"... bitte ich Sie, der Achtung gegenüber der Freiheit des Wortes Geltung zu verschaffen"
Solidaritätsschreiben für den deutsch-koranischen Wissenschaftler Prof. Du-Yul Song von Günter Grass, Jürgen Habermas und anderen
Im Folgenden dokumentieren wir eine Auswahl von Solidaritätserklärungen, die für den in Südkorea vor Gericht stehenden und mittlerweile zu einer Haftstrafe verurteilten deutsch-koreanischen Wissenschaftler Prof. Du-Yul Song abgegeben worden waren. Sie haben das Gericht nicht erweichen können.
Herrn Dschun Song, einem Sohn des Verurteilten, danken wir für die Zusendung der Dokumente.
Brief von Jürgen Habermas
An den Vorsitzenden Richter des
Seoul District Court, Department 24
Lee Dä Gyeong
137-070 Seoul teukbyeolshi Seocho-gu,
Umyeon-ro 100 (Seocho3-dong 1701-1)
Republik Südkorea
Starnberg, 22. Dezember 2003
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
gestatten Sie mir eine Stellungnahme zum Prozess gegen meinen Kollegen und früheren Schüler Prof. Du-Yul Song.
Ich habe Verhaftung, Verhör und Anklage mit Erstaunen und Unverständnis beobachtet und verfolge nun die Verhandlungen mit großer Sorge. Nach meiner Kenntnis der Person erscheinen mir die Anklagen der Staatsanwaltschaft, soweit sie nach rechtstaatlichen Maßstäben überhaupt ins Gewicht fallen dürften, ganz unwahrscheinlich.
Herr Song hat bei mir im Jahre 1972 mit einer guten philosophischen Dissertation über "Die Bedeutung der asiatischen Welt bei Hegel, Marx und Max Weber" promoviert. An dem wissenschaftlichen Charakter dieser Arbeit besteht nicht der geringste Zweifel. Andernfalls wäre Herr Song nicht promoviert worden. Später hat sich mein ursprünglicher Eindruck bei der Lektüre einiger Bücher des inzwischen zum soziologischen Kollegen avancierten Doktoranden bestätigt. Wenn man hinter den kritischen und kenntnisreichen Untersuchungen, die in Deutschland unter den Titeln "Metamorphosen der Moderne" (1990) und "Kore-Kaleidoskop" (1995) erschienen sind, eine unbedenkliche politische Motivation vermuten darf, dann allein jene eindrucksvolle Leidenschaft eines demokratischen Patriotismus, der mir während meines letzten Besuchs in Korea (1996) bei vielen Kollegen auffiel.
Sehr geehrter Herr Vorsitzender, ich appelliere an Ihre berufliche Integrität und vertraue darauf, dass Ihr unparteiliches Urteil einen untadeligen Wissenschaftler und deutschen Staatsbürger davor bewahrt, zum Spielball innenpolitischer Querelen zu werden. Ich bitte Sie, auch den Schaden in Erwägung zu ziehen, der für das Ansehen der Republik Korea in der Weltöffentlichkeit daraus entstehen würde, wenn in diesem prominenten Fall ein uner heutigen Umständen längst überholtes, weil mit rechtstaatlichen Grundsätzen unvereinbares Nationales Sicherheitsgesetz noch einmal Anwendung finden würde.
Ich erlaube mir, eine Kopie dieses Schreibens an meinen Freund Joschka Fischer zu schicken, der als oberster Dienstherr für den diplomatischen Schutz deutscher Staatsbürger im Ausland Sorge trägt.
Mit verbindlichen Empfehlungen,
Ihr ergebener
Jürgen Habermas
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Korea-Koordinationsgruppe zu Korea von Amnesty International
Kommentar von Hans Buchner (amnesty international, München, 15.12.2003)
Der Fall des Professors
Grenzgänger leben gefährlich. Song Du-yul ist gebürtiger Koreaner, kam 1967 unter der Militärdiktatur nach Deutschland und wurde schließlich Soziologieprofessor in Münster. Die Erfahrungen in seiner Heimat bewogen ihn, sich für Demokratisierung und Wiedervereinigung Koreas engagieren. Deshalb knüpfte er auch Kontakte zum nordkoreanischen Regime und organisierte Tagungen mit Wissenschaftlern aus beiden verfeindeten Bruderstaaten. Das wurde ihm jetzt zum Verhängnis. Nachdem er seit 1967 Einreiseverbot nach Südkorea hatte, signalisierten ihm vor einigen Monaten halboffizielle Stellen Entgegenkommen: Nach einer Befragung könne er sich frei bewegen und den Ehrendoktor einer Universität entgegennehmen. Doch er wurde tagelang unter entwürdigenden Bedingungen verhört und schließlich angeklagt. Die Parlamentswahlen im April 2004 werfen ihre Schatten voraus - die mächtige oppositionelle "Große Nationalpartei" benutzt den Prozess für ihre Kampagne gegen die Versöhnungspolitik des Präsidenten Roh. Das 50 Jahre alte "Nationale Sicherheitsgesetz" dient dabei als Hebel.
Dass dieses längst überholte Gesetz endlich abgeschafft wird, ist das vorrangige Ziel von ai in Südkorea. Solange es besteht, sind Menschenrechtsverletzungen auch an streikenden Gewerkschaftern und liberal denkenden Intellektuellen an der Tagesordnung. Für die erst seit 1998 bestehende Demokratie in Südkorea bedeutet diese Frage eine ihrer größten Bewährungsproben.
Quelle: Amnesty international: Korea Konzentriert - Ausgewählte Berichte aus beiden Staaten
Herausgegeben von der Koordinationsgruppe zu Korea von Amnesty International (www.amnesty-muenchen.de/korea)
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Erklärung der evangelischen Kirche Deutschland
Auslandsbischof interveniert für verhafteten Professor in Südkorea: "Gravierende Verletzung demokratischer Grundrechte"
16. Dezember 2003
In einem Brief an den südkoreanischen Präsidenten Roh Moo-Hyun hat der Auslandsbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Rolf Koppe, seine Besorgnis über das Verfahren gegen den deutsch-koreanischen Professor Song Du-Yul geäußert. Die Anklage gegen Song, die auch dessen wissenschaftliche und publizistische Arbeit einschließe, sei eine "gravierende Verletzung der demokratischen Grundrechte zur freien Meinungsäußerung bzw. der Freiheit von Forschung und Lehre".
Professor Song Du-Yul, der seit 1993 deutscher Staatsbürger ist und an der Universität Münster arbeitet, wurde bei seiner Rückkehr nach Südkorea im Oktober 2003 verhaftet. Inzwischen ist gegen ihn Anklage auf der Grundlage des Nationalen Sicherheitsgesetzes erhoben worden, das insbesondere Kontakte nach Nordkorea unter Strafe stellt.
Über die erneute Anwendung dieses Gesetzes sei die EKD bestürzt, so Koppe in seinem Schreiben. Am Fall von Professor Song werde deutlich, dass "das Nationale Sicherheitsgesetz nicht mehr zeitgemäß ist". Zudem entspreche es nicht den von Südkorea ratifizierten internationalen Menschenrechtskonventionen.
Die EKD plädiere für die Abschaffung dieses Gesetzes und hoffe, "dass im weiteren Verfahren die Menschenrechte und die internationalen Rechtsnormen in vollem Umfang Beachtung finden werden".
Hannover, 16. Dezember 2003
Pressestelle der EKD
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Brief von Günter Grass:
Lübeck, den 6. Januar 2004
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
im Mai 2002 hatte ich die Freude, Ihr Land besuchen zu dürfen. Man hatte mich eingeladen, innerhalb eines Kolloquiums über die deutsche Wiederbereinigung und deren folgenreiche Versäumnisse zu referieren; ein Thema, das in einem geteilten Land wie Korea großes Interesse fand. Anlässlich meines Besuches traf ich einige Schriftstellerkollegen von mir, die in Zeiten, in denen sich Südkorea noch nicht als demokratischer Rechtsstaat verstand, Gefängnishaft hatte verbüßen müssen. Einigen dieser Kollegen hatte ich während ihrer Haftzeit mit Petitionen behilflich werden können. Unsere Begegnung wurde bestimmt von der Freude über die sich nun endlich entwickelnden demokratischen Zustände in Ihrem Land. Enttäuscht und nicht frei von Entsetzen höre ich nun, dass Professor Du-Yul Song aufgrund einiger seiner Veröffentlichungen vor Gericht gestellt worden ist.
Als Vorsitzenden Richter des Seoul District Court bitte ich Sie, einen Rückfall in undemokratische Zustände zu verhindern und der Achtung gegenüber der Freiheit des Wortes Geltung zu verschaffen.
Hochachtungsvoll grüßt Sie
(Unterschrift: Günter Grass)
Besuchen Sie auch die Seite des "Maßnahmenkomitees Europa zur Freilassung von Professor Song Du-Yul und zur Abschaffung des Nationalen Sicherheitsgesetzes":
http://www.freesong.de/
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