliche Ausgangsbasis für die kommunistische Infiltration Lateinamerikas darstellt, durch raschen Zugriff in ihren Machtbereich einzufügen ...« Das man damit keinen dritten Weltkrieg riskiere, ließ er mit vielen anderen Meldungen per Sonderkurier nach Washington übermitteln. Bereits am 7. April 1961 wusste der BND, dass die USA eine Invasionstruppe gegen Kuba losschicken wollte - was dann zehn Tage später erfolgte. Das Scheitern in der Schweinebucht wurde vom BND ausführlich analysiert.

Der Geheimdienst verfügte in jener Zeit über ertragreiche nachrichtendienstliche Kontakte auf Kuba und in Miami (USA), sogenannte »stationäre Quellen«, die natürlich nicht weiter beschrieben werden. Deren Erkenntnisse wurden offenbar von - unbekannten - »Reisequellen« und Zuträgern in den sogenannten Ostblockstaaten, vor allem in der DDR, ergänzt.

Seit 1961 waren dem BND Pläne und Aktivitäten für die Stationierung von sowjetischen Raketen auf Kuba bekannt. Zunächst deutete man das zutreffend als Ausbau Kubas zur »militärischen Festung«. Am 15. Juni 1961 wird über das Ausladen sowjetischer Waffen und Munition im Hafen von Havanna berichtet. Auch »4 große Gegenstände«, von denen man annimmt, dass es Raketen sind, seien dabei gewesen, berichtet eine Quelle. Am 11. November 1961 - die Berliner Mauer stand gerade knapp drei Monate - wird vom Ausbau der Stellungen für Raketen kürzerer Reichweite berichtet. Die Stationierungsorte werden relativ präzise angegeben. Man liest, dass es sich um »Luft-Abwehr-Raketenwaffen, Stalinorgeln und höchstenfalls um Kurzstrecken-Raketenwaffen mit einer Reichweite von etwa 40 Kilometern« handelt. »Mit Sicherheit ist anzunehmen, dass bisher keine Fernraketen auf Kuba vorhanden sind ...«

Nachdem im Juli und August 1962 von einem Aufstand gegen Castro geträumt wurde, konstatiert man gleichzeitig eine Änderung der strategischen Ausrichtung auf Kuba. Daran ist der Aufbau von Stellungen für sowjetische Offensivraketen mit großer Reichweite schuld. Ende August meldet eine als besonders zuverlässig und wichtig eingestufte Quelle: »Bis Ende November werden auf Kuba Raketenabschuss-Basen einsatzbereit sein.« Im Oktober weiß man von zwölf Rampen und einem Waffentyp, »der jede amerikanische Stadt - außer denen im äußersten Nordwesen - treffen kann«. Zu lesen ist auch die Nachricht: »Die Raketen sind auf ihren Abschussbasen installiert und stehen unter Kontrolle von Sowjets, Tschechen und Deutschen.«

Die BND-Akten regen an zu vergleichenden, ergänzenden oder richtigstellenden Untersuchungen. Was findet sich zu diesen Themen in den Akten der DDR-Staatssicherheit, was trug die junge NVA möglicherweise solidarisch bei, wurden wirklich Nachschubschiffe in DDR-Häfen beladen?

Auch als die Krise nach der US-Blockade langsam abkühlte, berichtete der BND und schätzte die Lage ebenso wie Entwicklungslinien relativ seriös ein. Es muss auch für den Warschauer Pakt eine wichtige und beruhigende Erkenntnis gewesen sein, dass der BND dem sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow attestierte, er »würde das Risiko eines atomaren Weltkrieges, den er ebenso scheut wie der Westen, lediglich um der Raketenbasen auf Kuba willen kaum eingehen«.

Eine interessante Facette: Als sich die Krise hochgeschaukelt hatte, erfuhr der BND am 26. Oktober 1962, wie verzweifelt Kuba Unterstützung suchte. Man wollte offenbar ehemalige Angehörige der Waffen-SS anwerben, um als Instrukteure für das kubanische Militär zu arbeiten. Ebenfalls gesucht würden Ex-Offiziere der deutschen Fallschirmjäger und technischer Truppen. Der gebotene Sold sei rund viermal so hoch wie das Durchschnittskommen in Deutschland: Umgerechnet 1000 DM in kubanischer Währung, dazu weitere 1000 DM in jeder beliebigen westlichen Währung und einzuzahlen auf ein beliebiges europäisches Bankkonto. Vier »Ehemalige« sagten wohl zu, zwei sollen auf Kuba angekommen sein, alle gehörten der HIAG, einer Nazikameradschaft der ehemaligen Waffen-SS an.

Und Kuba brauchte Waffen. Über die beiden Rechtsextremisten Otto Ernst Remer und Ernst-Wilhelm Springer versuchte die kubanische Regierung, 4000 belgische Maschinenpistolen zu kaufen, und zwar via Westdeutschland. Die BND-Notiz stammt vom 26. Oktober 1962.

Remer war der Offizier, der 1944 den Stauffenberg-Aufstand gegen Hitler in Berlin niederschlug. Mit ihm war Springer, der Ex-Abgeordnete des niedersächsischen Landtages, 1952 nach Syrien geflohen, Beide kümmerten sich mit anderen Nazis (und der Organisation Gehlen, dem späteren BND) um die Ausrüstung und Ausbildung syrischer Sicherheitsbehörden. Im Januar 1962 hatte »jemand« in Bad Segeberg unter Springers Mercedes eine Bombe angebracht. Aber da ging es wohl eher um Waffenlieferungen für die algerische FLN. Springer blieb am Leben, »man« hatte den alten Kameraden gewarnt. Vielleicht erfährt man ja auch darüber bald mehr aus den Akten des BND.

Dokumentiert:

283/II SB Nr. 165422
Land: SBZ
Betr.; Diskussion über die Kuba-Krise in der SBZ
Z.d.F. 23.10.62
Bew.: C
Aus Ost-Berlin:

1) Die Blockade KUBAs wird in der SED und im Staatsapparat der SBZ auf allen Ebenen heftig diskutiert. In diesen Kreisen besteht keine Klarheit über das Ziel und die Beweggründe für den Entschluss KENNEDYs ...

3) Eine besondere Unruhe oder gar Panikstimmung ist in Funktionärskreisen bisher nicht festzustellen. Man glaubt nicht, dass es den USA mit ihrer Drohung ernst ist.

Aus einer Quellenmeldung an die BND-Zentrale in Pullach



* Aus: neues deutschland, Donnerstag 18. Oktober 2012


Zurück zur Kuba-Seite

Zur Seite "Kalter Krieg"

Zur Atomwaffen-Seite

Zurück zur Homepage