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In Kuba geht es um soziale Demokratie

Rafael Hernández über die Konferenz der Kommunistischen Partei Kubas


Der Politologe Rafael Hernández (64) ist Herausgeber der gesellschaftskritischen kubanischen Zeitschrift »temas« und war in Havanna Leiter des Zentrums für Amerikastudien. Mit dem Mitglied der Kommunistischen Partei Kubas sprach für "neues deutschland" (nd) Rainer Schultz über die Ergebnisse ihrer ersten Parteikonferenz.


nd: Zum ersten Mal hat die Kommunistische Partei Kubas (PCC) seit ihrer Neugründung 1965 eine sogenannte Parteikonferenz abgehalten. Welche Bedeutung ist ihr zuzumessen?

Hernández: Diese Parteikonferenz ist im Zusammenhang mit dem sechsten Parteitag im April 2011 zu sehen. Es ging diesmal allerdings in erster Linie um politische Fragen, um einen neuen politischen Stil. Man will die Art und Weise ändern, in der die Partei mit den staatlichen Institutionen verbunden ist. Die Partei soll führen, kontrollieren und stimulieren, aber auf keinen Fall staatliche Funktionen ersetzen. Auf der Agenda steht auch, eine neue Form der politischen Führung zu finden. Dies ist Teil der allgemeinen Veränderungen, die das Land erlebt, Teil der Transition. Dazu gehören einige spezifische Fragen wie eine neue Pressepolitik, Fragen der Ausbildung der Politiker und Funktionäre, das Verhältnis der Partei zu den Massenorganisationen und sozialen Bewegungen. Aber auch weitergehende gesellschaftliche Fragen, wie der Abbau von Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsteile, insbesondere Frauen, Afrokubaner und Homosexuelle.

Gibt es außer der Bekräftigung Raúl Castros, dass die politischen Führungsämter nicht länger als zwei mal fünf Jahre ausgeübt werden sollen, bereits andere konkrete Ergebnisse?

Es gibt natürlich hohe Erwartungen an die Parteiführung, Veränderungen vorzunehmen. Ausdruck davon ist beispielsweise, dass 20 Prozent der Mitglieder des Zen᠆tralkomitees, das zum sechsten Parteitag gewählt wurde, neu sind. Dadurch werden einflussreiche Posten für den Nachwuchs frei, vor allem aus den Provinzen. Es ist bereits jetzt so, dass in vielen Provinzen die politische Führung bei jüngeren Leuten, bei Frauen und Afrokubanern liegt. Die Pluralität, die auf nationaler und höchster Ebene angestrebt wird, ist also außerhalb Havanna bereits Realität. Das ist ein Teil der politischen Transition in Kuba.

Sowohl auf dem Parteitag als auch jetzt während der Konferenz wurde wiederholt von der Notwendigkeit gesprochen, den Menschen zuzuhören, in Dialog zu treten, über Probleme zu reden. Lässt sich dieser Ansatz als ein Versuch verstehen, die Art der politischen Hegemonie zu verändern?

Ich meine, dass dieser Ansatz absolut unerlässlich ist: Nicht um jeden Preis eine vorgefertigte Agenda vertikal durchzusetzen, sondern im Dialog mit der Bevölkerung Antworten zu finden, die ihrer Problemlage, ihrem Bewusstsein und ihren Bedürfnissen entsprechen. Zuzuhören, zu diskutieren und zu überzeugen, das sollte man von Politikern erwarten, und ich glaube, das erleben wir zur Zeit in Kuba.

Ist denn Ihrer Meinung nach eine Einheits- und Avantgardepartei aus dem Sozialismus des 20. Jahrhunderts dafür das geeignete Vehikel?

Ich meine, dass die demokratische Agenda des gegenwärtigen Kuba darauf gerichtet ist, dass das politische System in genau der Weise funktioniert, wie dies die Verfassung vorsieht; ebenso dass die Volksparlamente (Poder Popular) auf allen Ebenen den Einfluss und die Eigenschaften tatsächlich ausüben können, die ihr dem Gesetz nach zustehen. Das ist bisher noch nicht der Fall. Für die Partei gilt, sich weiter zu demokratisieren, noch stärker auf die Parteibasis einzugehen und die Anliegen der Menschen zu berücksichtigen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Partei in Kuba fast eine Million Mitglieder hat. Wenn wir über die Partei reden, sprechen wir über einen großen Teil der Bevölkerung, gemeinsam mit der Jugendorganisation UJC sind das fast 1,5 Millionen Kubaner. Es ist unmöglich, dass 1,5 Millionen das Gleiche denken. Wenn in Zukunft sich erweisen sollte, dass ein anderes Parteimodell oder mehrere Parteien notwendig sein sollten, weil die PCC es nicht vermag, ein Modell wirklicher, legitimer und partizipativer Demokratie zu repräsentieren, dann wird man das eben in der Zukunft diskutieren. Momentan ist der Weg ein anderer, es wird versucht, das demokratische Potenzial, was wir im Land haben, wirklich zum Einsatz kommen zu lassen und die Partei weiter zu demokratisieren, damit sie nicht mehr so extrem zentralisiert, hierarchisch und autoritär wie in der Vergangenheit agiert.

Ein Mehrparteienmodell, das wie Raúl Castro sagte sowohl von Kubas Feinden als auch einigen Freunden gefordert wird, ist also nicht Teil der Debatte?

Nein, ich glaube nicht. Raúl kritisierte mit dieser Äußerung vor allem Demokratiemodelle anderer Länder, wo es zwar mehrere Parteien, aber keine soziale Demokratie, keine wirkliche Demokratie gibt. Das heißt aber nicht, dass die alltäglichen Debatten der Bürger, die sich um ihre soziale Lage drehen, die Einfluss auf ihr Leben haben, nicht auch etwas mit einem eingeengten Partizipationsraum zu tun haben. Jedoch hat keines dieser Probleme etwas mit der Anzahl der Parteien zu tun. Auch wenn wir vier Parteien hätten, wären diese Probleme nicht einfacher gelöst.

* Aus: neues deutschland, 6. Februar 2012


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