Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Südkoreas Präsidentin übt politische Rache

Parlamentsabgeordneter Lee Sang Gyu wirbt um Unterstützung im Kampf gegen drohendes Parteiverbot

Von Detlef D. Pries *

Der Vereinigten Fortschrittspartei Südkoreas droht die Zwangsauflösung. Die Partei wehrt sich und sucht internationale Unterstützung. In Deutschland findet sie jedoch offenbar wenig Resonanz.

Lee Sang Gyu muss sich ziemlich einsam fühlen. Ein einziger Journalist ist zu seinem Auftritt vor der Berliner Pressekonferenz am Reichstagsufer gekommen. Liegt es daran, dass Lee weder Systemkritiker aus China noch Flüchtling aus Nordkorea ist? Lee sitzt als Abgeordneter in der südkoreanischen Nationalversammlung und vertritt, wie er sagt, die drittgrößte Partei der Republik (Süd-)Korea, die Vereinigte Fortschrittspartei, englisch UPP abgekürzt. Freilich stellt sie nur sechs Abgeordnete im 300-köpfigen Parlament, in dem die konservative Saenuri-Partei von Präsidentin Park Geun Hye dominiert. Doch in deren Augen stellt die UPP eine Gefahr für die demokratische Grundordnung der Republik dar, weshalb sie im vergangenen November beim Verfassungsgericht die Zwangsauflösung der Partei beantragt hat. Lee und vier seiner Abgeordnetenkollegen, darunter zwei Frauen, ließen sich aus Protest gegen den Antrag die Köpfe kahl scheren und traten vor dem Parlamentsgebäude in einen 24-tägigen Hungerstreik. Der sechste UPP-Parlamentarier, Lee Seok Ki, konnte daran nicht teilnehmen, weil er bereits im September verhaftet worden war. Wegen Planung eines bewaffneten Aufstands und angeblicher Verbindungen zu Nordkorea wurde er inzwischen zu 12 Jahren Haft verurteilt.

Im Frühjahr 2013 hatten die Spannungen auf der Koreanischen Halbinsel nach einem nordkoreanischen Atomtest, dem folgenden militärischen Aufmarsch der USA und gegenseitigen Vernichtungsdrohungen einen Höhepunkt erreicht. In einem Vortrag vor 130 Parteifreunden sprach Lee Seok Ki damals nach eigenen Worten über seine Besorgnis angesichts eines drohenden Krieges, der unweigerlich mit der Verfolgung fortschrittlicher Kräfte in Südkorea einhergegangen wäre. Das zu verhindern, müsse eine friedliche Bewegung mobilisiert werden.

Aus der UPP-Versammlung fabrizierte der Geheimdienst NIS eine ominöse »Revolutionäre Organisation«, deren Existenz Lee Seok Ki bestreitet, und aus seinem Vortrag einen Aufruf zum bewaffneten Umsturz. Die Regierung wiederum nahm den Fall zum Anlass, um die Auflösung der 100 000 Mitglieder starken Vereinigten Fortschrittspartei zu fordern. In ihrem Antrag ans Verfassungsgericht beruft sie sich unter anderem auf das bundesrepublikanische KPD-Verbot von 1956. Der Abgeordnete Lee Sang Gyu spricht deshalb davon, dass die Forderung der »Logik des Kalten Krieges« folge.

Präsidentin Park Geun Hye wolle Rache an seiner Partei nehmen, glaubt Lee. Vor der Präsidentenwahl 2012 hatte die UPP-Kandidatin Lee Jung Hee der späteren Wahlsiegerin nämlich im Fernsehen vorgehalten, der frühere Diktator Park Chung Hee (1961-79), Vater der jetzigen Präsidentin, habe als japanischer Kolonialoffizier Takagi Masao an der Unterdrückung des eigenen Volkes mitgewirkt. Nach der Wahl deckte die UPP Manipulationen des Geheimdienstes NIS zugunsten Parks auf. Dazu komme, dass die Saenuri-Partei ein Bündnis der Demokratischen Partei, der stärksten Oppositionskraft, mit der UPP vereiteln wolle, um ihre eigene Macht zu verewigen. Noch vor den Regionalwahlen im Juni, fürchtet Lee, soll die UPP ausgeschaltet werden.

Dem Vorwurf der Kollaboration mit dem Norden tritt Lee entgegen. Die Fortschrittspartei stehe zwar im kommunikativen Austausch mit der Sozialdemokratischen Partei in der KDVR, einer »Blockpartei« der herrschenden Partei der Arbeit, sie trete auch für Versöhnung und friedliche Wiedervereinigung beider Koreas und gegen die militärische Allianz des Südens mit den USA ein, doch er selbst habe sich ebenso gegen Atombewaffnung, gegen Raketenversuche und gegen das politische System des Nordens ausgesprochen. Die UPP sei nicht kommunistisch, aber schon die Forderung nach »fortschrittlicher Demokratie« und »ökonomischer Gleichheit« werde als nordkoreafreundlich denunziert. Die Präsidentin selbst habe der Wiederauflage der Nord-Süd-Familientreffen und dem Weiterbetrieb der Industriezone Kaesong zugestimmt, unterdrücke aber eine Partei, die für den Dialog steht. Und wie sich zeigt, findet Lees Bitte um Unterstützung im Kampf gegen ein UPP-Verbot auch in Deutschland wenig Aufmerksamkeit.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 3. April 2014


Zurück zur Korea-Seite

Zur Korea-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage