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Ohnmächtige UNO

Von Kuba-Krise bis Irak-Krieg

Von Johnny Norden *

Sind nicht schon genug Bücher über die Raketenkrise vom Oktober 1962, als die Menschheit am Rande eines Atomkriegs stand, geschrieben worden? Nein, offensichtlich nicht.

Die UNO konnte damals die ihr zugedachte Rolle als Friedensstifter nicht spielen. Unklar sind die Gründe ihrer Ohnmacht. Daniele Ganser, ein auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen arbeitender Wissenschaftler, hat sich jetzt daran gemacht, diese zu ergründen. Der 35-Jährige, der bereits durch eine Studie zur »Operation Gladio«, über die illegalen NATO-Aktivitäten in Europa, auf sich aufmerksam gemacht, hat, ist der erste Autor, der die Raketenkrise vor nunmehr 45 Jahren aus der Sicht der Vereinten Nationen untersucht. Tatsächlich hat der eigentliche Gewinner dieses Konflikts, Washington, dies bisher verhindert. Mit penibler Gründlichkeit studierte Ganser Originaldokumente, sowohl der Generalversammlung als auch des Sicherheitsrates der UN, auch Korrespondenzen zwischen Chrusch-tschow, Kennedy und dem damaligen UNO-Generalsekretär, dem Burmesen U Thant. Er wertete bis dato geheime Dokumente der CIA, des Pentagon und Protokolle der Beratungen in US-Regierungskreisen aus. Er kommt zu der Schlussfolgerung, dass es niemals die Raketenkrise gegeben hätte, wenn die USA nicht seit 1959 heimlich und kontinuierlich Kuba mit Terror überzogen und UN-Bemühungen blockiert hätten. Der Autor dokumentiert, wie die US-Falken über drei Jahre eine angemessene UNO-Reaktion auf die Beschwerden Kubas über die andauernden Aggressionen sabotiert haben.

Mit der »Operation Northwood« hatte das Pentagon 1962 Präsident Kennedy einen Plan vorgelegt, in Kuba einzufallen und Fidel Castro zu stürzen. Bei diesem erst vor fünf Jahren bekannt gewordenen Plan war alles bis ins kleinste Detail durchdacht. Dazu gehörte die Sprengung eigener Flugzeuge und Schiffe, um dies dann Castro anzulasten. Sogar die Zahl der zu erwartenden eigenen Verluste war einkalkuliert: 20 000 tote US-Soldaten. Ganser weist nach, dass die sowjetischen und kubanischen Führer für das Jahr 1962 mit einem Überfall der US-amerikanischen Armee rechneten. Die Entscheidung zur Stationierung von Atomraketen auf Kuba war aus seiner Sicht die logische Antwort der Sowjetunion auf die Unfähigkeit der UNO, Kuba zu schützen. Der Autor positioniert sich damit eindeutig in einer nach wie vor heißen Diskussion über die Beweggründe für diese sowjetische Entscheidung: Es sei eindeutig der Wille zum Schutz der kubanischen Revolution gewesen, der Moskau so und nicht anders handeln ließ. Andere Beweggründe, etwa eine Veränderung des strategischen Kräfteverhältnisses zwischen der Sowjetunion und der USA zu erreichen oder die Raketen als Faustpfand in der Westberlin-Frage einzusetzen, hätten eine untergeordnete Rolle gespielt. Des Autors Fazit: Seit ihrer Gründung würden die Vereinten Nationen von den Vereinigten Staaten nur dann respektiert, wenn sie deren Zwecken dienten. Ansonsten würden sie mit Missachtung gestraft.

Ganser belegt dies nicht nur anhand des Vietnamkrieges, sondern auch des Kosovo-Krieges, der Golfkriege und der Aggression gegen Irak.

Daniele Ganser: Die Kubakrise. UNO ohne Chance. Kai Homilius, Berlin 2007. 248 S., geb., 19,90

* Aus: Neues Deutschland, 29. März 2007


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