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Allianz provoziert in Seoul

Beschäftigte in Südkorea wehren sich gegen gewerkschaftsfeindlichen Kurs von Staat und Konzernen. Kämpfe 2008 härter als üblich

Von Wolfgang Pomrehn *

Es war eines dieser Schnäppchen. Im Jahre 1999 lag Südkoreas Wirtschaft am Boden, und so manche unternehmerische Perle war -- etwas eingestaubt -- zum Schnäppchenpreis zu haben. Die vom Westen heiß empfohlene Liberalisierung der Kapitalmärkte hatte den asiatischen Tigerstaaten eine schwere Krise beschert, und die kontraproduktive Intervention des von Westeuropa und den USA beherrschten Internationalen Währungsfonds IWF hatte noch reichlich Öl ins Feuer gegossen. Die Folge: Die Aktienkurse implodierten und lokale Währungen zerflossen wie Schnee in der Frühlingssonne. Die deutsche Handelskammer in Seoul riet seinerzeit deutschen Unternehmen eindringlich, sich zu bedienen.

Die Allianz-Gruppe, eine der tragenden Säulen der »Deutschland AG«, mußte sich nicht lange bitten ließ. 1999 erwarb sie Che il, den viertgrößten südkoreanischen Lebensversicherer mit 1,3 Millionen Kunden und 2700 Angestellten. 1100 davon setzte der neue Eigner auf die Straße; mit der Rationalisierung von Banken und Versicherungen hatte man schließlich zu Hause reichlich Erfahrungen gesammelt.

Nun soll eine zweite Welle der Umstrukturierungen folgen, was seit Jahresbeginn heftige Konflikte mit der Gewerkschaft auslöste. Die Unternehmensleitung führte im Januar ein neues Leistungslohnsystem ein, das dem gültigen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft widerspricht. Faktisch war das eine einseitige Vertragsauflösung. Es kam zu Streiks, und ein Gericht beschied dem BRD-Konzern kürzlich, daß es den Tarifvertrag nicht ohne weiteres kündigen dürfe. Das hätte man wissen können, denn derlei ist internationaler Standard, doch offensichtlich sollte provoziert werden. Eine Rolle mag dabei der Sieg des extrem gewerkschaftsfeindlichen Kandidaten der Konservativen bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember gespielt haben.

Die Beschäftigten, die in der Allianz Life Korea Union (ALKU) organisiert sind, traten am 23. Januar in den Ausstand, der bis heute andauert. Auch viele Leiter von lokalen Filialen beteiligten sich. Die Unternehmensleitung scheint indes wild entschlossen, nicht klein nachzugeben: Nachdem das Arbeitsministerium verkündet hatte, die Filialleiter hätten kein Streikrecht, erklärte das Unternehmen den Ausstand Anfang April für illegal und entließ 87 von ihnen. Die Angestellten in der Konzernzentrale und in einem Teil der Zweigstellen wurden ausgesperrt.

Hintergrund für die Parteinahme des Ministeriums: In Südkorea haben trotz wiederholter Intervention der Internationalen Arbeitsorganisation ILO nur bestimmte Beschäftigte das Recht, einer Gewerkschaft beizutreten. Voraussetzung ist meist eine Festanstellung. Besonders im öffentlichen Dienst gibt es außerdem seit den Zeiten der 1987 zu Ende gegangenen Diktatur einen ständigen Streit darum, wer sich organisieren darf. Dem deutschen Unternehmen scheint diese restriktive Auffassung, die mit geltendem internationalen Recht kaum vereinbar ist, offenbar ganz gut in den Kram zu passen.

Den Protest gegen dieses aggressive Vorgehen wollten koreanische Gewerkschafter auch zur Konzernmutter nach Deutschland tragen, doch das wußten koreanische Behörden bisher zu verhindern. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di berichtet, daß der Vorsitzende der ALKU sowie ein weiterer Gewerkschafter kürzlich verhaftet wurden, bevor sie nach Deutschland reisen konnten. Sie würden die Geschäftstätigkeiten der Allianz behindern, habe es zur Begründung der Festnahme geheißen.

Ver.di und der internationale Dachverband der Dienstleistungsgewerkschaften UNI fordern gemeinsam mit der ALKU die Rücknahme der Kündigungen und des neuen Vergütungssystems sowie die Aufnahme von Verhandlungen mit den Gewerkschaften. Außerdem wird die Freilassung der verhafteten Gewerkschafter und die Einstellung der Strafverfahren verlangt.

Für den neuen Präsidenten Lee Myung-bak ist indes die Auseinandersetzung bei der Allianz-Tochter nur ein kleiner Nebenschauplatz in seinem Feldzug gegen Gewerkschaften und Arbeiterinteressen. Ende Mai kündigte seine Regierung die Ausweisung von ausländischen Arbeitern ohne Papiere an. Bereits Mitte Mai waren der Vorsitzende der Wanderarbeitergewerkschaft MTU, Torna Limbu, und sein Stellvertreter Abdus Sabur ausgewiesen worden. Das war offensichtlich eine Reaktion auf vorausgegangene Proteste gegen die Festnahme von MTU-Funktionären.

Den nächsten großen Angriff führt die Regierung gegen den öffentlichen Dienst. In 305 staatlichen Unternehmen sollen insgesamt 70000 von 258000 Beschäftigten entlassen werden. 50 der Unternehmen will Präsident Myung-bak privatisieren, andere zusammenlegen. Selbst die eher konservative Korea Times fragt da: »Rationalisierung oder Massaker?« In verschiedenen Städten kam es bereits zu ersten Protesten der Beschäftigten, und glaubt man Zeitungsberichten, so sind die Maßnahmen auch in der breiteren Öffentlichkeit eher unpopulär.

Selbst der konservative Gewerkschaftsdachverband FKTU (Federation of Korean Trade Unions), der bisher ganz im Gegensatz zu seiner demokratischen Konkurrenz von der KCTU (Korean Confederation of Trade Unions) den Präsidenten unterstützt hatte, meldet Protest an. Die Regierung würde die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zu Sündenböcken machen, nachdem ihre Popularität gelitten habe.

In Südkorea beginnt ohnehin derzeit die jährliche Streiksaison, mit der die Gewerkschaften ihre Lohnforderungen durchsetzen wollen. Die KCTU wird vermutlich versuchen, die Tarifauseinandersetzungen mit einer Kampagne gegen Entlassungen und Privatisierung zu verbinden. Dem Land stehen also ein paar heiße Monate bevor. Die Regierung ließ bereits wissen, daß sie die Absicht hat, Streiks und andere gewerkschaftliche Aktionen mit Polizeigewalt zu brechen.

* Aus: junge Welt, 3. Juni 2008


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