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Vier Kandidaten und ein Kreuz

Kroaten stimmen am Sonntag über Präsidenten ab. Wiederwahl des Amtsinhabers erwartet

Von Roland Zschächner *

Es ist eine leidige Tradition. Kroatiens Präsident wird gewählt, wenn die Diaspora auf Weihnachtsbesuch in der Heimat verweilt. Das hat zur Folge, dass meist konservativer abgestimmt wird als bei der 14 Tage später stattfindenden Stichwahl. Es geht um wenig in dem südosteuropäischen Land, denn das Staatsoberhaupt hat im politischen Alltagsgeschäft auch nur wenig zu sagen.

Im ersten Wahlgang am Sonntag treten vier Kandidaten an. Als Favorit gilt der amtierende sozialdemokratische Präsident Ivo Josipović. Seine größte Konkurrentin und wahrscheinlich Gegnerin in der Stichwahl am 11. Januar ist Kolinda Grabar Kitarović von der rechten Kroatischen Demokratischen Union (HDZ). Beide Politiker stehen für die weitere Anbindung an EU und NATO sowie eine neoliberale Wirtschaftspolitik.

Grabar Kitarović zu nominieren war ein geschickter Schachzug der immer wieder durch Korruptionsskandale gebeutelten HDZ. Die ehemalige Außenministerin und Diplomatin, die einen Teil ihrer Jugend in den USA verbrachte, ist zur Zeit Assistentin des Generalsekretärs bei der NATO und gilt weithin als weltgewandt und Wegbereiterin der Mitgliedschaft in der NATO und der EU.

Der zweite Kandidat der Rechten ist der Internist Milan Kujundžić. Der Mediziner sagte sich 2012 von der HDZ los, nachdem er nicht zum Parteivorsitzenden gewählt worden war. 2013 gründete er die »Kroatische Dämmerung«. Seine Chancen für den Einzug in die Stichwahl sind gering, da er kein politisches Programm vorzuweisen hat, das sich von dem der HDZ unterscheidet.

Die einzige Überraschung ist bisher die unabhängige Kandidatur von Ivan Vilibor Sinčić. Ihm gelang es auch ohne Rückendeckung durch einen Par­tei­ap­pa­rat rund 15.000 Unterstützungsunterschriften zu sammeln. Sinčić ist Aktivist der Gruppe »Živi zid« (»lebendige Mauer«), die sich gegen Zwangsräumungen von Wohnungen und Häusern engagiert; ein Problem das immer mehr Kroaten betrifft.

Seit der blutigen Zerschlagung Jugoslawiens haben sich große Teile der Bevölkerung durch den Kauf von Konsumgütern, mehr noch aber von Häusern und Wohnungen, erheblich verschuldet – meist bei ausländischen Banken. Für viele Kroaten wird es immer schwieriger, die Kredite zurückzubezahlen. Grund ist vor allem die anhaltende Wirtschaftskrise. Außerdem sind die meisten Kredite in Euro ausgegeben worden. Durch die anhaltende Schwäche der kroatischen Kuna verteuern sich die Raten erheblich. Die Geldinstitute schicken deswegen immer häufiger den Gerichtsvollzieher und lassen räumen.

Dagegen ist in den vergangenen Jahren eine Bewegung entstanden, die versucht – zum Teil erfolgreich – Zwangsräumungen zu verhindern. Doch der progressive Schein trügt, denn Živi zid ist gleichzeitig ein Zirkel von Verschwörungstheoretikern, die sich vermeintlich »unideologisch« geben. Ihre Kritik zielt vornehmlich gegen Tycoone, Korruption und vor allem gegen »das Finanzsystem«. Letzteres wird für alles Schlechte verantwortlich gemacht, ohne es als Teil des Kapitalismus zu verstehen. Als Gegenentwurf wird ein »anderes Kroatien« propagiert, das durch die »Entprivatisierung des Geldes« und eine »Säuberung« des Staats von Politikern des aktuellen sowie des kommunistischen Regimes erreicht werden soll.

Bezeichnend sind auch Aussagen Sinčićs, der jede Gelegenheit nutzt, sich von der Linken abzugrenzen. Diese würde sowieso nur aus »Banditen« mit »veralteten Ideen« bestehen, die zudem nichts verstanden hätten, sagte Sinčić unter anderem im Interview mit der Wochenzeitung Novosti.

Nicht angetreten ist der Zagreber Bürgermeister Milan Bandić, der beim letzten Urnengang 2009 überraschend in die Stichwahl kam. Der ehemalige Sozialdemokrat wurde durch ein Komplott ausmanövriert: Am 19. Oktober wurde er aufgrund von Ermittlungen der Antikorruptionsbehörde festgenommen. Mittlerweile ist er wieder frei, wird aber weiterhin der Veruntreuung, der Steuerhinterziehung und des Amtsmissbrauchs im Zusammenhang mit der städtischen Zagreber Holding bezichtigt. Dass es ihn traf, ist vor allem seinen politischen Ambitionen geschuldet. Sowohl für die regierenden Sozialdemokraten wie für die HDZ ist der populäre Politiker gefährlich, da er die Wähler beider Lager bedient.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 30. Dezember 2014


Kroatien vor zweiter Runde

Kopf-an-Kopf-Rennen bei Präsidentschaftswahl. Entscheidung am 11. Januar. 300.000 Stimmen für unabhängigen Kandidaten

Von Roland Zschächner **


Die erste Runde der Präsidentschaftswahlen nahm einen überraschenden Ausgang. Entgegen vieler Umfragen war der Abstand zwischen den Kandidaten der beiden großen Parteien geringer als vorausgesagt. So erzielte der sozialdemokratischen Amtsinhaber Ivo Josipović laut dem offiziellen Ergebnis von Montag 38,46 Prozent der Stimmen. Seine rechte Kontrahentin von der oppositionellen HDZ und ehemalige Außenministerin, Kolinda Grabar Kitarović, erhielt mit 37,22 Prozent nur knapp weniger als Josipović. Dieser gab sich trotzdem siegessicher: »Wir haben die erste Runde gewonnen, wir werden auch die zweite gewinnen«. Die Stichwahl ist auf den 11. Januar angesetzt.

Kroatien steckt seit Jahren in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 20 Prozent, die von Jugendlichen ist weit höher. Wer kann, versucht das Land zu verlassen. Die Industrie liegt am Boden. Viele Fabriken sind geschlossen oder wurden an westliches Kapital privatisiert. Im Zuge der EU-Mitgliedschaft 2013 wurde der Ausverkauf weiter vorangetrieben; durch »Strukturanpassungen« wurde die Wirtschaft der europäischen, vor allem deutschen und italienischen Konkurrenz ausgeliefert. Gleichzeitig hat sich eine politische Elite herausgebildet, die den Staat als Selbstbedienungsladen nutzt.

Die Kritik an den aktuellen Verhältnissen war wohl ausschlaggebend für die größte Überraschung der Wahl: das Abschneiden des unabhängigen Kandidaten Ivan Vilibor Sinčić, der mit 16,42 Prozent der abgegebenen Stimmen den dritten Platz belegt. Insgesamt hatten 293.562 Kroaten ihr Kreuz für den Aktivisten der Gruppierung Živi zid (Lebendige Mauer) gemacht. Diese setzt sich seit Jahren gegen Zwangsräumungen von Häusern und Wohnungen ein, deren Bewohner sich entweder die Miete nicht mehr leisten oder die für den Kauf der Immobilie aufgenommenen Kredite nicht mehr bedienen können.

Die Initiative hatte für den Antritt ihres Kandidaten rund 15.000 Unterstützungsunterschriften gesammelt. Ein Großteil des Wahlkampfes wurde im Internet geführt. Im Mittelpunkt der Politik von Živi zid steht die einseitige Kritik am »Finanzsystem«, das als treibende Kraft hinter den schlechten Verhältnissen angesehen wird. Die Gruppe, die sich vor allem Verschwörungstheorien bedient, gibt sich als unpolitisch und grenzt sich von der Linken und ihren »veralteten Ideen« ab. Die meisten Stimmen hat Sinčić in sozialdemokratischen Wahlkreisen und zu Lasten Josipovićs erhalten.

Nun beginnt die Balz um die Wähler der ausgeschiedenen Kandidaten. Zum ersten Mal seit der blutigen Zerschlagung Jugoslawiens bedienen sich die Politiker dabei einer linken Rhetorik. Denn es sind vor allem die Wähler von Živi zid, die die zweite Runde entscheiden werden.

Sowohl Josipović wie auch Grabar Kitarović stellten deswegen die »soziale Gerechtigkeit« in den Mittelpunkt ihrer Reden am Sonntag abend. Dass beide Politiker zu der herrschenden Elite gehören, die Sinčić kritisiert, ist dabei zweitrangig. Živi zid hat unterdessen seine Anhänger dazu aufgerufen, beim zweiten Wahlgang erneut für ihren Kandidaten zu votieren – was de facto bedeutet, den Stimmzettel ungültig zu machen.

Die Wahlbeteiligung in dem südosteuropäischen Land lag bei knapp 47 Prozent. Lokale Medien vermeldeten mit Freude, dass dies ein Anstieg von rund drei Prozent im Vergleich zu 2009 sei. Doch weit mehr ist es Ausdruck des Desinteresses am politischen Zirkus und dem mit wenig Kompetenzen ausgestatteten Amt des Präsidenten.

Abzuwarten bleibt, ob der Achtungserfolg Sinčićs lediglich ein Warnschuss für die regierenden Sozialdemokraten war, sich verstärkt den Interessen ihrer Wähler anzunehmen – oder ob sich ein neuer politischer Block formiert. Sinčić hat am Sonntag bereits angekündigt, auch zur Parlamentswahl 2015 antreten zu wollen. Der Präsident wird dann wahrscheinlich immer noch Ivo Josipović heißen.

** Aus: junge Welt (online), Dienstag, 30. Dezember 2014


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