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Schritt nach vorn

EU-Außenminister wollen Beziehungen mit Kuba normalisieren. "Gemeinsamer Standpunkt" vor dem Aus

Von Volker Hermsdorf *

Die 27 Mitgliedsstaaten der Europäische Union (EU) wollen ihre Beziehungen zu Kuba normalisieren. Auf einem Treffen in Brüssel haben deren Außenminister am Montag nachmittag EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton beauftragt, ein bilaterales Abkommen auszuhandeln, das mittelfristig den »Gemeinsamen Standpunkt« der Union gegenüber der sozialistischen Karibikinsel ablösen soll.

Der »Gemeinsame Standpunkt«, in dem die EU-Staaten vereinbart hatten, Sanktionen gegen Kuba zu verhängen und auf die Innenpolitik des Karibikstaates Einfluß nehmen, um dort zu einem Systemwechsel beizutragen, war im Dezember 1996 vor allem auf Initiative des damaligen rechtskonservativen spanischen Ministerpräsidenten José Maria Aznar beschlossen worden und belastet seither das bilaterale Verhältnis. Havanna kritisiert das Papier als Einmischung in seine inneren Angelegenheiten. Es stehe der Entwicklung von Beziehungen auf der Grundlage gegenseitiger Achtung im Wege und müsse deshalb annulliert werden. Mehrere Versuche, den »Gemeinsamen Standpunkt« aufzuheben, waren in den vergangenen Jahren jedoch vor allem am Widerstand von Ländern wie Polen und der Tschechischen Republik gescheitert.

Auch der Beschluß vom Montag sieht noch nicht die völlige Aufgabe des »Gemeinsamen Standpunktes« vor, ist aber der seit knapp 16 Jahren deutlichste Schritt zur Normalisierung der Beziehungen. Die von EU-Außenministerin Ashton zu führenden Verhandlungen über ein bilaterales Abkommen könnten schon bald zu verstärkten Investitionen, Handelserleichterungen und gemeinsamen Projekten führen, von denen sowohl die Europäer als auch Kuba profitieren würden. Die Abstimmung in Brüssel sei praktisch einmütig verlaufen, erklärte der Staatssekretär im spanischen Außenministerium, Gonzalo de Benito, nach dem Treffen gegenüber der Presse. Der Politiker betonte, daß inzwischen schon 13 europäische Länder eigenständig Abkommen mit Kuba unterzeichnet hätten und die jetzige Entscheidung dazu beitrage, die Beziehungen zwischen Europa und Havanna vernünftig zu regeln. »Das ist ein positiver Schritt. Die Beziehungen zu Kuba werden deutlich verbessert und gestärkt werden«, sagte De Benito laut einer Meldung der spanischen Nachrichtenagentur EFE.

Vor allem Spanien, das seit einem Jahr erneut von der rechtskonservativen Volkspartei (Partido Popular) regiert wird, der auch Aznar angehört, habe sich für den Politikwechsel gegenüber Kuba engagiert, berichteten Diplomaten in Brüssel der Presse. Über diesen neuen Kurs der spanischen Rechten zeigten sich Beobachter verwundert, denn als die Sozialistische Partei im Jahr 2010 die Abschaffung des »Gemeinsamen Standpunktes« gefordert hatte, war der Vorstoß vor allem am heftigen Protest der PP im Bund mit anderen europäischen Rechtsparteien gescheitert.

Einige Kommentatoren spekulieren darüber, daß die spanische Regierung mit ihrem neuen Kurs in Havanna bei den Verhandlungen über eine vorzeitige Abschiebung des Nachwuchspolitikers José Ángel Carromero nach Spanien punkten will. Der junge PP-Funktionär hatte im Juli bei einer »Mission« als Agent und Chauffeur bei einem Autounfall den Tod von zwei kubanischen Dissidentenführern verursacht und wurde dafür in Kuba zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Havannas Außenminister Bruno Rodríguez hatte am Wochenende am Rande des Iberoamerikagipfels in Cádiz zugesagt, daß sein Land einen Antrag Spaniens auf Überstellung oder Begnadigung ergebnisoffen prüfen werde.

Wahrscheinlicher als ein derartiger »Deal« scheint aber die Erklärung, daß Spanien in seiner schweren Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Hilfe Lateinamerikas angewiesen ist. Auf dem Gipfel in Cádiz hatten sowohl König Juan Carlos als auch der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy ihre früheren Kolonien auf der anderen Seite des Atlantiks um Unterstützung gebeten. Und selbst Madrid hat offenbar bemerkt, daß in Lateinamerika mittlerweile nicht Kuba, sondern dessen Gegner isoliert sind.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 21. November 2012


Wütende Contras

Kubas Konterrevolutionäre und US-Rechte wettern gegen EU-Außenminister

Von Volker Hermsdorf **


Der am Montag von den Außenministern der Europäischen Union gefaßte Beschluß zur Normalisierung der Beziehungen mit Kuba hat unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Während gemäßigte Politiker in den USA und Europa die Entscheidung begrüßten, attackierten »Dissidenten« in Kuba und Vertreter von extrem rechten exilkubanischen Gruppen in Miami die Europäer als »Verräter«.

Die EU-Vertreter haben ihre gemeinsame Chefdiplomatin Catherine Ashton beauftragt, mit der Karibikinsel ein bilaterales Abkommen auszuhandeln, das perspektivisch den im Dezember 1996 gegen Kuba beschlossenen »Gemeinsamen Standpunktes« ablösen soll. Mit diesem Dokument, das in Anspielung auf den von den USA seit 50 Jahren gegen Kuba geführten Wirtschaftskrieg auch »europäische Blockade« genannt wurde, sollte mit ökonomischem und politischem Druck Einfluß auf die kubanische Innenpolitik genommen und zu einem Systemwechsel beigetragen werden. Obwohl der Beschluß vom Montag noch nicht die völlige Aufgabe des »Gemeinsamen Standpunktes« vorsieht, ist er ein wichtiger Schritt zu dessen Abschaffung.

Grundsätzlich positiv bewertet diesen der in Washington lebende kubanischstämmige Geschäftsmann Carlos Saladrigas, der mit seiner katholisch orientierten Kuba-Studien-Gruppe als eher gemäßigter Kritiker der sozialistischen Insel gilt. »Wir sind immer für diplomatische Aktivitäten statt wirtschaftlicher und politischer Drohungen eingetreten«, so Saladrigas. Das Sprachrohr der radikalen Anti-Castro-Gruppen in Miami, die republikanische Kongreßabgeordnete Ileana Ros-Lethinen, die unter anderem enge Kontakte zu Terroristen wie Luis Posada Carriles pflegt, bezeichnete die Entscheidung der EU-Außenminister dagegen als »grausam«. Statt zu verhandeln müßten »Nationen mit Verantwortungsgefühl angesichts der Menschenrechtsverletzungen den Druck auf die Diktatur erhöhen«. Noch heftiger äußerte sich Mauricio Claver-Carone, Chef des »Komitees für politische Aktion USA-Kuba« (PAC), der größten militanten antikubanischen Organisation in den USA. Die Position der EU sei »moralisch abstoßend«. Es sei eine Schande, wird der Anwalt von der in Miami erscheinenden Tageszeitung El Nuevo Herald zitiert, »daß die EU die Forderungen der kubanischen Führer des Kampfes für die Demokratie« ignoriere.

Einer dieser »kubanischen Führer«, der durch verschiedene Hungerstreiks bekanntgewordene und dafür im Jahr 2010 vom Europäischen Parlament mit dem Sacharow-Preis und 50000 Euro prämierte Systemgegner Guillermo Fariñas, ging mit seinen Sponsoren ebenfalls hart ins Gericht. Er kritisierte die EU-Entscheidung laut Nuevo Herald als »Verrat an den Bürgern und an der kubanischen Opposition«. Die Mehrheit der kubanischen Regierungsgegner sei nicht damit einverstanden, weil dadurch »der castristischen Tyrannei mehr Zeit und Spielraum eingeräumt« werde.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. November 2012


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