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Lesen heißt Wachsen

Heute wird die Internationale Buchmesse in Havanna eröffnet. Sechs Millionen Bücher warten auf die Besucher

Von André Scheer, Havanna *

Hunderttausende Menschen werden sich ab dem heutigen Donnerstag durch die Gänge der historischen Hafenfestung La Cabaña in Havanna drängen. Mit weit über 100 Ausstellern aus 40 Ländern, die 600 Neuerscheinungen vorstellen wollen, beginnt dort unter dem Motto »Lesen heißt Wachsen« die 19. Internationale Buchmesse, die im vergangenen Jahr fast eine Million Besucher zählte. Die Gesamtzahl der bei der Messe präsentierten und verkauften Bücher wird von den Organisatoren auf nicht weniger als sechs Millionen geschätzt, wie die Direktorin des Kubanischen Instituts des Buches, Zuleyka Romay, sagte. Sie sieht in der Messe vor allem für die zahlreich vertretenen kubanischen Kinder und Jugendlichen eine gute Gelegenheit, die Literatur und Kultur der vertretenen Länder kennenzulernen. Das gilt vor allem für Rußland, das in diesem Jahr als Gastland besonders umfangreich vertreten ist.

Eröffnet wird die Messe in diesem Jahr vom russischen Außenminister Sergej Lawrow. Begleitet wird er von mehr als 200 Intellektuellen, Künstlern und Schriftstellern seines Landes, darunter so bekannten Repräsentanten der russischen Literatur wie der 1932 geborene Jewgeni Jewtuschenko, aber auch jüngere Autoren wie Marina Lwowna oder Dmitri Bikow. Im Gepäck hat die Delegation mehr als 3500 Bücher, die in einem 450 Quadratmeter großen Pavillon ausgestellt werden. 65 Verlage präsentieren außerdem Neuauflagen klassischer Werke der russischen Literatur, darunter Gedichtbände, Erzählungen und Kinderbücher. Mit einer besonderen Präsentation wird auf der Buchmesse auch an den 150. Geburtstag von Anton Tschechow erinnert, dessen wichtigste Werke in Havanna ebenfalls zum Verkauf stehen.

Neben den russischen Autoren sind in Havanna auch so prominente Persönlichkeiten vertreten wie die südafrikanische Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer oder die 2008 mit dem renommierten spanischen Literaturpreis »Prinz von Asturien« ausgezeichnete kanadische Autorin Margaret Atwood. Aus Brasilien wird der Theologe Frei Betto erwartet, während Venezuela unter anderem mit dem bekannten Essayisten Luis Britto García vertreten ist. Trotz aller Schwierigkeiten durch die Blockade reisen aus den USA der Autor Clifford Conner (»A People's History of Science«), der Politologe und Historiker Michael Parenti sowie die selbst aus Kuba stammende Sonia Rivera an. Wie Kubas Vizekulturminister Fernando Rojas ankündigte, sollen bereits am zweiten Tag der Messe die kulturellen Beziehungen zwischen der Insel und den USA im Mittelpunkt einer Diskussionsveranstaltung stehen, die der kubanische Künstler- und Schriftstellerverband organisiert. »Das ist nichts spektakuläres, aber die kulturellen Beziehungen zu analysieren ist sicherlich nicht unwichtig«, sagte Rojas bei einer Pressekonferenz im Vorfeld der Messe.

Auch Frankreich ist nach Jahren der Abwesenheit nach Havanna zurückgekehrt. Mit mehr als 200 Titeln beteiligt sich die Zentralkasse für soziale Aktivitäten der Energie- und Wasserwirtschaft (CCAS) an der Messe. Dies sei ein bescheidener Beitrag für die Kinder und Jugendlichen Kubas, sagte CCAS-Sprecher Sébastien Viscuso der Agentur Prensa Latina. Er hoffe, daß sich die französische Beteiligung in den nächsten Jahren wieder stabilisieren werde.

Neben dem Gastland Rußland ist die diesjährige Buchmesse zwei Kubanern gewidmet, dem Erzähler Reynaldo González, Träger des kubanischen Literaturpreises 2003, sowie der Historikerin María del Carmen Bacia, die 2003 mit dem Nationalpreis für Sozialwissenschaften ausgezeichnet wurde.

Bereits vor einer Woche und damit sieben Tage vor der offiziellen Eröffnung haben mehr als 40 Buchhandlungen in der kubanischen Hauptstadt ihre Pforten für die Buchmesse geöffnet. Von 9 Uhr morgens bis 21 Uhr abends sind die Geschäfte für die Literaturinteressierten der Insel geöffnet und präsentieren ein breites Spektrum der kubanischen und internationalen Buchproduktion. So zeigte sich Sonia Fernández stolz darauf, allein in dem von ihr geleiteten Buchladen Ateneo de Línea y 12 im Stadtviertel Vedado mehr als 300 Buchtitel präsentieren zu können, darunter Kinderbücher, Märchen, Romane, politische Werke und natürlich russische Literatur.

Kuba ist ein Leseland. Mehr als 2200 Buchtitel mit einer Gesamtauflage von fast 24 Millionen Exemplaren wurden allein im Jahr 2008 gedruckt, statistisch gesehen also mehr als zwei für jeden Kubaner, vom Säugling in seinem Bettchen bis zum alten Mann in seinem Schaukelstuhl.

* Aus: junge Welt, 11. Februar 2010


"Blockade beeinträchtigt uns in allen Bereichen"

Ein Jahr Obama-Regierung: Kein grundsätzlicher Wandel in der Politik Washingtons. Ein Gespräch mit Elio Gámez Neyra **


Elio Gámez Neyra lebt in Havanna und ist Vizepräsident des Kubanischen Instituts für Völkerfreundschaft.

Vor etwas mehr als einem Jahr übernahm Barack Obama das Präsidentenamt in Washington. Hat sich seither die Haltung der USA gegenüber Kuba verändert?

Das einzige, was sich geändert hat, ist der Diskurs. Obama ist etwas freundlicher, etwas anziehender, gebildeter. Das hat viele Menschen verwirrt, die glauben, daß die Blockade nun abgeschwächt wird oder verschwindet. Aber Obama hat nur eine Reihe kosmetischer Maßnahmen angekündigt, von denen auch nur einige umgesetzt worden sind. Doch selbst wenn alle diese Maßnahmen umgesetzt würden, brächte uns das gerade einmal auf den Stand der Beziehungen zwischen Kuba und den USA, der unter der Regierung Clinton und in den ersten Monaten der Bush-Administration geherrscht hat. Es gibt keinen grundsätzlichen Wandel in der Politik. Im vergangenen Jahr hat Obama das Gesetz über den Handel mit dem Feind verlängert, eine der wichtigsten Grundlagen für die Blockade. Das wäre eine Gelegenheit gewesen, Kuba von der Liste verfeindeter Länder zu streichen. Außerdem hätte Obama Gelegenheit gehabt, die internationale Forderung nach der Freilassung der fünf kubanischen Genossen aufzunehmen, die in US-Gefängnissen inhaftiert sind, weil sie gegen den Terrorismus antikubanischer Organisationen in Miami gekämpft haben. Die Verantwortlichen ihrer Verbrechen leben frei in den USA, während die fünf Genossen zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Aber Obama hat sich gegenüber diesem Fall taub gestellt und vermieden, sich für die Freiheit dieser Genossen auszusprechen.

Wie ist in dieser Situation die Lage der fünf Kubaner? Die juristischen Instanzen, um ihre Freilassung zu erreichen, sind ja ausgeschöpft.

Was nun bleibt, ist der Druck der Solidaritätsbewegung unserer Freunde in aller Welt, um diese Mauer des Schweigens der großen Massenme­dien zu durchbrechen. Diese Bewegung umfaßt derzeit 2111 Organisationen in 148 Ländern, davon arbeiten mehr als 900 Gruppierungen in den meisten Ländern Europas. Die Forderung an Obama ist, daß er von seiner Möglichkeit Gebrauch macht, die Fünf zu begnadigen.

Welche Auswirkungen hat die Blockade Kubas durch die USA auf die Internationale Buchmesse in Havanna?

Die Blockade beeinträchtigt unser Leben in allen Bereichen. Durch die Blockade ist es vielen nordamerikanischen Schriftstellern und Verlagen, die hier gerne dabei wären, nicht erlaubt zu kommen. Zugleich wird der Erwerb und Transport von Druckereimaterial erschwert, das wir gern auf dem uns so nahen Markt der USA erwerben würden. Wir müssen aber alles, was für den Druck von Büchern und Zeitschriften benötigt wird, von weit entfernten Orten besorgen und deshalb zwei- oder dreimal so viel bezahlen, wie dies in den USA kosten würde. Das Torricelli-Gesetz bestraft außerdem jedes Schiff, das in Kuba anlegt. Es darf die nächsten sechs Monate keinen US-Hafen anlaufen.

Das diesjährige Gastland der Messe ist Rußland. Wie haben sich die Beziehungen mit diesem Land entwickelt?

Die Beziehungen sind von großer Freundschaft und Übereinstimmung in internationalen Fragen bestimmt, die Zusammenarbeit wächst weiter. Hinzu kommen die historischen Beziehungen aus den ersten Jahren der Kubanischen Revolution, als das sowjetische Volk dem kubanischen Volk immer die Hand gereicht hat und es in den meisten Bereichen unserer Wirtschaft, im Bildunsgswesen und Gesundheitsbereich eine intensive Zusammenarbeit gegeben hat. Deshalb hat Rußland sich die Auszeichnung, diesmal Ehrengast der Buchmesse zu sein, redlich verdient.

Interview: André Scheer

** Aus: junge Welt, 11. Februar 2010


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