Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Im Umbruch

In Kuba sind die ersten Wirtschaftsreformen in Kraft getreten

Von Steffen Niese, Havanna *

Am vergangenen Freitag (1. Okt.) sind in Kuba die ersten Maßnahmen zu einer Reform des bestehenden Wirtschaftsmodelles in Kraft getreten. Die neuen Bestimmungen sehen eine Ausweitung des privatwirtschaftlichen Sektors auch auf zahlreiche bisher vom Staat kontrollierte Berufssparten vor. Konkret geht es dabei um 178 Dienstleistungen in den Bereichen der Gastronomie, des Transportwesens sowie des Handwerks, die künftig von Privatunternehmen erbracht werden dürfen. Die Ausweitung der auch als »Arbeit auf eigene Rechnung« bezeichneten Tätigkeiten soll neben einer Entlastung des Staatshaushaltes durch die Freigabe bislang unrentabler und hochsubventionierter Aufgaben dazu beitragen, denjenigen Arbeitern und Angestellten eine Perspektive zu bieten, die im Zuge der geplanten Umstrukturierungen im staatlichen Sektor ihre bisherige Arbeit verlieren werden.

Bei diesen Stellenstreichungen, von denen nach vorläufigen Schätzungen bis zu einer Million Kubanerinnen und Kubaner betroffen sein könnten, handelt es sich jedoch nicht um Massenentlassungen. Die Menschen sollen nicht, wie es der westlichen Kapitallogik entsprechen würde, ihrem Schicksal überlassen werden, sondern mit Hilfe des Staates eine neue, sinnvolle Beschäftigung finden. Da allerdings die Anzahl der neu zu besetzenden Stellen im staatlichen Sektor begrenzt ist, soll sich ein Großteil der auf Arbeitssuche befindlichen Menschen im privatwirtschaftlichen Sektor engagieren. Um diese Umorientierung zu erleichtern und zu beschleunigen, soll neben der raschen und unbürokratischen Lizenzvergabe auch ein neues und effizientes Steuersystem geschaffen werden, das dem Staat zusätzliche Einnahmen verschaffen soll.

Ökonomischer Hintergrund ist, daß die Erholung der kubanischen Wirtschaft nach einem auf die Spezialperiode zu Beginn der 90er Jahre folgenden Aufschwung seit einiger Zeit ins Stocken geraten ist. Zu der Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation haben neben der bestehenden völkerrechtswidrigen US-Blockade vor allem die enormen Hurrikanschäden des Jahres 2008 sowie die Weltwirtschaftskrise beigetragen, die vor allem den devisenträchtigen Exportsektor schwer getroffen hat.

Der kubanische Präsident Raúl Castro hat wiederholt betont, daß die sozialen Errungenschaften der Revolution nur dann dauerhaft aufrechterhalten werden können, wenn es gelingt, die enormen Staatsausgaben zu senken und die Produktivität entscheidend zu steigern. Allerdings ist die Lage nicht so hoffnungslos und dramatisch, wie sie in diesen Tagen von der Weltpresse gezeichnet wird. Sie ist vor allem nicht mit den dramatischen Zuständen zu Beginn der 90er Jahre zu vergleichen. Die Resultate der nun beginnenden Strukturreformen sind noch abzuwarten. Doch die politische Führung in Havanna hat den Handlungsbedarf erkannt und ist bereit, pragmatische und undogmatische Entscheidungen zu fällen.

* Aus: junge Welt, 4. Okt. 2010


Zurück zur Kuba-Seite

Zurück zur Homepage