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"China ist ein Extrem, aber Kuba ist eine andere Sache"

Über karibischen Sozialismus und Solidarität, Rum, Wodka, revolutionären Schwung und die Antriebslosigkeit von Apparaten. Ein Gespräch mit Heinz Langer *


Heinz Langer, geboren 1935 in Schwarzheide. Gelernter Dreher, 1953 Facharbeiter im VEB Braunkohlenwerk Lauchhammer-Ost. Von 1953 bis ’56 Abitur an der Arbeiter- und Bauern-Fakultät in Leipzig und Halle. Anschließend Studium am Moskauer Institut für internationale Beziehungen. Ab 1962 in der Lateinamerika-Abteilung des DDR-Außenministeriums (MfAA). 1964/65 Kultur­attaché in Havanna. 1965 bis ’69 Sektorleiter im MfAA für Chile, Argentinien und Brasilien. Von 1969 bis 1973 in der DDR-Handelsvertretung in Rio de Janeiro. 1973 bis ’75 beim ZK der SED für Lateinamerika zuständig. 1975 bis ’79 und ’83 bis ’86 Botschafter der DDR in Kuba. 1975 bis ’79 zweitakkreditiert als Botschafter in ­Guyana sowie von 1977 bis 1979 und von 1984 bis 1986 zweitakkreditiert in Jamaika. 1989 war er Direktor des Büros für die DDR-Kulturzentren im Ausland. Träger des Vaterländischen Verdienstordens der DDR. Heinz Langer ist aktiv in der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba.


Ende 1956 landeten Fidel Castro, Ernesto Che Guevara und eine Gruppe Gleichgesinnter mit der Yacht »Granma« an der kubanischen Küste an. Nach einem zweijährigen Guerillakampf zogen sie mit einer Rebellenarmee in Havanna und Santa Clara ein. Wie haben Sie die kubanische Revolution erlebt?

Ich war damals Student am Moskauer Institut für internationale Beziehungen. Über die Kämpfe habe ich eine ziemlich umfangreiche Arbeit geschrieben, zu einer Zeit, als die Bewegung des 26. Juli [1] von Castro und Guevara noch in der Sierra Maestra kämpfte. Keiner wußte so richtig, welche Richtung die einschlagen wollten. Fidel und seine Leute hatten ihr Unternehmen in Mexiko vorbereitet, aber sie hatten offensichtlich sehr gute Verbindungen in die USA, wo sie sich mit Waffen eindeckten. Später, in der Sierra Maestra, hatten sie US-amerikanische Berater, aber die haben dann wohl festgestellt, daß die »Bewegung des 26. Juli« nicht der richtige Partner für Washington war.

Wie kam Ihr Interesse an der kubanischen Revolution zustande?

Am Institut gab es eine Ostfakultät und eine Westfakultät. Ich war an der Westfakultät und hatte mich für die Spezialisierung Lateinamerika entschieden. 1960 kam Che Guevara nach Moskau, und ein Teil seiner Delegation besuchte unser Institut. Die Diskussionen, die wir dann führten, haben mich irgendwie begeistert, und ich dachte, das wäre doch das Richtige. Aber da war noch nicht klar, daß ich später nach Kuba gehen würde. Ich wurde nach Abschluß meines Studiums im Außenministerium in der Sektion für den sogenannten Cononsur eingesetzt: Argentinien, Uruguay, Brasilien und Chile. Da war ich dann, bis man dachte, jetzt müßte man den mal ein bißchen prüfen, wie er im Ausland arbeitet. Ich wurde als Attaché nach Kuba geschickt. Das war 1964.

Damals gab es die Kommunistische Partei in der heutigen Form noch nicht, die politischen Institutionen waren noch nicht festgefügt ...

Das war eine sehr komplizierte Lage, und ich war froh, daß ich Kulturattaché wurde und nicht im politischen Bereich arbeiten mußte. Es gab drei Bewegungen: Die Sozialistische Volkspartei, das war unsere sogenannte Bruderpartei. Die hatte ihre Hauptfiguren in Moskau. Der ganze Funktionärsstab war in der Emigration, denn sie waren unter der Batista-Diktatur sehr stark verfolgt worden. Dann gab es das Revolutionäre Direktorium des 13. März. Das war eine studentische patriotische Bewegung. Und dann natürlich das »Movimiento-26-7«, angeführt von Fidel und seinen Kommandanten, das die Hauptlast des militärischen Sieges getragen hatte. Jetzt wurde versucht, diese drei Kräfte zusammenzuführen, was nicht immer glattging. Die Sozialistische Volkspartei hatte die KPdSU im Rücken, und ihre Führer dachten nun, sie könnten die Situation nutzen, um die Macht zu übernehmen. Das klappte aber nicht, weil die eigentliche Macht in den Händen der Bewegung des 26. Juli lag. Deshalb fingen sie an zu konspirieren. Sie waren landesweit die am besten organisierte Kraft, sie hatten große Tradition, es war eine gute, starke Partei. Aber ihr Führer Anibal Escalante versuchte, den Apparat der sich bildenden einheitlichen Bewegung unter seine Kontrolle zu bringen. Die haben ihn dann rausgeschmissen. Gott sei Dank gab es im Politibüro auch vernünftige Leute.

Was war damals Ihre Aufgabe?

Wir hatten einen ganz regen Kulturaustausch. Ich kam überall im Lande rum, in Begleitung von Delegationen, vor allem aus dem Sport, dem Verlagswesen, der Volksbildung. Die DDR hat die kubanische Alphabetisierungskampagne unterstützt und später für den Aufbau des Bildungsprogrammes, insbesondere in den Grundschulen, viel geleistet. Die Deutsche Hochschule für Körperkultur in Leipzig hat nicht nur modernste Trainingsgeräte zur Ausbildung von Spitzensportlern geschickt, sondern auch die entsprechenden Trainer und Wissenschaftler. Die haben die Sporthochschule mit aufgebaut. Das Instituto del Libro wurde von der Hauptverwaltung Verlage des DDR-Ministeriums für Kultur mit aufgebaut. Der Haack-Verlag hat einige Tausend Atlanten geliefert für die Schulen, auch Wandkarten. Auf dieser Ebene hat sich meine Arbeit abgespielt. Es war mehr eine organisatorische Tätigkeit, wobei ich allerdings das Land bestens kennengelernt habe. Das hat mir Spaß gemacht. Bei einem internationalen Schachturnier im Hotel Habana Libre habe ich Che Guevara getroffen. Ich betreute damals Wolfgang Uhlmann, unseren Großmeister aus Dresden. Ich war seit meiner Zeit in Moskau ein großer Schachfanatiker, wird haben überall in den Pausen Schach gespielt. Als das Turnier zu Ende war, kam Che Guevara mit seinem Inhalationsapparat – er war ja schwer asthmakrank – und Zigarre auf mich zu. Wir beide haben die wichtigsten Partien nachgespielt. Als später die erste Wirtschaftsdelegation kam – das erste Zuckerabkommen wurde 1965 unter Leitung von Werner Jarowinsky abgeschlossen – haben wir mit Che Guevara, der damals Wirtschaftsminister war, eine ganze Woche lang um die Preise gekämpft – nachts natürlich, alles nachts.

Wie ist nach Ihrer Erinnerung die kubanische Revolution damals in der Führung der SED reflektiert worden? Hatte die DDR ein besonderes Verhältnis zu Kuba?

Natürlich war die KPdSU für unsere Partei das tonangebende Vorbild. 1960 war die große Guevara-Delegation in Moskau, im Oktober fand dort eine Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien statt. Ulbricht kam nach Berlin zurück, es gab ein Plenum des ZK, und er gab grünes Licht, Kuba allseitig zu unterstützen. Da ging es los. Zuerst sind Jugendliche nach Kuba gefahren, haben Bücher geschrieben, es kamen Journalistendelegationen. Ludwig Renn war hier, wo wir beide jetzt auf der Buchmesse in Havanna sitzen, bei der Gründung der Vereinigung der Schriftsteller und Künstler. Die Gewerkschaften haben erste Kontakte hergestellt. Wir hatten dann schon eine gewisse Handelsvertretung hier, die ersten Wirtschaftsabkommen geschlossen. Heinrich Rau, damals unser Außenhandelsminister, und Che Guevara waren sich einig, die Beziehungen erst mal auf der Ebene diplomatischer Missionen zu halten und vorerst keine Botschaften einzurichten, weil sie die Bundesdeutschen nicht verprellen wollten. Aber dann haben sie sich doch darüber hinweggesetzt. ’62 wurde die Botschaft eröffnet, und da hat Bonn sofort die Beziehungen abgebrochen.

Wann wurden die wieder aufgenommen?

Kurz nach meiner Ankunft als Botschafter ’75. Der Bonner mußte dann immer hinter mir stehen in der protokollarischen Reihe. Das hat ihm gar nicht gefallen. Das war ein altgedienter Leutnant der Wehrmacht, der vor Moskau verwundet worden war. Bei den Empfängen hat er sich immer auf den sowjetischen Botschafter gestürzt und gesagt: Vor Moskau hat man mich fast totgeschossen. Einmal ist mir der Kragen geplatzt, und ich habe gesagt: Warum mußten Sie eigentlich bis nach Moskau fahren, um sich eine solche Wunde zu holen? Das hätten Sie doch in Berlin viel billiger haben können. Da waren die Lacher natürlich auf unserer Seite. Ansonsten hatten wir ein ordentliches, sehr gutes Verhältnis. Die BRD-Vertreter kriegten ja wenig Kontakte zu kubanischen Organen, die hatten nur protokollarisch, vorschriftsmäßig mit dem Außenministerium Kontakt. Aber die richtigen Informationen, die kamen natürlich von der Partei. Und da haben die Bundesdeutschen bei uns nachgefragt. Auch in Sachen Afrika: Die meisten westlichen Botschafter hatten ihre Afrika-Experten in Havanna.

Kuba hat bei der Befreiung Afrikas vom Kolonialismus in den 60er Jahren bis hin zur endgültigen Niederlage des südafrikanischen Apartheidregimes eine Schlüsselrolle gespielt. Wie wurde das in der DDR-Führung beurteilt? Die DDR hatte ja auch enge Beziehungen mit vielen jungen Nationalstaaten.

Afrika war für uns ein sehr wichtiges politisches Feld. Die Menschen dort haben versucht, die Kolonialherrschaft loszuwerden, und wir haben sie zumindest moralisch unterstützt. Die Kubaner haben Befreiungsbewegungen beraten und sich direkt mit eigenen Kampfeinheiten engagiert. Zuerst in Algerien gegen Marokko zur Unterstützung der Polisario. Dann ging es los mit Portugal und dessen Kolonien Angola und Moçambique. In Angola kam es im Herbst ’74 zur entscheidenden Schlacht gegen die südafrikanischen Truppen. Wie mir Fidel später sagte, bestand damals sogar die Gefahr, daß die Südafrikaner Atomwaffen einsetzen, die aus Israel geliefert worden waren. Damals standen 35000 kubanische Soldaten in Angola. Und mit ihren »Katjuscha«-Mehrfachraketenwerfern haben sie bei den Südafrikanern enormen Eindruck gemacht.

Wie hat Moskau das Vorpreschen der Kubaner in Afrika aufgenommen?

Die Sowjetunion hat das nicht immer mit großer Freude gesehen, sie mußte den Kubanern aber politische Rückendeckung geben, es blieb ihr gar keine Alternative. Als es in Angola losging, haben die Kubaner Panzer eingesetzt, das war überhaupt nicht abgesprochen mit der Sowjetischen Armee. Als im März ’75 der große Regen kam, war die Armee dem im Busch vollkommen schutzlos ausgesetzt. Da mußten Zelte hin und andere Ausrüstungen, medizinische Hilfe und Geräte. Wir haben hier in Havanna eine Koordinationsstelle eingerichtet. Fidel war fast jeden Monat zwei, drei Mal bei mir in der Residenz mit einer entsprechenden Liste und der Landkarte von Angola und hat mir erklärt, wo der nächste Schlag stattfinden würde. Er hat diese ganze Geschichte in Afrika persönlich von Kuba aus geleitet. Viele Aktionen waren mit der Sowjetunion nicht abgestimmt. Es kann sein, daß Fidel die sowjetische Generalität, die hier in Kuba stationiert war, informiert hat, in der Hoffnung, daß die das an ihre Führung in Moskau weiterleiten. Der sowjetische Botschafter, mit dem ich ein sehr gutes Verhältnis hatte, hat gesagt, das müssen die Krieger machen.

Aber die Initiative für dieses militärische Engagement ...

... ging eindeutig von Kuba aus. Moskau konnte die Kubaner auf keinen Fall alleinlassen. Als Honecker seinen ersten großen Afrikabesuch machte, wurde ich beauftragt, Fidels Einschätzung der einzelnen Persönlichkeiten dort zu besorgen. Honecker hatte dann in Afrika immer eine halbe Kompanie kubanischer Soldaten als Personenschützer im Flugzeug. Das hat ihn sehr beeindruckt, und als Fidel wieder mal in Afrika war, hat er von Algerien aus direkt bei Honecker angerufen und gesagt, morgen möchte ich bei dir vorbeikommen und dich informieren. Das hatte es bis dahin in der Diplomatie überhaupt noch nicht gegeben. Ich war zufällig auf Urlaub zu Hause. Das war der beste Besuch, da brauchten wir nicht tonnenweise Papiere vorzubereiten. Das ging frei aus dem Handgelenk.

Als Sie ’75 als Botschafter hierher zurückkamen, waren zehn Jahre ins Land gegangen. Was hatte sich verändert?

Ich ging ’73 aus Brasilien zurück nach Berlin. Dann kam der Putsch in Chile, und ich mußte zu Hause die ganzen Hilfsaktionen koordinieren und hatte sehr viel Kontakt mit den Kubanern. Die Amerikaabteilung des kubanischen ZK war damals mehr in Berlin als in Havanna. 1974 begleitete ich Honecker auf seiner ersten Reise nach Kuba. Da gab es große Schwierigkeiten. Die kubanische Partei hatte ganz exakt die Tätigkeit unserer Außenhandelsorgane in Kuba analysiert und große Schwächen aufgedeckt in den Lieferungen, Preisen, Dienstleistungen, Ersatzteillieferungen und so weiter. Das war eine lange Latte, die Fidel dem Honecker am letzten Tag in Havanna vorgerechnet hat. Dann sind wir mit der Sondermaschine nach Hause geflogen. Vorher hat Honecker noch den Botschafter und den Leiter der Wirtschaftskommission abgesetzt, weil die die Führung und Honecker selbst völlig falsch informiert hatten. Die haben ihn faktisch ins Abseits laufen lassen. Er hatte immer eine große Hochachtung vor Fidel, und das war ihm dann sehr peinlich, zumal er am ersten Tag des Besuches zehn Stunden lang über die großartige DDR fabuliert hatte, was wir so alles könnten … Und Fidel blieben dann am letzten Tag nur zwei Stunden übrig, was zu erwidern … Das allein war schon ein Affront. Jeder wußte, daß Fidel gern tagelang spricht. Und dann kam das Echo so hart. So wurde ich zum Botschafter ernannt. Ich sollte versuchen, die Scharten auszuwetzen. Mein Schwerpunkt war vor allem die Ökonomie.

Warum fühlten sich die Kubaner über den Tisch gezogen?

Unsere Lieferpalette war natürlich breiter, das ging von der Ausbildung kubanischer Fachkräfte bis zur kleinsten Schraube. Es war ganz klar, daß da mehr Probleme auftauchten. Die Kubaner schickten eben nur Zucker und Tabak. Und dann war es leider so, daß bei uns in der DDR auch viel mit gezinkten Karten gespielt wurde, besonders auf wirtschaftlichem Gebiet. Ich bin manchmal im Sommerurlaub ins Außenhandelsministerium gegangen und habe den zuständigen stellvertretenden Minister gefragt, wie das aussieht mit der Planerfüllung. Das war meistens im Juli, und der sagte, wir haben erst mal 30 Prozent erfüllt. Also, es gab Riesenschwierigkeiten. Und leider hat bei uns die Parteiführung alle Details selber entschieden, viele Minister haben sich hinter dem Politbüro verkrochen und die Dinge schleifen lassen. Wir hatten eine sehr gute Zusammenarbeit in Sachen Zuckerindustrie. Das war ja damals das Herzstück der kubanischen Wirtschaft. Wir haben Dampferzeuger geliefert, Pumpen, Kühlsysteme und vieles andere. Eine ganz sensible Geschichte. Wenn da irgendwas nicht gekommen ist wie abgesprochen, hat das die kubanische Wirtschaft ernsthaft gefährdet. Das war dann schon ein Politikum. Da mußte ich als oberster Repräsentant hier im Lande meinen Kopf hinhalten.

Gab es damals Überlegungen, wie Kuba mittel- und langfristig aus der Monowirtschaft herauskommt?

Für diejenigen, die sich ernsthaft wissenschaftlich mit Kuba beschäftigt haben, war das ein großes Problem. Aber die Praxis war eben anders. Kuba hat im Schnitt jedes Jahr acht Millionen Tonnen Zucker produziert. Die Sowjetunion hat fünf Millionen abgenommen, zusätzlich zu den fünf Millionen, die sie selbst produzierten. Die hatten einen enormen Bedarf wegen ihres riesigen Wodkakonsums. Für Kuba bedeutete das aber, es gab keinen Weg, die Warenströme und die Produktionsverhältnisse anders zu gestalten. Die Ökonomen, die daran gearbeitet haben, die Wirtschaft etwas breiter aufzustellen, sind nie richtig zum Zuge gekommen. Das ist erst nach 1990 passiert. Insofern hat sich für die Autonomie der kubanischen Wirtschaft nach der Wende sehr viel getan.

Besteht das Risiko, daß sich Kuba wieder monowirtschaftlich ausrichtet – diesmal auf den Tourismus?

Tourismus ist eine der Haupteinnahmequellen für Devisen, die ganz dringend gebraucht werden. Durch die Blockade und durch die Situation auf dem internationalen Finanzmarkt sind die Kubaner sehr schlecht dran. Sie kriegen keine Kredite, weder von der Weltbank noch vom Internationalen Währungsfonds. Sie müssen alle großen Investitionen mit normalen kommerziellen Krediten mit bis zu 25 Prozent Zinsen bestreiten. Das ist für die kubanische Wirtschaft ein unheimliches Problem. Der Tourismus entschärft die Situation etwas. Voriges Jahr hatten sie 2,7 Millionen Touristen. Dazu kommt der Nickelbergbau. Der bringt eigentlich viel Geld, wenn’s normal läuft. Fast soviel wie der Tourismus. Die Nickelpreise sind jetzt wieder am Wachsen, nachdem sie in der Weltwirtschaftskrise vor drei Jahren bis zu 45 Prozent eingebrochen waren. Eine weitere Devisenquelle sind die Geldüberweisungen der im Ausland lebenden Kubaner, vor allem aus Miami und Mexiko. Bereits in den Jahren 2009 und 2010 bestanden die kubanischen Exporte nur noch zu vier Prozent aus Rohstoffen, der überwiegende Anteil sind Dienstleistungen. Und das ist wahrscheinlich perspektivisch die Lösung, denn sie haben ja unheimlich viel in die Bildung des Volkes investiert. Und jetzt müssen sie eben, wie Fidel sagt, Humankapital ausbeuten.

Kuba hatte vor drei, vier Jahren etwa schon über 500 internationale Patente angemeldet. Dann ist da die medizinische Hilfe. Nicht alle Länder sind so arm, daß sie nichts bezahlen können. Dort, wo es wirklich notwendig ist, da machen die Kubaner es kostenlos. Aber reichere Länder müssen bezahlen. Es gibt auch andere Dienstleistungen, die exportiert werden, sehr viele Sporttrainer arbeiten im Ausland. Die Ausbildung von Ausländern hier in Kuba ist sehr umfangreich. Und sie wollen die traditionellen Exportgüter wieder mehr fördern, wie Rum und Zigarren.

Die DDR hat zweifellos eine Menge für Kuba getan. Hat sie umgekehrt auch von Kuba profitiert – etwa durch neue politische Ideen, die aus Havanna kamen?

Ich habe manchmal gehofft, daß zumindest unsere führenden Genossen, die ständig hier waren, mehr von diesem revolutionären Schwung und von dieser Begeisterung mitnehmen würden und zu Hause umsetzen. Aber viele waren dafür zu sehr von sich eingenommen und zu stark fixiert auf die KPdSU. Zwar wollte jeder mit Fidel sprechen, aber nur, damit sie ein wichtiges Protokoll an Honecker geben konnten. Es war nicht sehr angenehm, wenn die Spitze kam, muß ich ehrlich sagen.

Es gab in der DDR aber auch echtes Interesse an der kubanischen Revolution?

Ja, vor allem an den Universitäten. In Rostock am Lateinamerika-Institut oder in Leipzig am Herder-Institut. Bei Filmschaffenden … Konrad Wolf war oft hier. Überall, wo es ein natürliches, unvoreingenommenes Leben gab, reagierten die Menschen interessiert und aufgeschlossen. Auch in militärischen Einheiten, in der NVA, herrschte Begeisterung.

Mittlerweile hat Kuba als sozialistisches Land länger durchgehalten als die DDR. Was empfinden Sie, wenn Sie heute hierher kommen?

Ich freue mich natürlich. Ich beschäftige mich mit dem Land nicht nur um seiner selbst willen, sondern weil ich interessiert daran bin, wie das mit dem Sozialismus weitergeht. Ich bin davon völlig überzeugt, daß der Kapitalismus als System seine Aufgabe in der Welt erfüllt hat. Und ich glaube auch, daß die Krise noch tiefer wird und daß sich früher oder später etwas ändern muß. Nun gibt es verschiedene Versuche des Sozialismus. China ist ein Extrem, und Kuba ist eine andere Sache. Ich glaube, daß Kuba jetzt erstmals die wirtschaftliche Basis hat, sich nach eigenen Gesetzmäßigkeiten souverän zu entwickeln.

[1] Bewegung des 26. Juli (span.: Movimiento 26 de julio, M-26-7): Von Fidel Castro begründete politisch-militärische Organisation, führende Kraft der kubanischen Revolution. Der Name geht auf das Datum des Angriffs auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba am 26. Juli 1953 zurück. Der Handstreich unter Führung von Fidel Castro scheiterte zwar, doch er gilt als Ausgangspunkt des siegreichen Guerrillakriegs gegen das autoritäre Batista-Regime. Der 26. Juli ist der Nationalfeiertag der Republik Kuba.

Interview: Jörn Boewe im ­Februar 2012 in Havanna

* Aus: junge Welt, 24. März 2012


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