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Peking zürnt mit Kim Jong Un

Trotz Kritik an Nordkoreas Drohpolitik wird China den Nachbarn nicht fallen lassen

Von Werner Birnstiel *

»Niemandem darf erlaubt werden, eine Region oder sogar die ganze Welt für selbstsüchtige Zwecke ins Chaos zu stürzen«, sagte Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping am Sonntag. Nach Einschätzung von Diplomaten zielte das auf Nordkorea. Einen Ausweg aus der Krise sieht China jedoch vor allem in direkten Gesprächen zwischen den USA und Nordkorea.

Gemessen am Echo andernorts, hatte Chinas Führung bisher relativ unaufgeregt auf die harschen Drohungen aus Pjöngjang reagiert. Deutlichster Ausdruck einer Ablehnung der Eskalationspolitik unter Kim Jong Un war Pekings Zustimmung zu den UN-Sanktionen gegen die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK) am 7. März 2013 als Reaktion auf deren Atomtest im Februar.

China wird auch künftig jegliche Atomaufrüstung ebenso wie Kriegsdrohungen aus Pjöngjang kritisieren. Allerdings sieht man in Peking wichtige politische und geostrategische Entwicklungen in Nordostasien differenzierter als in Washington, Seoul und Tokio. Das Anfang März 2013 begonnene Großmanöver »Foal Eagle« wird auch in China abgelehnt. Beteiligt daran sind über 200 000 südkoreanische und über 10 000 US-Soldaten, von denen etwa 8000 kurzfristig aus anderen Staaten eingeflogen werden. Dazu kommen 28 500 ständig in Südkorea stationierte US-Soldaten und etwa 30 000 einsatzbereite US-Militärs im nahe gelegenen japanischen Okinawa. Von dort wurden seit Mai 2012 zwar 9000 Soldaten abgezogen, allerdings lediglich auf die Pazifikinsel Guam, wo angesichts der »nordkoreanischen Bedrohung« in den nächsten Wochen ein Raketenabwehrsystem mit mobilem Abschussgerät und Verfolgungsradar stationiert wird.

In der vergangenen Woche warfen zwei US-Tarnkappenbomber Bombenattrappen vor der Küste Nordkoreas ab. Deren Flüge dauerten insgesamt 30 Stunden, wobei eine Flugstunde 88 000 US-Dollar kostet. Bereits im März hatte Washingtons Verteidigungsminister Chuck Hagel die Stationierung von 14 zusätzlichen Abfangraketen in Alaska und technische Vorbereitungen für den Einsatz eines Raketenabwehrradars in Japan angekündigt. Ebenso werden derzeit ein Flugzeugträger und B-52-Bomber nahe der Koreanischen Halbinsel in Stellung gebracht.

Dieser Aufmarsch nahe den eigenen Grenzen kann auch China nicht gefallen. Peking sieht seine Skepsis gegenüber der Regierung Barack Obamas insofern bestätigt, als sich der Militärisch-Industrielle Komplex der USA durchsetzt und Kürzungen des ruinös hohen Militärhaushalts unter Berufung auf die militärischen Drohungen Nordkoreas zu verhindern vermag. Aus dem Blickwinkel Chinas betrachtet, liefert Pjöngjang der militärischen und zivilen Rüstungslobby der USA einen Vorwand, gegen »Sicherheitsgefahren« in Nordostasien und im Westpazifik mobil zu machen, die angeblich von China und Russland ausgehen. Die Koreanische Halbinsel wird zum Testgelände für die militärstrategische Konzentration der USA auf den asiatisch-westpazifischen Raum: durch Einsatz hochmobiler Spezialeinheiten, Stationierung modernster Raketensysteme, Kampfdrohnen und Hochtechnologie für den sogenannten Cyberkrieg.

Derweil nutzt Kim Jong Un, gelenkt vom Führungskonglomerat aus Partei, Armee und Staatssicherheit, die komplizierte politische und sicherheitspolitische Gemengelage, um sich im eigenen Land dauerhaft als neuer »Großer Führer« nach Großvater Kim Il Sung und Vater Kim Jong Il zu profilieren. Fallen lassen wird ihn China nicht. Dies nicht zuletzt wegen der Erinnerung an Hunderttausende chinesische »Volksfreiwillige«, die Kim Il Sung im Koreakrieg 1950 zur Hilfe kamen. Nordkorea ist ökonomisch in vielen Bereichen von China abhängig. Der zweiseitige Handel belief sich 2012 zwar nur auf etwa 5,5 Milliarden Euro, wobei Energie- und Lebensmittellieferungen die wichtigsten Posten bilden, aber Nordkorea kann mit Rohstoffen bezahlen, für die in den nahe gelegenen chinesischen Industriegebieten wachsender Bedarf besteht. So kommt man geschäftlich gut miteinander zurande, ohne internationale Sanktionen zu verletzen.

Problematisch ist auch für China allerdings, dass in der augenblicklichen hasserfüllten Atmosphäre auf der Halbinsel ein geringfügiger Kontrollfehler genügt, um eine militärische Katastrophe auszulösen: Das Zentrum Seouls, der südkoreanischen Hauptstadt, liegt nur 56 Kilometer von der Demarkationslinie entfernt. In der Metropolregion leben fast 24 Millionen Menschen, nahezu die Hälfte der 50-Millionen-Bevölkerung Südkoreas. Auch mit konventionellen Waffen kann also gegenseitige Vernichtung verheerenden Ausmaßes betrieben werden. Peking wird daher weiterhin auf die Rückkehr an den Verhandlungstisch drängen.

Da Kim Jong Un keinerlei Gesichtsverlust akzeptieren wird, indem er etwa zu früh »nachgibt«, werden die USA ihre Strategie überdenken müssen. Die Nachrichtenagentur dpa zitierte einen »hohen chinesischen Außenpolitiker« mit der Aussage, ein Ausweg aus der Krise könne nur in direkten Gesprächen zwischen den USA und Nordkorea gefunden werden. Alle blickten immer auf China, dabei liege der Schlüssel bei den USA.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 9. April 2013


Spekulationen um Käsong und Atomtests

Politik Nordkoreas regt diverse Vermutungen an **

Nach einer Reihe militärischer Drohungen hat Nordkorea am Montag den Abzug seiner 53 000 Arbeiter aus der mit Südkorea betriebenen Sonderwirtschaftszone Käsong sowie die vorübergehende Schließung des Komplexes angekündigt. Der ranghohe Vertreter der nordkoreanischen Regierungspartei Kim Yang Gon machte »militärische Kriegstreiber«, die die »Würde« des Nordens verletzt hätten, für die Entscheidung zu Käsong verantwortlich. Pjöngjang werde prüfen, ob ein Weiterbetrieb genehmigt werde. Es hänge allein von Seoul ab, wie sich die Lage entwickle.

Im Zuge der angespannten Situation in der Region hatte Nordkorea südkoreanischen Arbeitern zuletzt die Einreise in die von beiden Staaten betriebene Sonderwirtschaftszone untersagt, die Ausreise hingegen erlaubt. Hunderte Südkoreaner blieben zunächst freiwillig in der in Nordkorea liegenden Zone, um die Geschäfte am Laufen zu halten.

Das südkoreanische Wiedervereinigungsministerium bezeichnete den Stopp des Betriebs am Montag als »unverantwortlich «. Nordkorea werde für alle Konsequenzen zur Verantwortung gezogen. Kurz vor der Entscheidung aus Pjöngjang hatte Südkoreas Finanzminister das Einreiseverbot für Südkoreaner als »lächerlich « bezeichnet. Experten äußerten indes Zweifel daran, dass Nordkorea an einer dauerhaften Schließung des Komplexes festhalte. Die Zone ist eine wichtige Devisenquelle für Pjöngjang, Zehntausende Nordkoreaner sind von den Einnahmen abhängig.

Am Montag berichtete die südkoreanische Zeitung »JoongAng Ilbo«, es gebe eine starke Zunahme der Aktivitäten am nordkoreanischen Atomtestgelände Punggye Ri. Vereinigungsminister Ryoo Kihl Jae sagte daraufhin in Seoul, es gebe »Anzeichen« für einen neuen Test. Das Verteidigungsministerium in Seoul erklärte, bei den Aktivitäten scheine es sich um »normale Routineaktivitäten« zu handeln. Das Wiedervereinigungsministerium verkündete später, ein weiterer Atomtest stehe dem Anschein nach nicht unmittelbar bevor. Südkoreas nationaler Sicherheitsberater äußerte am Montag die Vermutung, dass der Norden noch diese Woche einen Raketentest vornehmen könnte.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 9. April 2013


Warnung vor Gefahr eines Atomkriegs

China und Rußland rufen angesichts der Korea-Krise zu Zurückhaltung und Dialog auf ***

Die Demokratische Volksrepublik Korea hat am Montag die Einstellung des Betriebs im Industriepark in Kaesong an der Grenze zu Südkorea angekündigt. Alle nordkoreanischen Arbeiter sollen zurückgezogen werden, sagte am Montag der Sekretär des Zentralkomitees der Partei der Arbeit, Kim Yang Gon. Es werde überprüft, ob der auf nordkoreanischem Gebiet liegende Komplex künftig weiter betrieben werden soll.

Ohne Nordkorea beim Namen zu nennen, warnte Chinas Präsident Xi Jinping den Nachbarn: »Niemandem darf erlaubt werden, eine Region oder sogar die ganze Welt für selbstsüchtige Zwecke ins Chaos zu stürzen.« Angesichts der Eskalation rief Xi zur Zurückhaltung und zum Dialog auf. Alle Länder sollten zur Wahrung des Friedens beitragen – »egal, ob groß oder klein, stark oder schwach, reich oder arm«.

Kanzlerin Angela Merkel sagte am Montag nach einem Rundgang mit ihrem russischen Amtskollegen Wladimir Putin über die Hannover Messe, sie sei sich mit dem russischen Präsidenten sehr einig, daß die internationale Staatengemeinschaft im Zusammenhang mit der Entwicklung um Nordkorea beruhigend einwirken müsse. Es müsse aber auch darauf hingewirkt werden, daß Nordkorea die »Provokationen« einstelle.

Putin zeigte sich besorgt über die Eskalation auf der koreanischen Halbinsel. »Ich würde alle dazu aufrufen, sich zu beruhigen und in einem solchen ruhigen Regime am Verhandlungstisch zu beginnen, all die Probleme zu lösen«, sagte er. Mit Blick auf eine mögliche Auseinandersetzung mit Atomwaffen ergänzte er, die Atomkatastrophe von Tschernobyl könne im Vergleich dazu »als ein Kleinkindermärchen erscheinen«. Eine solche Gefahr bestehe.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon warnte Nordkorea »vor allen provokativen Maßnahmen«. Er kenne Berichte über Vorbereitungen eines neuen Atomtests, sagte Ban bei einem Besuch im niederländischen Den Haag.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 9. April 2013


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