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Kuba setzt auf Entspannung mit der EU

Havanna lässt 52 Gefangene frei / Dialog mit katholischer Kirche und spanischem Außenminister

Von Harald Neuber *

Mit der Freilassung von mehreren Dutzend Regierungsgegnern hat Kubas Staatsführung ein deutliches Zeichen der Annäherung an die Europäische Union gesandt. Nach Informationen der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina werden 52 regierungsfeindliche Aktivisten aus der Haft entlassen. Ein Mann war bereits vor wenigen Tagen freigekommen.

Die Haftentlassungen sind das Ergebnis mehrwöchiger Verhandlungen mit der katholischen Kirche. Am Mittwoch kamen Spaniens Außenminister Miguel Ángel Moratinos, der Erzbischof von Havanna, Jaime Ortega Alamino, und Kubas Staats- und Regierungschef Raúl Castro zusammen. Bei dem Treffen seien »Themen beiderseitigen Interesses« besprochen worden, berichtete Prensa Latina unter Berufung auf Regierungsinformationen. Zuvor waren Castro und Moratinos derselben Quelle zufolge zu einem bilateralen Gespräch zusammengekommen. Sein Treffen mit Raúl Castro und Jaime Ortega habe insgesamt sechs Stunden gedauert, sagte Moratinos später auf einer Pressekonferenz. In der Residenz des kubanischen Staats- und Regierungschefs habe er auch das WM-Fußballspiel Deutschland gegen Spanien gesehen. »Das war eine einmalige Erfahrung«, scherzte der Chefdiplomat später: »Wir haben beim (spanischen) Tor gemeinsam geschrien und uns umarmt.«

Neben einer kurzen Nachricht über die Zusammenkunft veröffentlichte die kubanische Nachrichtenagentur am Mittwochabend unkommentiert eine Presseerklärung des Erzbistums von Havanna zu den Verhandlungsergebnissen. Darin wird die Freilassung von 52 Regierungsgegnern ebenso angekündigt wie die Verlegung von 18 Inhaftierten in ihre Heimatprovinzen. Die Gespräche zu dem Thema zwischen der Regierungsspitze und dem katholischen Klerus hätten am 19. Mai begonnen, heißt es in dem Kommuniqué. Es sei »ein Dialog unter Kubanern« gewesen, so Ortegas späterer Kommentar.

Die nun offenbar begnadigten 52 Gefangenen gehören der sogenannten Gruppe der 75 an. Diese Regierungsgegner waren Anfang 2003 wegen Landesverrats und der Zusammenarbeit mit US-Behörden in Kuba zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden. Funktionäre der US-Interessenvertretung in Havanna hatten damals mit Hilfe ihrer lokalen Kontakte versucht, ein politisches Netzwerk in Kuba aufzubauen, das logistisch, materiell und finanziell von der diplomatischen Vertretung aus unterstützt wurde. Die USA halten seit fast 50 Jahren eine völkerrechtswidrige Blockade gegen Kuba mit dem Ziel aufrecht, die Regierung und das sozialistische System zu stürzen.

Moratinos will das Ergebnis nun nutzen, um die »Gemeinsame Position« auszuräumen. »Es hieß ja immer, dass die Gemeinsame Position der EU gegenüber Kuba aufgehoben werde, wenn die Situation der Gefangenen in Kuba gelöst ist«, zitierte der Korrespondent der britischen BBC, Fernando Ravsberg, den spanischen Außenminister. »Ich hoffe, dass meine europäischen Kollegen dieser Verpflichtung nun gerecht werden.«

Demselben Bericht zufolge erwarten spanische Diplomaten jetzt auch ein Ende des Hungerstreiks des kubanischen Regierungsgegners Guillermo Fariñas. Dieser habe die Freilassung von 26 Gleichgesinnten gefordert, die wegen ihrer Zusammenarbeit mit den USA inhaftiert wurden.

Die nun Begnadigten sollen nach Spanien ausreisen können. Dieser Vorschlag sei ihnen unterbreitet worden, so Moratinos, nach dessen Auskunft die Regierungsgegner in Zukunft jederzeit wieder nach Kuba einreisen können.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Juli 2010


Ohne Gesichtsverlust

Von Roland Etzel **

Eine gute Nachricht für alle: Kubas Regierung lässt 52 Oppositionelle frei. Zweifel daran gibt es weder bei Spaniens Außenminister Moratinos noch Havannas Erzbischof Ortega, nach deren Treffen mit Staatschef Castro die Begnadigungen verkündet wurden, und offenbar auch nicht bei den Widerständlern selbst. Das Gesprächsergebnis ist ein Befreiungsschlag im Wortsinne für die Betroffenen, kann aber auch politisch zu einem solchen werden. Den drei genannten Personen darf man unterstellen, dass sie dies wünschen.

Offenbar hat auch Guillermo Fariñas, der seit Monaten im Hungerstreik befindliche Oppositionelle aus Santa Clara, diese Botschaft aus Havanna so interpretiert. Die kubanische Führung hat ihm spät, aber nicht zu spät eine schmale Brücke gebaut, die Fariñas nun wohl bereit ist zu betreten. Dies heißt vermutlich nicht, dass er weniger entschlossen ist, für seine Überzeugungen - man stehe dazu, wie man will - bis zum Äußersten zu gehen. Doch wenn Fariñas jetzt erklärt, sein Todesfasten nach den ersten Freilassungen beenden zu wollen, dann in der offensichtlichen Überzeugung, dies ohne politischen Gesichtsverlust tun zu können.

Das darf auch die andere Seite, also die Regierung Castro, für sich in Anspruch nehmen, und deshalb ist das Wie des eingangs Angesprochenen vermutlich doch nicht für alle eine gute Nachricht. Jedenfalls nicht für die Protagonisten des sogenannten Gemeinsamen Standpunktes der EU. Dies ist jene 2003 - nach den harten Urteilen gegen die nunmehr Begnadigten - von Brüssel beschlossene Linie, die Havanna auf den Knien sehen wollte: mit Boykott, Isolation und so ziemlich allem unterhalb des militärischen Drucks, was auf der Klaviatur der politischen Bosheiten so gespielt werden kann. Manche EU-Regierungen, zum Beispiel die Nachlassverwalter der Samtenen Revolution aus Prag, haben nie verhehlt, dass sie sich die Sprache der EU gern rauer gewünscht hätten.

Sie geben aber den Ton in der EU nicht an in Sachen Kuba, was im Stillen wohl selbst von dessen Dissidenten begrüßt wird. Auch den Stellungnahmen des kubanischen Klerus ist zu entnehmen, dass er an rein provokativen Auftritten wie vor Jahren von tschechischen Politikern in Kuba kein Interesse hat. Vielleicht trägt das jetzige Arrangement dazu bei, die Dünnhäutigkeit der kubanischen Führung zu mildern und zu differenzierteren Reaktionen gegenüber Meinungen aus dem Ausland zu finden. Denn zwischen Fragen, Unverständnis und offener Feindschaft liegen beinahe alle Welten dieser Zeit. Eine der Stärken der kubanischen Revolution war immer ihre Lernfähigkeit, auch in kleineren Dingen. Nur ein Beispiel: Heute weiß man in Havanna, dass es seinerzeit nicht das Klügste war, auf die kleine diplomatische Tolpatschigkeit des grünen Staatsministers Volmer, der die Haftbedingungen von Dissidenten kritisierte, mit der gleichen Schärfe zu reagieren wie bei der erwähnten Aktion der beiden Tschechen. Die Beziehungen zur EU hat das seinerzeit vereist. Dazu aber sind sie zu wichtig, auch für Kuba.

** Aus: Neues Deutschland, 9. Juli 2010 (Kommentar)


Vorurteile pflegen

Kuba läßt 52 Gefangene frei

Von André Scheer ***


Die kubanische Regierung läßt innerhalb der nächsten Monate insgesamt 52 Gefangene frei, die anschließend nach Spanien ausreisen dürfen. Das Brimborium, das die meisten Medien nun um diese Entscheidung veranstalten, spiegelt vor allem ihre Vorurteile gegenüber dem Inselstaat wider. So behauptet die Agentur AFP: »Über die Identität der 52 Häftlinge wurde zunächst nichts bekannt. Auch, ob Fariñas unter ihnen sein sollte, blieb zunächst unklar.« Zum einen handelt es sich um die noch im Gefängnis sitzenden Personen, die 2003 bei einem Schlag gegen von den USA ausgehaltene Gruppen verhaftet wurden. Deren Namenslisten wurden seither von unzähligen »Menschenrechtsorganisationen« weltweit verbreitet. Zum anderen kann Guillermo Fariñas, der für die Freilassung der »politischen Gefangenen« seit Ende Februar einen Hungerstreik durchführt, gar nicht entlassen werden, weil er nicht im Gefängnis sitzt und auch vor Beginn seiner Nahrungsverweigerung nicht saß.

So überraschend, wie viele nun tun, ist die Freilassung ebenfalls nicht. Kubas Präsident Raúl Castro hatte mehrfach angeboten, den USA ihre Agenten zurückzuschicken, aber dafür die Freilassung der fünf seit fast zwölf Jahren in nordamerikanischen Gefängnissen inhaftierten Kubaner gefordert. Über den Fall dieser Männer, die antikubanische Terrororganisationen in Miami unterwandert hatten, um Anschläge auf der Insel zu verhindern, findet sich in den Mainstreammedien kein Wort.

Tatsächlich hat Havanna für den jetzigen Schritt einen guten Zeitpunkt gewählt. Fariñas fehlt nun die Begründung für seine selbstmörderische Kampagne, und auch den Hardlinern in der EU, die sich der von Spanien betriebenen Aufhebung des »Gemeinsamen Standpunkts« gegenüber Kuba widersetzen, gehen die Argumente aus. Das Land sieht in dem 1996 verabschiedeten Papier wegen der darin enthaltenen Einmischung in Kubas innere Angelegenheiten das wichtigste Hindernis für eine Normalisierung der Beziehungen. Im September steht das Dokument erneut auf der Tagesordnung der EU-Außenminister.

Schließlich braucht die kubanische Regierung gerade jetzt nicht zu befürchten, die Freilassung könne ihr als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden. Fast zeitgleich mit ihrer Bekanntgabe lieferte Venezuela den international gesuchten Terroristen Francisco Chávez Abarca an Kuba aus. Dieser Urheber der Bombenanschläge auf kubanische Hotels 1997 wird wohl kaum auf eine ähnliche Behandlung hoffen können wie die Herrschaften, mit denen sich künftig Madrid herumärgern soll. Aber auch über diesen Fall schweigen die deutschen Medien, denn sonst müßten sie ja darüber berichten, daß Kuba nach wie vor Ziel von Mordanschlägen und ähnlichen Aktionen konterrevolutionärer Banden ist, die aus den USA finanziert und unterstützt werden. So aber konnte selbst eine »sozialistische Tageszeitung« am vergangenen Samstag behaupten, die Blockade Kubas durch die USA und ihre verheerenden Folgen für die Wirtschaft des Landes seien nur ein »alter Kuba-Mythos«.

*** Aus: junge Welt, 9. Juli 2010


Venezuela liefert Terrorist an Kuba aus. Havanna läßt Gefangene frei

Am späten Mittwoch abend (7. Juli)) hat Venezuela den international gesuchten Terroristen Francisco Chávez Abarca an Kuba ausgeliefert. Er war am 1. Juli verhaftet worden, als er mit gefälschten Ausweisdokumenten versucht hatte, über den internationalen Flughafen Maiquetía in das südamerikanische Land einzureisen. Statt nun in Venezuela mit Anschlägen die Lage vor den Parlamentswahlen im September zu destabilisieren, wird er sich in Kuba für mehrere Bombenanschläge auf Hotels verantworten müssen, bei denen 1997 ein italienischer Tourist getötet worden war. »Wir haben unsere Pflicht entsprechend der internationalen Normen erfüllt«, zeigte sich Innenminister Tareck El Aissami zufrieden und verwies auf die internationale Fahndung nach Chávez Abarca über Interpol sowie ein kubanisches Auslieferungsersuchen. »In Venezuela bekräftigen wir unsere Entschlossenheit zum Frieden und damit zu einem wirklichen Kampf gegen verbrecherische Organisationen, deren Ziel es ist, in unserem Volk Panik zu verbreiten.« Weiter dementierte er auch die von Presseagenturen verbreitete Behauptung, Chávez Abarca sei in Guatemala entführt worden. Als Beleg für die eigene Darstellung veröffentlichte die Regierung Fotos von der Ankunft des Terroristen am Flughafen sowie weitere Dokumente wie den Flugschein und Zollunterlagen, die belegen, daß er unter dem falschen Namen Carlos Adolfo González Ruiz einen gewöhnlichen Linienflug nach Caracas gebucht hatte. Zugleich forderte der Minister von den USA erneut die Auslieferung von Luis Posada Carriles. Chávez Abarca hatte gegenüber den venezolanischen Behörden ausgesagt, daß er seine Aufträge von diesem erhalten habe. Bislang verweigert Washington die Überstellung des früheren CIA-Agenten, der für den Anschlag auf ein kubanisches Verkehrsflugzeug 1976 verantwortlich gemacht wird.

Unterdessen verbreitete die kubanische Agentur Prensa Latina eine Erklärung des Erzbischofs von Havanna, Kardinal Jaime Ortega Alamino, der am Mittwoch mit dem kubanischen Präsidenten Raúl Castro und Spaniens Außenminister Miguel Ángel Moratinos zusammengetroffen war. Der Geistliche sei von den kubanischen Behörden informiert worden, daß sechs Inhaftierte »in den nächsten Stunden« in Haftanstalten in ihren Heimatprovinzen verlegt und fünf weitere auf freien Fuß gesetzt würden. Diese könnten gemeinsam mit ihren Angehörigen in Kürze nach Spanien ausreisen. Weiter sollen 47 im Jahr 2003 verhaftete Personen innerhalb von drei bis vier Monaten ebenfalls freigelassen werden; auch sie können Kuba anschließend verlassen.

**** Aus: junge Welt, 9. Juli 2010


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