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Kuba siegt an der diplomatischen Front

50 Jahre Blockade: Die Zustimmung in der UNO für eine Aufhebung des Embargos steigt von Jahr zu Jahr

Von Martin Ling *

Nach Angaben der kubanischen Regierung hat das seit 50 Jahren andauernde Embargo bis heute einen wirtschaftlichen Schaden in Höhe von 104 Milliarden US-Dollar angerichtet.

In Deutschland macht die Wirtschaftsblockade der USA gegenüber Kuba selten Schlagzeilen. Eine Ausnahme war das Jahr 2011. Der Online-Bezahldienst PayPal mit Sitz in den USA und europäischer Tochter in Luxemburg sperrte mehreren Unternehmen, die kubanische Waren vertreiben, die Konten. Die Begründung: Verstoß gegen das Embargo. Das Vorgehen entpuppte sich freilich als Schlag ins Kontor: Die Drogeriemarktkette Rossmann beispielsweise reagierte auf Drohungen von Paypal mit der Entscheidung, keine Zahlung mehr über den Dienst anzubieten. Und die Sammelklage mehrerer Internethändler gegen PayPal endete mit einem Vergleich, der die Aufhebung der Kontensperrung beinhaltete - allerdings auch die Zusage der Händler, keine kubanischen Waren mehr über Paypal abzurechnen.

Der Fall Paypal zeigte einmal mehr, dass das USA-Embargo gegen Kuba keine Sache zwischen zwei verfeindeten Staaten ist, sondern eine höchst internationale Angelegenheit. Denn seit dem Inkrafttreten des Embargos am 7. Februar 1962 im Gefolge der 1961 gescheiterten US-Invasion in der Schweinebucht wurde es mehrfach verschärft und internationalisiert. Insbesondere der Torricelli Act von 1992, mit dem das Embargo Gesetzesstatus erlangte, und der 1996 verabschiedete Helms-Burton Act sollten den Karibikstaat nach dem Zusammenbruch des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe ökonomisch strangulieren und den Regimewechsel bewirken.

Das nach dem demokratischen Abgeordneten Robert Torricelli benannte Gesetz zielte auf eine massive Einschränkung der kubanischen Handelsbeziehungen mit Dritten. So wurde Tochtergesellschaften US-amerikanischer Unternehmen jeglicher Handel mit Kuba untersagt. Schiffe, die in kubanischen Häfen anlegten, wurden mit einer Sperre von 180 Tagen für das Anlaufen US-amerikanischer Häfen belegt und zudem mussten Handelsschiffe mit der Beschlagnahmung ihrer Waren rechnen, sofern sie für den Handel mit Kuba bestimmt waren und sobald sie sich in US-amerikanischen Gewässern bewegten.

Das Helms-Burton-Gesetz, benannt nach dem republikanischen Senator Jesse Helms und dem noch heute für die Republikaner im Abgeordnetenhaus sitzenden Dan Burton, schreibt unter anderem die Ausweitung der USA-Sanktionen auf Drittländer und internationale Finanzorganisationen fest. Damit versuchen die USA, Investitionen aus dem Ausland auf Kuba zu be- und verhindern, was 1996 einen Handelskonflikt mit der EU verursachte. Erst nachdem USA-Präsident Bill Clinton ein Passus strich, der es vor USA-Gerichten erlaubt hätte, gegen europäische Unternehmen, die in Kuba mit enteigneten US-amerikanischen Produktionsmitteln wirtschaften, Schadenersatzklagen einzureichen, entschärfte sich die Lage.

Die Hauptlast des Embargos, das einer umfassenden Wirtschaftsblockade gleichkommt, trägt freilich Kuba selbst. So ist es dem land- und viehwirtschaftlichen Sektor nicht möglich, hochwertiges zertifiziertes Saatgut bei spezialisierten US-Unternehmen zu kaufen. Die Einfuhr von Saatgut aus Europa, Japan und aus dem Mittleren Osten kann sich bis zu zwei Monate verzögern, wodurch die vorgesehenen Anbauzyklen bei einigen Arten nicht eingehalten werden können.

Neben dem Agrarsektor leidet insbesondere das Gesundheitswesen: US-amerikanische Unternehmen verweigern unter Verweis auf die Gesetzeslage immer wieder die Lieferung von Medikamenten an kubanische Gesundheitseinrichtungen. So fehlen den kubanischen Ärzten Antibiotika und neue Krebsmedikamente aus US-amerikanischer Produktion.

Und das US-Embargo wirkt nach wie vor exterritorial: Die deutsche Firma Siemens weigerte sich vor wenigen Jahren, eine eingebaute Gamma-Kammer zu reparieren. Das Argument des Multis: Die Ersatzteile seien US-amerikanischer Herkunft und dürften in Kuba wegen des Helms-Burton-Gesetzes nicht eingesetzt werden. Die Gamma-Kammer, ein Spitzentechnologie-Gerät, ist sehr nützlich für die Krebsbehandlung und die Forschung.

2011 hat die kubanische Regierung zum 20. Mal eine Resolution bei der UNO-Vollversammlung eingereicht, in der die Aufhebung der Blockade verlangt wird. Seit 1992 stimmt innerhalb der UNO eine wachsende Mehrheit für die Aufhebung der Handels-, Wirtschafts- und Finanzblockade seitens der US-Regierung. 2011 waren es 186 Staaten, nur die USA und Israel stimmten dagegen und drei Inselstaaten (Mikronesien, Marshall-Inseln, Palau) enthielten sich.

Die USA-Regierung zeigt sich freilich auch unter Barack Obama von den UNO-Beschlüssen gänzlich unbeeindruckt. Mehr als sanfte Embargo-Lockerungen wie Reiseerleichterungen und großzügigere Geldüberweisungsmöglichkeiten brachte Obama in seiner Amtszeit nicht auf den Weg. Am Ziel Regimewechsel hat sich nichts geändert.

So konnte die US-Agrarlobby durchsetzen, dass sie ihre Überschüsse gegen Bargeld auch an Kuba verkaufen darf. Die USA-Agrarexporte auf die Karibikinsel belaufen sich inzwischen auf über 500 Millionen US-Dollar im Jahr. Alles andere als Peanuts. Trotz der unversöhnlichen Haltung der USA zeigt sich Havanna sicher, den längeren Atem zu haben. Irgendwann werden die USA die Blockade aufheben. 50 Jahre erfolgreiches Widerstehen geben Anlass für relativen Optimismus.

* Aus: neues deutschland, 7. Februar 2012


Das Embargo studieren

Für US-amerikanische Studenten ist Kuba ein lehrreicher Auslandsaufenthalt

Von Rainer Schultz **


Wie US-amerikanische Studenten an die Universität nach Havanna kommen und dabei von Opfern zu Tätern werden. Oder umgekehrt.

Für US-amerikanische Staatsbürger ist es seit 1963 verboten, nach Kuba zu reisen. Etwa 80 000 tun es trotzdem - Jahr für Jahr. Schließlich ist der Flug von Miami nach Havanna kürzer als die Fahrt von dort nach Varadero. Ohne Furcht vor juristischen Konsequenzen dürfen lediglich besonders lizensierte Gruppen reisen. Dazu zählten seit der Amtszeit Bill Clintons (1992-2000) vor allem Universitäten, Künstler und religiöse Einrichtungen. Würde das Reiseverbot ganz fallen, so schätzen Tourismusexperten, wüchse die Zahl der derzeitig 2,3 Millionen Urlauber um das Doppelte. Gegenwärtig versuchen jedoch exilkubanische Kongressabgeordnete diese Reisegenehmigungen wieder einzukassieren. Nach Ansicht der Außenausschuss-Vorsitzenden Ileana Ros-Lehtinen darf es keine Reisen in »die brutale Castro-Diktatur geben, den erklärten Feind Amerikas« geben, denn, so die Republikanerin, jeder Dollar, der dort ausgegeben wird, »bereichert die Unterdrücker und verhindert die Transition zur Demokratie«.

Im September 2011 kamen jedoch wie jedes Jahr etwa 50 Studierende US-amerikanischer Colleges an die Universität von Havanna, um Spanisch, Geschichte, Literatur oder andere Fächer zu studieren. Sie wollen die Realität der Insel kennenlernen, die seit der Revolution Zielscheibe ihrer Regierung ist. »Es ist sehr schwer, in Amerika ein unverzerrtes Kuba-Bild zu bekommen. Deshalb wollte ich nach Havanna«, sagt beispielsweise Dan*, ein 19-jähriger Student eines New Yorker Privatcolleges. Nicole, 20, ist von Kuba begeistert, »weil sich die Kubaner entschieden haben, die Probleme auf ihre eigene Weise zu lösen, auch wenn das bedeutet, dass das mächtigste Land der Welt dagegen ist.« Sie verbringen ein Semester auf der Insel und lernen dabei viele neue Freunde kennen - Freundschaften, die dank E-Mail und Facebook auch andauern. Inzwischen verfügt nämlich die Uni Havanna über drahtloses Internet und Computerräume.

In ihrem Wohnheim, dem Gästehaus der Kleinbauernorganisation ANAP im Stadtteil Vedado, können sie abends zwar nur aus fünf statt 250 Programmen wie zu Hause wählen. Ricardo wundert sich allerdings über die einseitige staatliche Berichterstattung über sein Land: »Alle schlechte Nachrichten hört man sofort aber wo sind die Guten?«, fragt der junge Sozialwissenschaftler, der in Boston selber im Community-Radio arbeitet und an der Occupy-Bewegung beteiligt ist. Die Themen »Cuban Five« und Embargo meint er dank ständiger Wiederholungen bereits nach zwei Wochen auswendig zu kennen. »Glaubt denn da noch jemand dran?«, fragt er skeptisch.

Einen Monat später gab es kein Warmwasser mehr in seinem Wohnheim. Grund: Der Boiler stammt aus den USA und Kuba kann keine Ersatzteile kaufen. Gelöst wird das Problem kubanisch: Die Warmwasserleitung der oberen und unteren Etage werden zusammengelegt. Praktische Solidarität eben. Geplant ist die Umstellung auf Solarwärme. Dafür fehlt jedoch das Geld. Nun wollen Ricardo und Nicole prüfen, ob ihre Colleges dafür das Geld bereitstellen können. Als einen konkreten Schritt gegen das Embargo.

** Der Autor promoviert zur Entwicklung des Bildungssystems in Kuba und hat in Havanna zuletzt ein Programm für US-amerikanische Studenten geleitet.

Aus: neues deutschland, 7. Februar 2012


Chronik: Von Eisenhower bis Obama

1960
Beginn des Konflikts mit den USA; Verstaatlichung der Großunternehmen; USA verhängen unter Präsident Dwight Eisenhower erstes teilweises Wirtschaftsembargo

1962
7. Februar: Präsident John F. Kennedy erweitert das Wirtschaftsembargo auf den vollständigen Handel, ausgenommen ist nur der Verkauf von Lebensmitteln und Medikamenten. 23. März: Kennedy weitet Embargo aus - alle Importprodukte mit kubanischem Anteil, aus welchem Land auch immer, haben Einfuhrverbot

1963
8. Februar: Kennedy verbietet Reisen nach Kuba und erklärt finanzielle und Handelsbeziehungen für USA-Bürger für illegal

1977
19. März: Präsident Jimmy Carter hebt Reiseverbot auf

1979
1. Januar: Exil-Kubanern in den USA wird der Besuch ihrer Familien in Kuba erlaubt, mehr als 100 000 nehmen diese Chance im selben Jahr wahr

1982
19. April: Präsident Ronald Reagan führt Reiseverbot wieder ein

1985
4. Oktober: Reagan untersagt kubanischen Regierungs- und/oder KP-Mitgliedern Reisen in die USA, ebenso den meisten Studenten, Stipendiaten und Künstlern

1992
5. Februar: Robert-Torricelli-Gesetz zur Embargo-Verschärfung wird verabschiedet

1996
12. März: Helms-Burton-Gesetz zur Ausweitung des Embargos auf Drittländer wird verabschiedet

2000
Die USA lockern das Embargo. In beschränktem Umfang dürfen wieder Lebensmittel nach Kuba exportiert und Geldbeträge gesendet werden

2009
11. März: US-Präsident Barack Obama erlaubt aus Kuba stammenden US-Amerikanern, Kuba zu besuchen.

2010
74 kubanische Dissidenten fordern in einem gemeinsamen Brief an den US-Kongress das komplette Ende des Reiseverbots für US-Bürger

ML




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