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Kubas Zukunft liegt auf dem Land

Agrarsektor der Karibikinsel steht vor einem großen Strukturwandel

Der Mittdreißiger Alcides López Labrada ist Vizeminister für Landwirtschaft in Kuba und weilte gerade auf Einladung von Cuba Sí in Deutschland. Über die internationale Nahrungsmittelkrise und die Herausforderungen im kubanischen Agrarsektor sprach mit ihm für das "Neue Deutschland" (ND) Martin Ling.



ND: Die kubanische Landwirtschaft steht vor einer großen Herausforderung. Kuba hängt massiv von Lebensmittelimporten ab und die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel steigen rapide. Wie will Kuba dieser Herausforderung begegnen?

Alcides López Labrada: In der Tat sind wir derzeit noch gezwungen, 76 Prozent unserer Lebensmittel zu importieren. In der Nahrungsmittelkrise, die die Welt derzeit durchschreitet, mit den steigenden Nahrungsmittelpreisen, liegt auch eine Chance für die kubanische Landwirtschaft. Wir müssen uns wieder verstärkt der Entwicklung auf dem Land zuwenden ist. Das hat der Präsident Raúl Castro bereits erklärt. Diese neue Etappe heißt »Wir müssen uns dem Land zuwenden, um es produktiv zu machen!« Mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Kuba liegt derzeit brach -- mit steigender Tendenz in den letzten zehn Jahren. Diese Tendenz muss umgekehrt werden. Deshalb werden künftig im Agrarsektor die Mittel denen zufließen, die am effizientesten produzieren, sei es eine staatliche Farm, eine Kooperative oder ein Kleinbauer. Das gilt auch für ungenutzte Flächen.

Lassen sich die durch die Weltmarktpreisentwicklung gestiegenen Kosten für Kuba spezifizieren?

Ja. Für uns ist 2005 ein Referenzjahr, weil bereits damals begonnen wurde, der Abhängigkeit von den Nahrungsmittelimporten entgegenzusteuern. Damals beliefen sich die Nahrungsmittelimporte auf 1,8 Milliarden Dollar. 2007 zeigte die Strategie zur Verringerung der Importe Wirkung: Die Importkosten reduzierten sich auf 1,5 Milliarden US-Dollar. 2008 muss Kuba wegen des Aufkommens von Biotreibstoffen und der hohen Erdölpreise, die auch die Nahrungsmittelpreise treiben, eine Milliarde US-Dollar zusätzlich für dieselbe Menge an Nahrungsmitteln berappen. Das hat bei uns das Bewusstsein dafür geschärft, dass wir uns dem Land zuwenden müssen. Nicht nur in dem Sinne, dass wieder mehr Menschen auf dem Land arbeiten müssen, sondern auch, dass wir an den Universitäten wieder mehr Agraringenieure und Tierärzte ausbilden müssen. Außerdem müssen wir die Landflucht -- eine weltweite Tendenz -- begrenzen und umkehren, indem wir das Leben auf dem Land attraktiv machen.

Wie soll das passieren?

Das Gesetz 259 wurde bereits verabschiedet. Es ermöglicht allen Kubanern und allen Kubanerinnen, brach liegendes Land zu pachten. Privatpersonen können bis zu 13,42 Hektar Land für zunächst zehn Jahre pachten. Private Landwirte, die bereits über Nutzflächen verfügen, dürfen ihren Besitz auf maximal 40,26 Hektar erhöhen. Außerdem soll ein Teil der brach liegenden Ackerflächen an staatliche Betriebe und Kooperativen gehen. Kuba wendet sich wieder dem Land zu. Das ist eine sehr wichtige Entwicklung.

Gibt es überhaupt genügend Kubaner, die Interesse an der Arbeit in der Landwirtschaft haben, die häufig beschwerlich ist?

Ich denke schon. Es gibt sowohl Menschen, die dem Land einst den Rücken gekehrt haben und sich nun wieder dem Land zuwenden und sogar Städter, die im Leben auf dem Land eine neue Perspektive sehen. Die Möglichkeit, für zehn Jahre Land pachten zu können, eröffnet für viele einen neuen Horizont. Machen sie ihren Job gut, können sie verlängern, läuft es schlecht, können sie aufhören.

Welchen zentralen Unterschied sehen Sie zwischen dem Agrarsektor in Kuba und anderen Ländern des Südens?

In vielen Ländern des Südens wurde der Agrarsektor unter Auflagen der Weltbank liberalisiert und privatisiert -- zum Beispiel im Afrika südlich der Sahara. Dort wurde der Markt über den Menschen gestellt und in der Folge ist die Zahl der Hungernden seit dem Welternährungsgipfel 1996 stark angestiegen: In Sub-Sahara-Afrika nach Zahlen der Welternährungsorganisation FAO von 166 Millionen auf 206 Millionen und da sind die aktuellen Folgen der Nahrungsmittelkrise noch nicht erfasst. In Kuba gibt es keinen Hunger. Wir setzen auf die Menschen und ihre Fähigkeiten, die Probleme zu lösen und nicht auf den Markt. Die Ernährungssicherheit sicherzustellen, ist allerdings ein schwieriges Unterfangen.

Gibt es im Agrarsektor Kooperation mit anderen Entwicklungsländern?

Klar. Wir haben Beziehungen zu China, Vietnam, Venezuela und einigen Ländern mehr. Das Allerwichtigste ist allerdings unsere eigene Orientierung, uns dem Land zuzuwenden, um es produktiver zu machen. In den folgenden fünf Jahren wollen wir beispielsweise die Reisimporte auf die Hälfte reduzieren. Dafür kultivieren wir eine Sorte, die nicht so viel Wasser verbraucht wie die üblichen. Für einen Kubaner ist eine Mahlzeit ohne Reis kein richtiges Essen.

Welche Bedeutung haben die Projekte von Cuba Sí?

Viele Menschen und Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt unterstützen Kuba. Die Rolle von Cuba Sí ist sehr wichtig. Cuba Sí war eine der ersten Organisationen, die uns nach dem Ende des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe unterstützt haben. Das werden wir nie vergessen und daran denken wir mit viel Zuneigung. Sie unterstützten uns in unserer schwierigsten Phase mit dem Projekt »Milch für Kubas Kinder«. Cuba Sí gab uns sprichwörtlich nicht nur Fisch zum Essen, sondern eine Angel, um zu fischen. Für die dauerhaften Projekte, die Cuba Sí bei und mit uns durchführt, sind wir sehr dankbar.

»Milch für Kubas Kinder«, Konto-Nr.: 13 2222 10; BLZ 100 500 00, Berliner Sparkasse, Cuba Sí

* Aus: Neues Deutschland, 5. August 2008


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