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Harte Einschnitte

Mit einer Mischung aus Fachkräfteexport und Sparmaßnahmen will die kubanische Regierung das Gesundheitswesen restrukturieren. Tausende Arbeitsplätze gefährdet

Von Andreas Knobloch *

Kubas Gesundheitssystem soll restrukturiert werden. Dies geht aus einem im Internet veröffentlichten Strategiepapier (»Transformaciones necesarias en el Sistema Nacional de Salud cubano« –Notwendige Transformationen im kubanischen Gesundheitssystem) des Gesundheitsministeriums (Ministerio de Salud Pública – MINSAP) hervor. Ziel sei es, die öffentliche Gesundheitsfürsorge »zu reorganisieren, zu verdichten und zu regionalisieren«, um vor allem Kosten zu sparen. Zu diesem Zweck sollen Stellen gestrichen, Gesundheitszentren geschlossen und noch mehr Ärzte ins Ausland geschickt werden, um Deviseneinnahmen zu erwirtschaften. Der Bericht folgt den Grundzügen der von der Regierung Raúl Castro gestarteten Kampagne, die staatlichen Ausgaben inmitten der wirtschaftlichen Krise zu reduzieren.

Hohes Versorgungsniveau

Seit Jahrzehnten subventioniert der kubanische Staat massiv den öffentlichen Gesundheitssektor, auch wenn sich das System seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und während der Spezialperiode in den neunziger Jahren verschlechtert und vor allem mit Versorgungsproblemen zu kämpfen hat. Doch noch immer gilt das Gesundheitswesen als eines der Prunkstücke der Revolution.

Die Veränderungen sollen zudem helfen, die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der medizinischen Versorgung anzuheben, erklärte Gesundheitsminister Roberto Morales Ojeda in einer Rede vor Professoren der Nationalen Schule für Öffentliche Gesundheit (Escuela Nacional de Salud Pública – ENSAP) in Havanna Anfang Dezember. Er rief die Anwesenden dazu auf, mitzuhelfen, das Gesundheitssystem »effizienter und nachhaltiger« zu machen, wie die Parteizeitung Granma berichtet.

Bereits jetzt arbeiten viele kubanische Ärzte und anderes medizinisches Personal im Ausland, wo sie von den jeweiligen Gastgeberländern bezahlt werden. Die Rede ist von 38000 Kubanern in 77 Ländern, davon ungefähr 30000 allein in Venezuela. Sie erwirtschaften zusammen mehr als sechs Milliarden US-Dollar jährlich und sind damit die primäre Deviseneinnahmequelle des Staates, noch vor dem Tourismus. Zwar sollen in ärmere Staaten Ärzte weiterhin kostenlos verschickt werden, aber »in Ländern, in denen es die wirtschaftliche Lage ermöglicht, wird sich die vergütete Präsenz unserer Akademiker noch erhöhen mit dem Ziel, unsere Ausgaben zu reduzieren und zur Entwicklung unseres nationalen Gesundheitssystems beizutragen«, heißt es. Sprich: Devisen für den chronisch klammen kubanischen Staat zu erwirtschaften.

In dem Dokument wird nicht erwähnt, wie viele Mitarbeiter im Gesundheitsbereich zu den 500000 staatlich Beschäftigten gehören werden, die nach Angaben von Raúl Castro bis zum 1. Mai 2011 entlassen werden sollen. Aber es wird angedeutet, daß die Änderungen bedeutsam sein werden. Das Gesundheitswesen macht zusammen mit dem Bildungssektor 46,7 Prozent des kubanischen Staatshaushalts aus und beschäftigt etwa 600000 Menschen. Zwischen 50000 und 100000 Stellen davon seien überflüssig, schätzt die französische Nachrichtenagentur AFP aufgrund kubanischer Quellen. In dem Strategiepapier ist davon die Rede, daß es zu viele Krankenschwestern, Laboranten sowie administratives Personal gebe, aber »keinen Arzt zuviel«, wie Gesundheitsminister Morales im Oktober verlauten ließ. Auf 11,2 Millionen Menschen in Kuba kommen 74800 Ärzte, 11500 Zahnärzte, 106000 Krankenschwestern, 133700 Assistenten und Techniker, die in 291 Krankenhäusern, 498 Polikliniken, 12000 Gesundheitszentren und 338 Mutterheimen arbeiten (Stand Ende 2009).

Wenig Effektivität

Auf nationaler Ebene sollen einige Gesundheitszentren heruntergestuft oder ganz geschlossen sowie Studienplätze zur Pflegeausbildung reduziert werden. »Diese Entscheidung erfolgt nicht nur aus wirtschaftlichen Motiven, sondern auch angesichts der unaufschiebbaren Notwendigkeit, in allen Bereichen eine höhere Effizienz und Qualität zu erreichen«, heißt es in dem Papier. Die Polikliniken, Entbindungsheime und andere Gesundheitseinrichtungen würden je nach Region und Nachfrage reorganisiert.

Der Bericht verweist darauf, daß die unverhältnismäßige »Gehaltsliste« (Anzahl der Beschäftigten) des Ministeriums zu »unangemessenem Einsatz von Ressourcen, Mangel an Disziplin, geringer Auslastung der Arbeitszeit, niedriger Arbeitsproduktivität, Ineffizienz, Beeinträchtigung der Qualität der Dienstleistungen, (…) Mangel an wirtschaftlicher Kontrolle (und) der Zunahme krimineller Handlungen« geführt habe. In Zukunft müßten die im Gesundheitssystem Beschäftigten über Erfahrungen in ihrem Arbeitsbereich verfügen und »politisch-moralische Autorität nachweisen«, bevor sie in administrative Positionen befördert würden. Zudem solle das System »maximale Aufmerksamkeit« gegenüber Naturmedizin und traditionellen medizinischen Verfahren zeigen, die in Kuba seit den frühen neunziger Jahren als kostengünstige Alternative gefördert werden.

* Aus: junge Welt, 11. Dezember 2010


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