Kuba 50 Jahre nach dem Sieg der Revolution
Schwieriger Eintritt in die Normalität
Von Rainer Schultz, Havanna *
Am 1. Januar begeht Kuba den 50. Jahrestag seiner Revolution. Mehr als
dieses Jubiläum bestimmten in diesem Jahr drei Themen die
Straßengespräche in Havanna: Raúl Castro, Barack Obama und die Hurrikane.
Die offizielle Ernennung von Fidel Castros Bruder Raúl zum
Regierungschef im Februar wurde mit Hoffnungen auf Veränderung
verbunden. Auch die Wahl des USA-Demokraten gab Anlass zur Hoffnung: auf
einen »Change« auch in den US-amerikanisch-kubanischen Beziehungen.
Obama ist schließlich der erste Präsident, der ein Gespräch mit der
kubanischen Regierung für möglich hält. »Schlimmer als Bush kann er ja
nicht werden«, sagt Yamel de la Fuente, Soziologiestudent an der
Universität Havanna. Fidel Castro warnte zwar jüngst vor einer
»Zuckerbrot-und-Peitsche-Politik aus dem Norden«, doch Raúl brachte
selbst einen Austausch kubanischer Dissidenten gegen die seit zehn
Jahren inhaftierten »Cuban Five« ins Gespräch.
Der abwesende Anwesende
In unregelmäßigen Abständen äußert Fidel seine als »Reflexionen«
bezeichneten politischen Überlegungen, die in den Acht-Uhr-Nachrichten
im Fernsehen verlesen und tags darauf in allen staatlichen Publikationen
abgedruckt werden. Die legendären Fotos des bärtigen Revolutionsführers
seien jedoch immer seltener zu sehen, weiß Arling Pompa aus ihrer
Nachbarschaft in dem Arbeiterbezirk Centro Havanna zu berichten.
Auffällig sind auch die Unterschiede im Auftreten der Brüder Castro.
Fidels Reden waren meist improvisiert, fast immer sehr ausführlich,
geschmückt mit Anekdoten und historischen Details. Und sie endeten
obligatorisch mit »Patria o Muerte - Venceremos!« (Vaterland oder Tod -
wir werden siegen!). Bruder Raúl dagegen fällt durch wohlüberlegte, aber
kurze und pragmatische Aussagen auf. Seine jüngste Rede vor dem
kubanischen Parlament endete: »Für das Jahr 2009 wünsche ich Gesundheit
und viel Energie.«
Mit den USA will er vor allem über Handelsbeziehungen reden. Schon jetzt
sind die USA Kubas größter Lebensmittellieferant. Nicht nur die
USA-Agrarlobby macht Druck auf weitere Embargo-Lockerungen. Kubas
Nickel, die Erdölfunde vor den Küsten der Insel, die Biotechnologie und
der Tourismus, lassen das jahrzehntelange Embargo auch in den USA als
störenden Anachronismus erscheinen, sagt Gustav Menéndez vom Zentrum zum
Studium der kubanischen Wirtschaft. Das Problem sei jedoch, so Dr.
Ismael Cuevas, der im Verkehrswesen arbeitet, ein potenzieller ziviler
Einmarsch der US-Amerikaner. Reisten bisher jährlich etwa zwei Millionen
Touristen auf die Insel, darunter fast 100 000 US-Amerikaner, so könnte
diese Zahl, wenn Reisebeschränkungen fallen sollten, auf vier Millionen
steigen. »Darauf sind wir nicht vorbereitet«, fürchtet Cuevas, »weder
infrastrukturell noch ideologisch. Denn die Touristen bringen zwar einen
Großteil der dringend benötigten Devisen, aber auch andere Werte und
Konsumnormen.«
Am schwersten liegt den Kubanern jedoch das dritte Thema - die Hurrikane
Gustaf, Ike und Paloma, die im September und Oktober über die Insel
fegten - auf dem Magen. Zehntausende verloren ihr Haus, fast eine halbe
Million Behausungen wurden zerstört oder beschädigt. Wohl wäre anderswo
der Schaden weitaus größer ausgefallen - die Vorsorgemaßnahmen auf Kuba
sind nun mal einzigartig. Doch die privaten Kleinmärkte sahen wochenlang
so trist aus wie zu den dunkelsten Zeiten der »Spezialperiode«.
Grundnahrungsmittel wie Milch, Eier und Fleisch, die den Kubanern durch
die Lebensmittelkarte theoretisch garantiert sind, waren einfach nicht
zu haben. »Schau dir meine Lebensmittelkarte an«, sagt Monica Gutierrez,
während sie schwitzend in der Schlange vor einer Bodega steht. »Sie ist
fast leer.« Üblicherweise werden die Lebensmittel, die man zu stark
subventionierten Preisen kauft, in der Karte abgehakt.
Zeitweise sah sich der Staat gezwungen, Kleinbauern und Händlern Höchst-
und Festpreise vorzuschreiben, um eine Mindestversorgung zu
gewährleisten und Spekulation zu verhindern. Szenen wie diese auf dem
Gemüsemarkt in Vedado waren nicht selten: »Was, 20 Peso wollt ihr für
einen Bund grüne Bohnen haben?«, raunzt eine ältere Hausfrau den
dickbäuchigen Verkäufer an. »Letzte Woche haben sie noch die Hälfte
gekostet, unglaublich, ihr seid Verbrecher!« Der Verkäufer bellt zurück:
»Du musst sie ja nicht kaufen«, und tütet die Ware gelassen dem Besitzer
eines Privatrestaurants ein. Inzwischen hat sich die Lage verbessert,
mit Hilfe eines Reifebeschleunigers wurden die Ernten vorverlegt.
Wirbelsturm der Reformen
Während die internationale Krise des Kapitalismus Kuba insgesamt weniger
direkt berührt, verpassten die Hurrikane und die Energiepreise den
Wachstumserwartungen erhebliche Dämpfer. Wirtschaftsminister José Luís
Rodríguez musste die Wachstumsprognose von 8 auf 4,3 Prozent stutzen.
Einbußen bei den Exporteinnahmen und ein Anstieg der Importausgaben um
44 Prozent, vor allem für Lebensmittel, brachten den Haushalt aus dem
Gleichgewicht. Raúl Castro am Sonnabend: Kein Staat könne es sich
leisten, auf Dauer über seine Verhältnisse zu leben. Er kündigte
Kosteneinsparungen und das Ende der unterschiedslosen Subventionierung
von Gütern und Dienstleistungen für jeden Kubaner an. Ohnehin sei die
Gesellschaft seit den Reformen der 90er Jahre differenzierter und
ungleicher geworden, schreibt Mayra Espina vom Sozialforschungsinstitut
CIPS. Die Einkommensungleichheit habe sich seit Anfang der 90er etwa
verdoppelt.
Unter Fidel waren seinerzeit »Maßnahmen, die uns zuwider sind« --
Dollarlegalisierung, ausländische Investitionen, Privatinitiative -- in
der Hoffnung eingeführt worden, sie in besseren Zeiten wieder rückgängig
machen zu können. Die Regierung Raúl Castros dagegen erkennt sie als
Realität an und versucht, die daraus erwachsenden Probleme unter Wahrung
sozialer Gerechtigkeit zu lösen. Dies ist ein widersprüchlicher Prozess.
Den einen, vor allem vielen von Strukturänderungen Betroffenen, geht er
zu weit. Anderen, Kleinhändlern und ihren Kunden etwa, geht er nicht
weit genug.
Die Landreform wird weithin begrüßt, weil sie hilft, die Versorgungslage
zu verbessern. Die schwierige Reform des Lohnsystems, der doppelten
Währung und andere strukturelle Maßnahmen stehen noch aus. Am
vergangenen Wochenende erst verabschiedete das Parlament eine lange
debattierte Reform des Arbeitsgesetzes. Angesichts einer
überdurchschnittlich alten Bevölkerung müsse die Lebensarbeitszeit um
fünf Jahre erhöht werden, um das Sozialsystem weiter finanzieren zu
können. Das Renteneintrittsalter liegt nun -- mit vielen Ausnahmen -- bei
65 Jahren für Männer und bei 60 Jahren für Frauen. Nach 30 Jahren Arbeit
kann ein Kubaner 60 Prozent seines Lohns als Rente beanspruchen, für
jedes weitere Jahr gibt es 2 Prozent mehr.
Die Revolution ist präsent in Kuba, zum Jahrestag sind die Straßen mit
riesigen Flaggen geschmückt, das offizielle Plakat zeigt ein Foto Fidels
mit Glückwünschen zum Feiertag. Doch spektakuläre Massenkundgebungen
wird's nicht geben.
Musik aus allen Ecken
Die Schlangen am kleinen Laden an der Ecke werden derweil täglich
länger: Jeder möchte etwas Besonderes kaufen für die Silvesterfeier, die
traditionell mit einem Essen im Kreis der Familie begangen wird. »Das
wichtigste haben wir deshalb auf einen Stand nach draußen verlagert«,
erklärt Sergio, der Verkäufer: Suppenpulver, Bier, Schaumwein und
Süßigkeiten werden hier für konvertible Pesos feilgeboten.
Schüler, Studenten und viele andere sind ohnehin seit Weihnachten jeden
Abend auf der Straße. Die Rocker auf der Avenida de los Presidentes, die
Homo- und Transsexuellen an der Rampa, vor allem Afrokubaner treffen
sich am Malecón. Seit der Papstbesuch 1998 den Kubanern wieder den
Weihnachtsfeiertag bescherte, genießen fast alle die Ferienzeit bis zum
5. Januar.
Die Uferpromenade wird jeden Abend für den Verkehr gesperrt, denn
tausende junge Leute zieht es zu den Rock- und Reggaeton-Konzerten auf
der »antiimperialistischen Tribüne« neben der Interessenvertretung der
USA. Man tanzt und trinkt bis nach Mitternacht, Musik schallt aus allen
Ecken, fast jedes Restaurant, jedes Bürohaus, jede Werkstatt hat etwas
organisiert. Wie die vergilbten Sprüche aus den 60er Jahren noch heute
an vielen Fenstern proklamieren: »En cada barrio revolución« -- in jedem
Viertel Revolution.
* Aus: Neues Deutschland, 31. Dezember 2008
Viva la revolución!
Von André Scheer **
Die Tage um Neujahr stehen auf Kuba im Zeichen des runden
Revolutionsjubiläums. Vor genau 50 Jahren, in der Nacht zum 1. Januar
1959, hatte sich der von den USA ausgehaltene Diktator Fulgencio Batista
in Richtung Festland abgesetzt. Am Neujahrstag selbst feierten »die
Bärtigen«, wie die von Fidel Castro geführte Guerilla auch genannt
wurde, ihren Sieg - und mit ihnen bereits damals Millionen Kubaner. 50
Jahre danach wird dieses Ereignis erneut gefeiert - unter anderem mit
einem zentralen Festakt am 1. Januar in Santiago de Cuba.
Santiago, die zweitgrößte Stadt der Insel, war Schauplatz einiger der
wichtigsten Ereignisse der kubanischen Geschichte. Hier begann am 26.
Juli 1953 mit dem von Fidel Castro geleiteten Sturm auf die
Moncada-Kaserne der bewaffnete Kampf gegen die Batista-Diktatur. Hier
verkündete Fidel am 1. Januar 1959 den Sieg der Revolution. »Endlich
sind wir in Santiago! Der Weg war hart und lang, aber wir sind
angekommen!« waren seine ersten Worte, die er vom Balkon des Rathauses
von Santiago aus der versammelten Menge zurief. »Die Revolution beginnt
jetzt. Die Revolution wird keine einfache Aufgabe, sie wird hart und
voller Gefahren sein, vor allem in dieser Anfangsphase, und welcher Ort
wäre besser geeignet, um die Regierung der Republik zu etablieren, als
diese Festung der Revolution.« Deshalb sei Santiago de Cuba »die
provisorische Hauptstadt der Republik«, verkündete Fidel.
Derselbe Balkon wird nun, 50 Jahre danach, Schauplatz der offiziellen
Festveranstaltung zum Jahrestag sein. Wie die kubanische
Gewerkschaftszeitung Trabajadores berichtet, werden zu diesem Festakt
3000 Gäste erwartet, die die verschiedenen Teile der Bevölkerung
repräsentieren sollen. Zunächst sollen Vertreter der
Pionierorganisation, der Jugend, der Arbeiter und der Revolutionären
Streitkräfte zu den Versammelten sprechen, bevor die »zentralen Reden«
beginnen. Weder Trabajadores noch andere kubanische Medien informierten
bislang jedoch darüber, wer die zentralen Redner sein werden. Klar ist,
daß die -- vor allem infolge der schweren Hurrikan-Katastrophen des
Sommers -- angespannte wirtschaftliche Lage die Staatsführung veranlaßt
hat, auch mit den Geldern zur Finanzierung der Jubiläumsfestivitäten
sparsam umzugehen.
Trotzdem: »Ein halbes Jahrhundert Errungenschaften sind ein Grund mehr
zum Feiern«, schreibt die Gewerkschaftszeitung mit Blick auf mehr als
ein Dutzend Konzerte unter freiem Himmel, mit denen die Hauptstadt
Havanna das neue Jahr und den Jahrestag der Revolution begrüßen wird.
Bis zu 45000 Teilnehmer werden allein auf der Plaza Marianao erwartet.
Auf der »Antiimperialistischen Tribüne José Martí« gegenüber der
US-Interessenvertretung am Ende des Malecón wird die populäre Salsa-Band
»Los Van Van« aufspielen.
Auch in zahlreichen anderen Ländern wird mit Feiern, Ausstellungen und
offiziellen Zeremonien der Jahrestag des Sieges gewürdigt. Venezuelas
Präsident Hugo Chávez kündigte bei einer Veranstaltung am vergangenen
Wochenende an, daß er seine offiziellen Aktivitäten im Jahr 2009 mit
einer Zeremonie zu Ehren der kubanischen Revolution beginnen werde. Die
Abgeordneten der russischen Duma beschlossen eine Erklärung, in der sie
die sozialen Errungenschaften hervorheben, die Kuba trotz der
jahrzehntelangen Blockade erreichen konnte. Es sei erfreulich, daß im
abgelaufenen Jahr die »traditionelle Freundschaft beider Länder« wieder
gestärkt werden konnte. In Managua sagte Tomás Borges, der letzte noch
lebende Mitbegründer der Sandinistischen Befreiungsfront FSLN, daß alle
politischen Veränderungen in Lateinamerika ihren Ursprung in der
Kubanischen Revolution gehabt hätten. »Der venezolanische Präsident Hugo
Chávez ist möglich durch Bolívar und Fidel. In Nicaragua wäre die FSLN
nicht erklärbar ohne Sandino, aber (ihr wichtigster Gründer) Carlos
Fonseca war nur möglich durch Sandino und Fidel«, betonte der frühere
nicaraguanische Minister.
Unterdessen wachsen die Spekulationen über eine Änderung der
US-amerikanischen Blockadepolitik gegen Kuba. Einer Meldung der Agentur
Reuters zufolge soll der künftige US-Präsident Barack Obama bereit sein,
die Blockade gegen die Insel an einigen Punkten zu lockern. Im Wahlkampf
hatte sich Obama noch für eine Beibehaltung der Sanktionen
ausgesprochen, während der kubanische Präsident wiederholt seine
Bereitschaft zu einem bilateralen Treffen betonte.
** Aus: junge Welt, 31. Dezember 2008
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