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Vermutlich Mittelstrecke

Gerüchte über bevorstehenden Teststart einer nordkoreanischen Rakete, von der so gut wie nichts bekannt ist. USA: "Präventivschläge" gegen DVRK gefordert

Von Knut Mellenthin *

Nordkorea plant angeblich in den allernächsten Tagen den Teststart einer Rakete, vielleicht sogar mehrere Abschüsse verschiedener Typen mit unterschiedlichen Reichweiten. Als Stichtag wird in den Mainstream-Medien der kommende Montag gehandelt. Denn am 15. April 1912 wurde der 1994 verstorbene Kim Il Sung geboren, der erste Staats- und Parteiführer der Demokratischen Volksrepublik (DVRK) und Großvater des gegenwärtigen Amtsinhabers Kim Jong Un. Die nordkoreanischen Streitkräfte sollen dieser Tage mindestens zwei Mittelstreckenraketen des Typs »Musudan«, die auf mobilen Abschußanlagen montiert sind, an die Ostküste verlegt haben. Diese Raketen könnten, rein theoretisch versteht sich, nicht nur jedes Ziel in Südkorea und Japan erreichen, sondern auch den rund 3400 Kilometer entfernten US-Stützpunkt Guam im Westpazifik. Das behaupten zumindest westliche Medien, von denen einige wenigstens das Wort »schätzungsweise« hinzufügen.

Tatsächlich weiß man über die im Westen »BM25 Musudan« genannte Rakete, die seltener auch als »Taepodong X«, »Nodong-B« oder »Rodong-B« bezeichnet wird, so gut wie nichts Sicheres. Als die Waffe von den Nordkoreanern im Oktober 2010 zum ersten Mal auf einer Militärparade vorgeführt wurde, spotteten manche Medien, es habe sich um eine nicht einsetzbare Attrappe gehandelt. Bis heute gab es offenbar noch keinen einzigen Teststart. Berichte, daß es im April oder Mai 2007 einen Probeabschuß der »Musudan« im Iran gegeben habe, gehören ins Reich der von Geheimdiensten und neokonservativen Agitatoren gefütterten Märchen. Da die Rakete niemals getestet wurde und ihre technischen Daten allem Anschein nach nicht bekannt sind, lassen sich über ihre Reichweite keine zuverlässigen Angaben machen. Der britische Sender BBC berichtete am Mittwoch, daß israelische Experten den Einsatzradius der »Musudan« auf 2500 Kilometer schätzen, während US-Militärs von 3 200 Kilometern ausgehen. Darüber hinausgehende Behauptungen, die bis zu 4000 Kilometern reichen, lassen sich keinen professionellen Quellen zuordnen.

Auch die Traglast und die Zielgenauigkeit dieser nordkoreanischen Waffe sind nicht bekannt. Im allgemeinen wird davon ausgegangen, daß die Musudan ungefähr die Sprengstoffmenge einer Autobombe transportieren könnte, jedoch vermutlich mit mehreren Kilometern Abweichung vom Ziel. Daß die DVRK zur Zeit schon in der Lage sein könnte, irgendeine ihrer Raketen mit einem nuklearen Sprengkopf auszurüsten, halten alle internationalen Sachverständigen für ausgeschlossen.

Entsprechend gelassen sind in der Substanz die Kommentare US-amerikanischer Regierungspolitiker und Militärs, auch wenn einige Mainstream-Journalisten sie gezielt zu dramatisieren versuchen. Daß Pentagon-Chef Chuck Hagel am Mittwoch davon sprach, die USA seien »voll darauf vorbereitet, mit jedem Even­tualfall und jeder Aktion, zu der Nordkorea greifen könnte, fertig zu werden«, bewegt sich im Rahmen der Routine und der Selbstverständlichkeit. Auch die Beurteilung des Chefs der US-Streitkräfte im Pazifik, Marineadmiral Samuel J. Locklear, die Handlungen der DVRK stellten eine »klare und direkte Bedrohung« der Sicherheit der USA dar, entspricht dem üblichen Sprachgebrauch. Die Äußerung fiel am Dienstag während einer Anhörung im Streitkräfteausschuß des Senats, wo Locklear mit inquisitorischen Fragen und scharfmacherischen Kommentaren republikanischer Politiker konfrontiert war. Mehrere von ihnen fordern offen und aggressiv zu militärischen »Präventivschlägen« gegen die DVRK auf.

Indessen hat Nordkorea am Donnerstag die Möglichkeit angedeutet, die Existenz der gemeinsam mit 120 südkoreanischen Firmen betriebenen Sonderzone Kaesong zu beenden, falls Südkorea an seiner »feindseligen Haltung« festhält. Bereits seit Dienstag nacht haben die 53000 Nordkoreaner, die dort normalerweise beschäftigt sind, ihre Arbeit eingestellt.

* Aus: junge Welt, Freitag, 12. April 2013


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