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"Punktuelle Reformen bringen nichts"

Interview mit dem kubanischen Agrarspezialisten Armando Nova *


Kuba ist chronisch klamm an Devisen. Ein großes Loch reißt Jahr für Jahr der hohe Importbedarf an Lebensmitteln, zumal die Preise auf dem Weltmarkt seit 2008 immer neuer Höchststände erreichen. Durch seine vierte Agrarreform, 2008 eingeleitet, wollte und will Kuba die Produktion ausweiten, um den Importbedarf zu senken. Am 23. Dezember soll die Nationalversammlung in Havanna eine weitere Gesetzesnovelle zur Agrarreform beschließen, um ihr neuen Schub zu verleihen. Über Stand und Zukunft der Agrarreform sprach mit Armando Nova für nd (neues deutschland) Bert Beudel.

Armando Nova ist ausgebildeter Ökonom. Er arbeitet seit 1989 als Agronom am Forschungsinstitut der kubanischen Wirtschaft (CEEC). Er ist einer der dienstältesten Wissenschaftler in der wichtigsten Denkfabrik der kubanischen Volkswirtschaft.



nd: Seit rund 20 Jahren funktioniert Kubas Landwirtschaft nicht mehr so richtig. Die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten ist stetig gestiegen, die Produktivität stetig gesunken. Was fehlt, um dem Agrarsektor wieder auf die Beine zu helfen?

Armando Nova: Es sind drei Aspekte, die dem anvisierten Reformprozess im Wege stehen: Zuerst einmal ist es notwendig, dass der Bauer, der den Boden bestellt, auch entscheidet, was er anbaut und zu welchem Preis er verkauft. Das ist nur eingeschränkt der Fall, und dazu gehört auch ein Markt, auf dem Düngemittel, Pestizide, Saatgut, Maschinen und dergleichen angeboten werden. Das ist ein zentrales Element, das es derzeit in Kuba nicht gibt. Das ist ein echtes Problem.

Eine weitere Hürde ist die fehlende Anerkennung der Bedeutung des Marktes. Immer wieder wird die Frage gestellt: Mehr Markt oder weniger Plan? Doch im Kern geht es darum, dass sich die beiden Modelle ergänzen, und da gibt es sicherlich noch den einen oder anderen Lernprozess, den wir in Kuba zu bewältigen haben.

Die dritte Hürde ist eine strukturelle: Wir müssen endlich begreifen, dass wir an unserem ökonomischen System etwas ändern müssen. Punktuelle Reformen bringen nichts, wenn sie nicht in eine Modifizierung des Systems eingebettet sind. Das sind die drei Punkte, an die wir ran müssen.

Welchen Stellenwert hat die bevorstehende Novellierung des Gesetzes 259 in diesem Kontext?

Die ist überfällig, denn es gibt einige Beschränkungen innerhalb dieses Gesetzes, das die Verteilung von Staatsland an Klein- und Neubauern regelt, die von vorn herein kontraproduktiv waren. Dazu gehört das Zeitfenster. Zehn Jahre sind einfach nicht genug, um Land urbar und produktiv zu machen. Die Arbeit auf Staatsland muss schließlich auch für die Bauern attraktiv sein und warum soll der Zeitraum für die Nutzung denn nicht größer sein? Man lässt den ausländischen Investor doch auch einen Golfplatz bauen, den er 29 Jahre nutzen darf.

Wird das Zeitfenster in der Novelle korrigiert?

Ja. Diesen Fehler wird man bei der Gesetzesnovelle korrigieren. Der Zeitraum, für den das Land an die Bauern übergeben wird, wird erweitert werden - 25 Jahre sind der letzte Stand, von dem ich gehört habe. Ein anderer Haken der Reform ist das Thema des eigenen Hauses. Bisher war es nicht gestattet, auf dem Land zu bauen, das einem vom Staat zur Verfügung gestellt wurde. Oder genauer: Bei Rückgabe des Bodens an den Staat nach zehnjähriger Nutzung war es nicht vorgesehen, dass Investitionen, die auf dem Grund und Boden getätigt worden sind, erstattet werden. Folglich ging das eigene Haus an den Staat und das führte dazu, dass die Neubauern erst gar nicht in das Land investieren wollten.

Aber die Bauern leben doch auf dem Land ...

Genau, und es ist ein Strickfehler, davon auszugehen, dass die Bauern nicht auf dem Land leben, das sie bestellen. Zentrales Ziel der Reformen in der Landwirtschaft muss die Umkehr der Landflucht sein - die Wiederbevölkerung des Landes. Und ich hoffe sehr, dass die Gesetzesnovelle mit den Modifikationen am 23. Dezember bei der Sitzung der Nationalversammlung beschlossen wird.

Kommen wir zu den konkreten Maßnahmen. Ende November hat die Regierung in Havanna angekündigt, die bereits vor drei Jahren zugesagten Kreditprogramme für Neubauern auf den Weg zu bringen. Gibt es dafür denn Geld?

Erst kürzlich hatte die Finanzministerin erklärt, dass die finanzielle Situation das kaum zulasse. Sicherlich ist der Bedarf größer als die Verfügbarkeit von Mitteln, aber generell begrüße ich, dass es nun mit dreijähriger Verzögerung Kredite geben wird.

Nach wie vor gibt es ganze Landstriche, die nicht bearbeitet werden, wo nur Gestrüpp zu sehen ist. Fehlt es an Maschinen und Benzin?

Es ist richtig, dass es an Arbeitern, an Technikern, ja an Bevölkerung in einigen Landstrichen fehlt. Dort wird kaum gelebt und gearbeitet. Durch die Reformen soll sich daran etwas ändern. Das ist Teil der Herausforderung, vor der wir stehen. Unstrittig ist zudem, dass es an Vielem fehlt, und daraus resultieren auch die Probleme mit dem Transport.

Für den Transport ist eine staatliche Gesellschaft verantwortlich ...

Acopio heißt diese Gesellschaft, die die Lebensmittel einkauft, den Transport organisiert und leider nicht gut funktioniert. Diese Gesellschaft hat eine Flotte von Lastwagen, doch in der Realität kommt es immer wieder dazu, dass die Ware nicht abgeholt wird und in Lagern verschimmelt. Wir am Institut plädieren für mehr Freiräume für private Transporteure, mehr Möglichkeiten für die Bauern, ihre Produkte selbst zu vermarkten, und für schnellere Reformen.

Chronik der Reformen

1959: Am 17. Mai, rund fünf Monate nach dem Sieg über die Diktatur Fulgencio Batistas, wird das 1. Agrarreformgesetz Kubas in einer unspektakulären Zeremonie von Fidel Castro unterzeichnet. Sämtlicher Landbesitz über der Größe von 400 Hektar wird enteignet. 2,9 Millionen Hektar Land wird parzelliert und aufgeteilt. Alle, die als Pächter oder Landarbeiter den Boden bewirtschafteten, bekommen Land.

1963: Auf die zunehmenden Probleme bei der Versorgung der Bevölkerung reagiert die Regierung mit einer zweiten Agrarreform. Der gesamte Landbesitz, der fünf Caballerias (67 Hektar) übersteigt, wird enteignet. Die Regierung vermutet unter den Bauern, die mehr besitzen, Gegner der Revolution. Kritiker monieren allerdings, dass keine neuen kleinbäuerlichen Strukturen entstanden, sondern mehr und mehr auf große staatliche Farmen gesetzt wird.

1972: Mit der Institutionalisierung der kubanischen Revolution wird auch das sowjetische Agrarmodell mit den großen Staatsgütern in Kuba eingeführt und durchgesetzt.

1985: Das kubanische Agrarmodell gerät in die Krise. Die Erträge auf den großflächigen Staatsgütern sinken und der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln steigt. Das führte schnell zu ersten Problemen. Doch erst mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Langers verschärft sich die Situation derart, dass Reformen eingeleitet werden.

1993: Das tradierte Agrarmodell wird aufgebrochen. Kleinere Einheiten und mehr Anbindung der Arbeiter an den Boden lautet die Devise. Unter dieser Prämisse werden Staatsgüter in Genossenschaften überführt, die Unidades basicas de producción cooperativa (UBPC). Doch die so genannte 3. Agrarreform gewährt den Genossenschaften keine Autonomie. Die Entscheidungen darüber, was und wie viel sie produzieren, wird nicht in den Genossenschaften, sondern im Agrarministerium getroffen.

2008: Im Juli 2008 wird die 4. Agrarreform verkündet, die rund zwei Millionen Hektar Brachland an Klein- und Neubauern verteilen soll. Bis 2011 sind 1,1 Millionen Hektar an Klein- und Neubauern vergeben.

2011: Eine Novelle zum Agrarreformgesetz von 2008 wird erarbeitet. BB



* Aus: neues deutschland, 22. Dezember 2011


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