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Im Belagerungsring

Südkorea: Ssangyong-Autowerk seit dem 21. Mai von 600 Arbeitern besetzt. Großaufgebot der Polizei bereitet Räumung vor

Von Raoul Rigault *

Militante Protestaktionen gegen Massenentlassungen und Werksschließungen gibt es nicht nur in Frankreich. Während sich Unternehmen und Regierung dort bislang zu Verhandlungslösungen bereit zeigten, wird jetzt in Südkorea die militärische Lösung gesucht. Seit Wochenbeginn rückt dort die Polizei mit einem Großaufgebot von 2800 Mann auf das seit dem 21. Mai besetzte Fabrikgelände des Autobauers Ssangyong Motors in Pyeongtaek vor. In dem 65 Kilometer südlich der Hauptstadt Seoul gelegenen Werk haben sich gut 600 Arbeiter verschanzt. Zeitgleich versucht die Polizei, mit Einsätzen gegen Unterstützer außerhalb des Werksgeländes Solidaritätsaktionen zu verhindern.

Ssangyong Motors meldete im Februar Insolvenz an. Im Rahmen eines Umstrukturierungsplanes ist die Entlassung von 2646 Beschäftigten, das sind 37 Prozent der Belegschaft, vorgesehen. 1670 Mitarbeiter erklärten sich »freiwillig« bereit zu gehen. Die anderen kämpfen gegen ihre Kündigung. Die seit zwei Monaten andauernde Besetzung des Werkes hat bisher zu Produktionsausfällen im Wert von 245,6 Milliarden Won (140 Millionen Euro) geführt. Um diese Situation zu beenden, erwirkte das Unternehmen einen Gerichtsbeschluß, der nun gewaltsam durchgesetzt werden soll. Pikantes Detail: Haupteigentümer ist der chinesische Branchenprimus Shanghai Automotive Industry Corporation.

Seit Beginn der Woche bereitet sich die Staatsmacht generalstabsmäßig auf den Sturm des Geländes vor. Am Dienstag nachmittag besetzten 400 Bereitschaftspolizisten ein Warenhaus, das nur wenige Meter von der Lackiererei entfernt liegt, in dem sich ein Großteil der Besetzer aufhält. Zugleich wurden alle Lebensmittellieferungen unterbunden. Für eine weitere Eskalation sorgte ein Polizeihubschrauber, von dem aus große Mengen an Tränengas gegen die Arbeiter versprüht wurden. Das diene »der Sicherheit der Anti-Aufruhr-Polizei bei ihrem Sturm des Gebäudes«, erklärte die Einsatzleitung zur Begründung. Die Betroffenen wehrten sich mit Luftgewehren, Stahlschleudern und dem Anzünden von Autoreifen. Da in der Lackiererei 33000 Liter leicht entflammbares Material lagern, könnte es zu einer Katastrophe kommen.

Staatlicherseits wird versucht, die streikenden Arbeiter zu isolieren. Am Mittwoch wurde eine vom linken Gewerkschaftsbund KCTU organisierte Solidaritätsdemonstration, die zum Fabrikgelände führen sollte, in der Innenstadt von Pyeongtaek angegriffen. Es kam zu Straßenschlachten mit vielen Verletzten. Bereits am Dienstag morgen hatten 50 Polizeibeamte die Büros der Progressive Alliance der Provinz Gyeonggi-do durchsucht, weil diese in den Streik bei Ssangyong Motors »verwickelt« sei. Beschlagnahmt wurden 240 »Beweisstücke«, darunter zahlreiche Computer.

Derweil sucht die Betriebsgewerkschaft des Autobauers weiterhin den Dialog. »Wir haben uns um eine friedliche Lösung bemüht. Wenn das Management binnen kurzem zu einem Dialog bereit ist, werden wir das Angebot akzeptieren«, erklärte ein Sprecher.

Eine am Dienstag (21. Juli)vom Arbeitsministerium veröffentlichte Statistik weist für die erste Hälfte des laufenden Jahres einen Anstieg von Arbeitsniederlegungen aus. Allerdings waren die insgesamt 52 Streiks von kürzerer Dauer. So ging die Zahl der wegen der Arbeitskämpfe verlorenen Arbeitstage in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres um 58,4 Prozent auf 121000 zurück. Im gleichen Zeitraum 2008 waren es noch 291000 gewesen. Dabei liegt der Höhepunkt der Arbeiterkämpfe bereits fünf Jahre zurück: 2004 wurden 337 betriebliche und tarifliche Auseinandersetzungen registriert.

Es wird sich zeigen, ob der Kampf der Ssangyong-Arbeiter und die zunehmenden Proteste gegen die Politik der konservativen Regierung Lee Myung Bak hier einen Wendepunkt markiert.

* Aus: junge Welt, 24. Juli 2009


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