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Kuba geht mit seiner vierten Landwirtschaftsreform neue Wege

Ernteausfälle durch Hurrikans und hohe Importkosten erfordern zügige Umsetzung

Von Patrick Widera *

Die zentrale Herausforderung Kubas liegt in einer grundlegenden Reform der Landwirtschaft. Erschwert wird der Prozess sowohl durch die Schäden der Hurrikans als auch durch die extremen Preisschwankungen an den Rohstoff- und Kapitalmärkten.

Eigentlich könnte sich Gerardo Peñalver, der Botschafter der Republik Kuba, entspannt zurücklehnen und die globale Finanzkrise mit einem Schulterzucken zur Kenntnis nehmen. Im Gegensatz zu den großen Banken in Europa und den USA hat die Banco Nacional de Cuba sich nicht an der Jagd nach dem Maximalprofit auf den Finanzmärkten beteiligt. Sie ist bis heute ein Instrument der nationalen Entwicklungspolitik geblieben – niedrige Zinsen, lange Rückzahlungsfristen und eine gesicherte Liquidität bestimmen das Bild der kubanischen Finanzpolitik. »Ein Modell, das sich jetzt auszahlt«, so Peñalver.

Trotzdem wird auch Kuba nicht von der Finanzkrise verschont bleiben. »Kuba liegt ja nicht auf dem Mond, sondern ist Teil dieser Welt«, erwähnt Nidoberto Sangabino, der Wirtschaftsrat der kubanischen Botschaft, mit einem breiten Lachen im Gesicht, wird aber im nächsten Moment schon wieder ernst. Aus gutem Grund: Kuba musste 2008 2,55 Milliarden Dollar allein für Nahrungsmittelimporte aufwenden, fast 75 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, obwohl der Umfang der Einfuhren gleichzeitig gesenkt werden konnte. Eine Folge der Spekulationseskapaden auf den globalen Märkten.

»Dass jetzt die Kurse einbrechen, führt nicht notwendigerweise zu einer dauerhaften Senkung der Preise auf dem Weltmarkt«, erklärt Sangabino. Wen wundert es da, dass der Entwicklung der Landwirtschaft auf Kuba im Moment die größte Aufmerksamkeit geschenkt wird. Im Zuge der vierten Landwirtschaftsreform seit der Revolution wurden in den vergangenen Monaten mehr als 30 000 Anträge von Landarbeitern, Kleinbauern und Genossenschaften an die Landwirtschaftsbüros in den 169 Kreisen des Landes gestellt, um brachliegendes Ackerland zugeteilt zu bekommen. Dass diese Aufgabe nicht mehr vom Agrarministerium in Havanna zentral verwaltet wird, sondern dezentral, ist eine weitere Neuerung, die die Agrarreform mit sich gebracht hat. Ziel der Anstrengungen im Landwirtschaftssektor ist dabei letztlich nicht nur die Verbesserung der Ernährungssituation. Nach und nach ist man auf Kuba auch zu der Einsicht gelangt, dass ein entscheidender Hebel zur Steigerung der Produktivität die Entwicklung von Eigentümerbewusstsein ist. »Aber«, so hebt Peñalver hervor, »Eigentümerbewusstsein im sozialistischen Sinne!« Wer Land zugeteilt bekommt, darf es zwar in Eigenverantwortung bestellen und die Überschüsse auf lokalen Bauernmärkten verkaufen. Doch sind die Produzenten verpflichtet, einen festgelegten Teil ihrer Erträge zu fixen Preisen an den Staat zu verkaufen. »Diese Produktionsvereinbarungen sollen das gesellschaftliche Eigentum und das persönliche Interesse miteinander produktiv verbinden«, fügt Sangabino hinzu.

Die schnelle Umsetzung der Agrarreform wird, angesichts der enormen Schäden durch die Hurrikans »Gustav« und »Ike«, auch zu einer strategischen Herausforderung für Kuba. Denn über ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche wurde zerstört und es wird mit spürbaren Schwierigkeiten bei der Nahrungsmittelversorgung in den kommenden sechs bis zwölf Monaten gerechnet. »Die Menschen werden nicht hungern müssen, aber das Angebot wird sich verständlicherweise reduzieren«, so Peñalver, »denn das war die schlimmste Naturkatastrophe, die Kuba seit über 160 Jahren heimgesucht hat.« Alle verfügbaren Ressourcen des Landes werden momentan in jene Regionen geschickt, die am schwersten von den Hurrikans getroffen wurden. Damit die Ernteausfälle schnell wieder kompensiert werden können, ist man gleichzeitig dazu übergegangen, schnell wachsende Grundnahrungsmittel, wie etwa Kartoffeln, bevorzugt anzubauen, die man dann in drei bis vier Monaten schon ernten kann.

Um die Schäden durch die Hurrikans so schnell als möglich beseitigen zu können, hat Kuba nach der Naturkatastrophe aus vielen Ländern solidarische Hilfe erhalten. 61 Staaten haben materielle und finanzielle Spenden nach Kuba geschickt, darunter Länder wie Namibia oder Osttimor, die oft weit größere Beträge bereitgestellt haben, wie etwa die USA und die Europäische Union zusammen. Auch von Solidaritätsorganisationen aus der ganzen Welt werden finanzielle und materielle Spenden nach Kuba gebracht. Um den Opfern der Naturkatastrophe in der Provinz Pinar del Rio schnellstmöglich zu helfen, hat zum Beispiel die Solidaritätsorganisation Cuba Sí allein 15 Tonnen Hilfsgüter im Wert von ca. 150 000 Euro, darunter Baumaterialien, Werkzeuge und Arbeitsbekleidung, und 180 000 Euro als Soforthilfe auf den Weg gebracht. Zum Vergleich, das Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit hat Kuba eine Soforthilfe von 300 000 Euro zur Verfügung gestellt. Bei einem Gesamtschaden von über fünf Milliarden Dollar bleiben diese Hilfsleistungen zuallererst aber eine moralische Unterstützung. »Sie dienen dazu, die Moral der Menschen zu heben und ihnen Kraft für die Anstrengungen des Wiederaufbaus zu geben«, meint Peñalver. »Aber, und das darf man auch nicht vergessen, hilft natürlich jede Spende, die Situation auf Kuba zu verbessern.« Gerade Baumaterialien und Werkzeuge, die durch die Blockade oft nur schwer zu bekommen sind, werden mit großer Dankbarkeit entgegen genommen.


Sonderspendenkonto beim Parteivorstand DIE LINKE/Cuba Sí: Kto: 13 22 22 10 BLZ: 100 500 00, Berliner Sparkasse. VWZ: Milch für Kubas Kinder/Pinar del Rio



* Aus: Neues Deutschland, 4. November 2008