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"Gesichtsverlust für die Exekutive"

Vorstöße gegen Gewerkschafter in Südkorea. Abgeordneter wegen "Vorbereitung einer Revolution" verurteilt. Ein Gespräch mit Won Young Su *


Der Publizist Won Young Su lebt im ­südkoreanischen Seoul und ist als ­unabhängiger Sozialist politisch aktiv.


In letzter Zeit häufen sich die Berichte über drastische Maßnahmen der südkoreanischen Regierung gegen Gewerkschaften. Was hat es damit auf sich?

Mit den Attacken auf die Rechte der Arbeiter durch die Regierung von Präsidentin Park Geun Hye war zu rechnen, da sie die Interessen der herrschenden Oligarchie vertritt, also der Chaebols genannten Mammutkonzerne, der Staatsbürokratie und konservativer Kräfte. Die Enthüllung der verdeckten Operationen, mit denen der Geheimdienst NIS zu ihren Gunsten in die Präsidentschaftswahlen von 2013 interveniert hat, war für die neue Exekutive sehr unangenehm. Ihr Vorsprung vor der Opposition war damals nicht riesig, aber doch größer als erwartet. Wahrscheinlich wäre das Ergebnis auch ohne die Einmischung des NIS nicht anders ausgefallen. Die Geheimdienstagentur ist aber ein Stützpfeiler ihrer konservativen Herrschaft.

Jüngstes Opfer der Repression wurden die Eisenbahner. Was haben sie verbrochen?

Die Privatisierungspolitik bedroht alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Deshalb legte die Eisenbahnergewerkschaft im Dezember die Arbeit nieder und hielt ihren Streik, der in der Bevölkerung breite Sympathie genoß, einen Monat lang durch. Schwer zu sagen, wer am Ende als Sieger aus dieser Auseinandersetzung hervorging. Immerhin schaffte es die Railway Union aber nach mehreren gescheiterten Versuchen erstmals, einen substantiellen Streik auf die Beine zu stellen. Trotz des Drucks von innen und außen gelang es ihr, ein klares Zeichen gegen die Privatisierungen zu setzen. Obendrein war der Überfall der Bereitschaftspolizei auf das Hauptquartier des linken Gewerkschaftsbundes ­KCTU ein peinlicher Gesichtsverlust für die Exekutive, weil die Streikführer gar nicht dort waren und lächerliche Szenen von Polizeigewalt landesweit im Fernsehen übertragen wurden. Außerdem wurden mehrere Dutzend Gewerkschaftsfunktionäre festgenommen, aber alle kurz darauf wieder freigelassen.

Auch die Lehrervereinigung steht im Visier der Exekutive. Warum?

Der Arbeitsminister warf der historischen Nationalen Lehrerunion, NTU,vor, sie halte an der Mitgliedschaft von Lehrkräften fest, die aus politischen Gründen entlassen wurden. Im Zuge dieser Konfrontation wurden der Gewerkschaft ihre tarifpolitischen Möglichkeiten entzogen, allerdings wurde sie dadurch auch kämpferischer. Mit der Entscheidung des zuständigen Gerichts, ihre Klage anzunehmen, ist die Unterdrückungsmaßnahme vorerst fruchtlos.

Inwieweit gibt es Widerstand gegen diese Politik?

Am 25. Februar, dem ersten Jahrestag ihrer Amtseinführung, war die Staatspräsidentin mit einer großen Protestaktion konfrontiert. Für diesen Tag hatte der linke Gewerkschaftsbund KCTU einen Generalstreik zur Unterstützung der verfolgten Eisenbahnarbeiter ausgerufen. Die Aktion hatte allerdings mehr symbolischen Charakter. Einen echten Ausstand der Beschäftigten gab es unter den aktuellen Bedingungen nicht. Allerdings fanden in einigen Großstädten zum Teil beachtliche Demonstrationen statt.

Vor einigen Tagen wurde mit dem Vertreter der linken Vereinigten Volkspartei UPP, Lee Seok Gi, zum ersten Mal ein Parlamentsabgeordneter wegen »Verschwörung« und »Vorbereitung einer Revolution« zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Was ist der Hintergrund?

In rechtlicher Hinsicht ist dieser Fall ein Witz. Die Richter sprachen ihn dennoch schuldig. Es kamen ernsthafte Zweifel an Fairneß und Integrität des Gerichts auf, was in Korea allerdings üblich ist. Die UPP mobilisierte ihre Verbündeten, um die Justiz unter Druck zu setzen und berief sich dabei auf grundlegende politische und Menschenrechte. Ausschlaggebend war jedoch die Zeugenaussage des NIS-Agenten. Die Agitation von Lee Seok Gi war allerdings für einen Abgeordneten befremdlich – seine Anhänger sollten sich für den kommenden Krieg auf der Halbinsel vorbereiten. Für Normalbürger sind solche Worte aus dem Mund eines Parlamentariers schwer nachvollziehbar. Dennoch tut seine Gruppe aktuell nichts, was einer Verschwörung zum Aufstand auch nur nahe kommt. Es gab lediglich Gespräche über sogenannte Sabotagepläne oder Waffen. Noch lächerlicher wirkt der Fall, wenn man berücksichtigt, daß diese Gruppe innerhalb der UPP, aller quasirevolutionären Rhetorik zum Trotz, eher reformistisch ausgerichtet ist. Sie setzt auf Realpolitik und legt großen Wert auf das Bündnis mit der liberalen Demokratischen Partei.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, Montag, 17. März 2014


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