Kuba bekräftigt Kurs auf Reformen mit Bedacht
Regierungserklärung von Raúl Castro: Wirtschaft muss effizienter werden / Personelle Wechsel und Vorwürfe gegen USA
Von Harald Neuber *
Kubas Staats- und Regierungschef Raúl Castro hat die Bevölkerung des
Karibikstaates in einer Regierungserklärung zu Geduld gegenüber dem
Reformkurs der Regierung aufgerufen.
Die Staatsführung strebe weiter eine »Aktualisierung« des kubanischen
Wirtschaftsmodells an, so Castro vor den rund 600 Mitgliedern der
Nationalversammlung. Diese Reformen würden jedoch im Rahmen einer
»integrativen Strategie« umgesetzt und weder improvisiert noch unter
Druck durchgeführt. »Wir haben kein Recht, jetzt Fehler zu machen«,
betonte Castro laut Prensa Latina.
Während der Sitzung der Nationalversammlung, die halbjährlich
zusammentritt, wurden auch die neuesten Wirtschaftszahlen bekannt
gegeben. Demnach wuchs das Bruttoinlandsprodukt im auslaufenden Jahr um
1,4 Prozent. Anfang 2009 wurde noch mit einem Wachstum von sechs Prozent
gerechnet, das unter dem Eindruck der andauernden Weltwirtschaftskrise
aber nach unten korrigiert wurde. »Ich bin mir der Erwartungen und
ehrlichen Sorgen der Abgeordneten und Bürger über Geschwindigkeit und
Tiefe des Wandels bewusst, den wir im Wirtschaftssystem vornehmen
müssen, um unsere sozialistische Wirtschaft zu stärken«, sagte Castro
weiter. Dennoch werde seine Regierung angesichts der andauernden
wirtschaftlichen Risiken in den kommenden Monaten Priorität in die
wirtschaftlichen Kernbereiche setzen.
Das betrifft nach Aussagen des Staats- und Regierungschefs vor allem die
Nahrungsmittelproduktion und jene Wirtschaftsbereiche, die für Einkünfte
sorgen. Die nach wie vor hohe Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten
bedrohe gar die nationale Sicherheit. Deswegen sollen die Reformen in
der Agrarwirtschaft weiter vorangetrieben werden. Seit Beginn einer
neuen Bodenpolitik Ende 2008 wurden nach Angaben Raúl Castros bereits
920 000 Hektar an Kleinbauern zur Förderung der dezentralen Produktion
verteilt. Dies entspreche rund 54 Prozent des fruchtbaren Bodens. Nun
gehe es darum, die Verteilung der Agrarprodukte im Land zu optimieren.
Die kubanische Wirtschaft wird nicht nur von der Blockade der USA in der
Entwicklung gehemmt. Auch die für die Region typischen Wirbelstürme
führen in jedem Jahr zu großen Schäden. Allein 2008 entstanden durch
drei schwere Hurrikans Verluste in Höhe von umgerechnet rund zehn
Milliarden US-Dollar.
Außer Daten der wirtschaftlichen Entwicklung wurden während der Sitzung
der Nationalversammlung auch personelle Neuerungen bekannt gegeben.
Neben der 62-jährigen Vorsitzenden der Anti-Korruptionsbehörde, Gladys
Bejerano, wurde der Kommandant der Revolution, Ramiro Valdés (77), zum
Vizepräsidenten des Staatsrates gewählt. Die beiden Politiker ersetzen
den verstorben Revolutionär Juan Almeida und den nach einem Politskandal
Anfang März aus seinem Posten entlassenen Carlos Lage. In den Staatsrat
wurden zudem Wirtschafts- und Planungsminister Marino Murillo sowie die
Erste Sekretärin der Jugendorganisation UJC, Liudmila Álamo Dueñas, gewählt.
Schwere Vorwürfe erhob Castro gegen die US-Regierung von Barack Obama.
Ungeachtet des kubanischen Interesses an einem Dialog halte Washington
seine aggressive Politik aufrecht, sagte er vor dem Parlament. Jüngster
Beleg dafür sei die Festnahme eines US-Unternehmers, der - offenbar in
Staatsauftrag - Handys und IT-Geräte an Regierungsgegner verteilt hat.
Die USA bauten weiter subversive Strukturen in Kuba auf, die als
»Zivilgesellschaft« bezeichnet würden, kritisierte Raúl Castro. Im
US-Haushalt seien dafür derzeit 55 Millionen Dollar vorgesehen.
* Aus: Neues Deutschland, 22. Dezember 2009
Kontrolleurin
Gladys Bejerano Portela / Kämpferin gegen die Korruption rückte in Kubas
Staatsspitze auf. **
Die Wahl Gladys Bejerano Portelas zur Vizepräsidentin des Staatsrates
Kubas ist vor allem eine politische Aussage: Die 62-jährige
Sozialwissenschaftlerin ist nämlich nicht nur seit drei Jahrzehnten
Mitglied der regierenden Kommunistischen Partei Kubas. Bejerano ist vor
allem Vorsitzende der erst im Sommer geschaffenen Obersten
Rechnungsprüfungsbehörde, eines Amtes zur Bekämpfung der Korruption.
Während der vorangegangenen Sitzung der Nationalversammlung Anfang
August war Bejerano, Abgeordnete aus der ostkubanischen Provinz
Guantánamo und bereits seit Mai 2006 Ministerin für Wirtschaftsprüfung
und Kontrolle, einstimmig zur Vorsitzenden der neuen Kontrollinstanz mit
Filialen in allen Provinzen gewählt worden. Ihre Aufgabe bestehe darin,
»die schöpferische Arbeit, das sozialistische Eigentum und die
materiellen und finanziellen Ressourcen des Staates zu schützen«, hieß
es damals. Die Schaffung der Behörde, sagte Parlamentspräsident Ricardo
Alarcón, solle zur Rettung der Revolution beitragen. Denn seit dem Sturz
der Batista-Diktatur 1959 versuche der Imperialismus, »die Revolution
durch die Plünderung von Ressourcen zu zerstören«.
Dass gerade die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seit Anfang der 90er
Jahre den Ressourcenmissbrauch in Kuba angeheizt haben, ist kein
Geheimnis. Bereits Mitte Oktober 2005 ließ Fidel Castro die Tankstellen
des Landes von jugendlichen Aktivisten übernehmen, weil zu viel
Treibstoff abhanden gekommen war. Die Aktion wurde von der kubanischen
Presse aufmerksam begleitet.
Bejeranos Ernennung zur »Generalkontrolleurin« und ihre Wahl in die
Spitze des Staatsrates zeigen, dass Raúl Castro das Korruptionsproblem
weiterhin als Chefsache behandelt. In den vergangenen Monaten schon hat
Bejeranos Behörde eng mit dem Staatsrat und der Nationalversammlung
zusammengearbeitet. Auf der Internetseite ihres Amtes findet sich an
prominenter Stelle ein Verhaltenskodex für staatliche Funktionäre. Ein
politischer Posten, heißt es dort, »erfordert moralische Werte und ein
klares Pflichtbewusstsein im täglichen Handeln«. Auch die Bewahrung
dieser Moral sei eine Errungenschaft der Revolution.
Harald Neuber
** Aus: Neues Deutschland, 22. Dezember 2009
Vor schwerem Jahr
Kubas Präsident Raúl Castro stellte Planungen für 2010 vor.
Washington setzt Angriffe fort
Von Deisy Francis Mexidor, Havanna ***
Trotz der triumphierenden Prognosen, die von einer baldigen Erholung der
Weltwirtschaft ausgehen, »gehen wir davon aus, daß das Jahr 2010 schwer
werden wird«, sagte der kubanische Präsident Raúl Castro am Sonntag zum
Abschluß der siebten ordentlichen Sitzungsperiode des kubanischen
Parlaments in Havanna. Auch im kommenden Jahr hätten Projekte Vorrang,
durch die Einnahmen gesichert und Importe ersetzt werden können. Im
Bereich der Lebensmittelproduktion gelte es, nach und nach die
bestehende Abhängigkeit vom Weltmarkt zu überwinden. »Die Entwicklung
unserer Landwirtschaft ist eine Angelegenheit der nationalen
Sicherheit«, betonte der kubanische Präsident. Das Land könne sich den
Luxus nicht erlauben, Geld für Dinge auszugeben, die man selbst
produzieren könne, forderte der Staatschef, der für das kommende Jahr
ein Defizit von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwartet. »Wir
sind sicher, daß wir unsere Ausgaben weiter deutlich verringern können,
ohne die Qualität unseres Gesundheits- und Bildungswesens anzutasten,
die allen Bürgern kostenlos offen stehen.«
Mit Blick auf die Blockade der Insel durch die USA sagte Castro, daß die
gegenwärtige US-Administration knapp ein Jahr nach ihrem Amtsantritt die
Forderung der internationalen Gemeinschaft nach einer Veränderung ihrer
Politik gegen Kuba weiter ignoriere. In den vergangenen Wochen sei man
im Gegenteil Zeuge neuer Anstrengungen Washingtons gegen die Insel
geworden. So sei die Unterstützung der »offenen und verdeckten
Subversion gegen Kuba« verstärkt worden. »Der Feind ist so aktiv wie
immer. Das zeigte vor wenigen Tagen die Festnahme eines US-Bürgers, der
von Sprechern des State Departments euphemistisch als 'Geschäftsmann'
bezeichnet wurde, der sich jedoch darum gekümmert hatte, Gruppierungen
der sogenannten 'Zivilgesellschaft', die sie gegen unser Volk aufbauen
wollen, auf illegalem Weg mit hochmodernen Satellitenkommunikationsgeräten auszustatten.« Solche Aktivitäten würden direkt aus dem Bundeshaushalt der Vereinigten Staaten finanziert, der in diesem Jahr einen Posten in Höhe von 55 Millionen Dollar angeblich zur Unterstützung der Demokratie und der Menschenrechte sowie für Rundfunk- und Fernsehsendungen gegen die Insel enthalte. Das seien jedoch nicht die einzigen Mittel, die gegen Kuba ausgegeben würden, sondern nur die, über die offiziell informiert werde, so Castro. »In den vergangenen Monaten hat das US-Establishment gemeinsam mit den großen Massenmedien auch eine abgestimmte antikubanische Kampagne organisiert, mit der eine angebliche Zunahme der Repression im Land behauptet wird«, informierte
der Präsident. Dazu würden die von Washington ausgehaltenen
»Oppositionellen« dazu angestiftet, ihre Provokationen zu verstärken,
und dabei unter offener Verletzung internationaler Abkommen von
ausländischen Diplomaten begleitet. »Wenn die US-Regierung wirklich die
Beziehungen zu Kuba verbessern will, empfehle ich ihr, die Versuche
aufzugeben, unsere innere Ordnung zu bestimmen, denn darüber entscheiden
nur die Kubaner«, betonte der Staatschef.
*** Aus: junge Welt, 22. Dezember 2009
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