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Kroatiens HDZ bangt um die Macht

Regierungspartei im Korruptionssumpf beschwört neue Gefahr aus dem Osten

Von Michael Müller, Zagreb *

Am Sonntag (4. Dez.) wählt Kroatien: Vieles spricht für eine Schlappe der Regierungskoalition unter Führung der Kroatischen Demokratischen Union (HDZ). Doch die Konservativen spielen flott die nationale und antikommunistische Karte.

Manche in Zagreb witzeln über ihr Land und seine Leute: Von den vier Millionen Kroaten seien eine Million Rentner, eine Million Arbeitslose, eine Million im Ausland und eine Million Politiker. Alle zusammen sind am kommenden Sonntag wieder einmal als Wähler des Sabors, des kroatischen Parlaments, gefragt. Das Ergebnis schien schon im Sommer festzustehen: deutliche Abwahl der regierenden Nationalkonservativen. Die Kroatische Demokratische Union (HDZ) steckt in einem Korruptionsstrudel, der selbst für Kroatien ungeahnte und ungewöhnliche Geschwindigkeiten entwickelt.

Vor knapp einem halben Jahr war Ivo Sanader (58), ehemaliger HDZ-Vorsitzender und bis Juni 2009 kroatischer Premier, auf der Flucht in Österreich geschnappt worden. Seither sitzt der politische Mentor der jetzigen Regierungschefin Jadranka Kosor (58), die seine Spitzenpositionen übernommen hatte, in Zagreb in Untersuchungshaft. Der gelernte Jurist Sanader war seit dem Tod des ersten kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman 1999 Kopf und Gesicht der Nationalkonservativen. Nun wird er der privaten Vorteilsnahme bei Geschäften mit einer österreichischen Bank sowie illegaler Parteifinanzierung mit Bestechungsgeldern eines ungarischen Energiekonzerns beschuldigt. Insgesamt ist von rund zwölf Millionen Euro die Rede.

Bevor das alles ins Rollen kam, hatte Sanader sich quasi über Nacht aus dem Amt gestohlen. Auch Nachfolgerin Kosor will keine anderen als die damals von Sanader geltend gemachten »persönlichen Gründe« für dessen Abschied gekannt haben. Einige Zeugen im gegenwärtigen Strafprozess sagen anderes. Was nahe liegt. Denn auch gegen die HDZ als Partei wird seit Monaten wegen millionenschwerer Schwarzgeldkonten ermittelt, die aus öffentlichen Mitteln gespeist worden sein sollen. Das Parteivermögen war zeitweise per Gerichtsbeschluss eingefroren. Sogar von einer möglichen Liquidation der Partei war die Rede.

Und dies alles im Vor-, Haupt- und Endwahlkampf! Kein Wunder, dass sich die oppositionelle Sozialdemokratische Partei (SDP) genüsslich darauf stürzt. Jüngst fielen die Umfragewerte der HDZ auf 15, sogar 10 Prozent. Doch ebenso wäre es ein Wunder, wenn sich diese Zahlen am Wahlsonntag deckungsgleich wiederholen würden. In Umfragen hatte die SDP auch vor den Wahlen 2007 weit vorn gelegen. Und dann war es doch anders gekommen.

Scheinbar unbeeindruckt von allen Korruptionsvorwürfen führte die HDZ nämlich einen messerscharfen konfrontativen, ja demagogischen Wahlkampf. Da wurde vor allem - mit Blick auf die oppositionellen, bestenfalls rosa Sozialdemokraten - »die Gefahr eines roten Kroatiens« beschworen.

Solche Propaganda setzt auf Dreierlei, analysierte der Soziologe Josip Varvodic in der Tageszeitung »Glas Slavonije«: auf den Antikommunismus, der in Kroatien viel stärker verbreitet ist als in anderen ehemaligen jugoslawischen Republiken; auf das Vorurteil, dass die Sozialdemokraten den Weg in die EU behindern würden; und auf die religiös stark katholisch sozialisierten Kroaten. Mäßigende Stimmen wie die des bekannten Theologen Adalbert Rebic in der Zeitung »Jutarnji list«, wonach die sozialdemokratische SDP doch »gar keine rote, sondern eine nationale, linke Partei« sei, sollte man nicht überschätzen.

Zur beschworenen »roten Gefahr« im Innern gesellt sich in der HDZ-Wahlpropaganda eine neue »Gefahr aus dem Osten«. Seit Monaten schon hatten kroatische Medien die Öffentlichkeit auf die jüngst tatsächlich angekündigte Gründung der Eurasischen Union eingestimmt: »Es lebe die neue UdSSR!« (»Dubrovacki Vjesnik«) oder »Putin plant neues russisches Imperium« (»Novi list«). Die spezielle kroatische Note in dieser auch andernorts verbreiteten Lesart brachte die überregionale »Jutarnji list« zum Ausdruck, indem sie eine große Europa-Asien-Karte veröffentlichte, auf der nicht nur die Ukraine, Turkmenistan und Aserbaidshan als nächste Beitrittskandidaten der Eurasischen Union gekennzeichnet waren, sondern auch - Serbien.

Womit ein weiteres, emotional hoch aufgeladenes HDZ-Wahlkampfthema angerissen wäre. Man dürfe nicht zulassen, dass sich »Serbien zu einem Mini-Den-Haag« aufspielt, ereiferte sich beispielsweise der HDZ-Vizechef Vladimir Seks auf allen Fernsehkanälen. Er spielte damit auf serbische Bewertungen der Jugoslawienkriege 1991-1995 an, die die kroatische Seite stark belasten. Solcherart Revisionismus habe durch Urteile des Haager Jugoslawientribunals gegen kroatische Militärs in diesem Jahr neuen Aufwind erhalten, macht sich die HDZ eine im Land weit verbreitete Sicht zu eigen.

Das betrifft vor allem die im Frühjahr 2011 wegen vielfachen Mordes und massenhafter Vertreibung ziviler kroatischer Serben zu 24 beziehungsweise 18 Jahren verurteilten kroatischen Generale Ante Gotovina und Mladen Markac. Regierungschefin Kosor hatte die Urteile als »unannehmbar« bezeichnet. Was ihr im Land große Sympathiebekundungen einbrachte. Die Generale gelten - wie einige andere auch - nach wie vor als Nationalhelden.

Bleibt also abzuwarten, von welchen Tatsachen und Argumenten sich die kroatischen Wähler am Sonntag leiten lassen.

Die wirklich wichtigen Weichen für die kroatische Zukunft sollen ohnehin erst ein paar Tage später gestellt werden. Für den 9. Dezember ist die Unterzeichnung des Beitrittsvertrages zur Europäischen Union vorgesehen. Bereits im kommenden Jahr könnte Kroatien EU-Mitglied werden - so es die Parlamente aller Unionsstaaten und die Kroaten selbst bei einem noch ausstehenden Volksentscheid denn auch wollen.

* Aus: neues deutschland, 3. Dezember 2011


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