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Auf der Halbinsel tobt die Propagandaschlacht

Nordkorea reagiert mit ungewöhnlicher Schärfe auf amerikanisch-südkoreanische Kriegsspiele

Von Peter Kirschey *

Im Schatten des Nahostkonflikts erlebt ein Dauerschwelbrand zur Zeit eine propagandistische Hochzeit. Der Streit um das nordkoreanische Atomprogramm und die vom Weltsicherheitsrat verurteilten KDVR-Raketentests vom 5. Juli wird nun vom südkoreanisch-amerikanischen Sommermanöver »Ulchi Focus Lens« überdeckt, das bis Anfang September andauern soll.

Es ist ein alljährliches Ritual schon seit den 60er Jahren: Südkoreaner und US-Amerikaner proben den Krieg und Nordkorea reagiert mit einem markerschütternden Aufschrei. Die KDVR sieht in dem Militärmanöver eine ernste Bedrohung der Sicherheit des Landes, stellt das Waffenstillstandsabkommen von 1953 in Frage und bringt sogar einen präventiven Militärschlag ins Spiel. Niemand könne dafür bürgen, dass das Manöver nicht in einen Krieg übergehe, erklärte dazu ein Sprecher der nordkoreanischen Volksarmee. In der KDVR spielt das Militär die entscheidende Rolle in allen Bereichen der Gesellschaft, nach wie vor herrscht die von der Führung in Pjöngjang in den letzten Jahren vorfolgte Politik der »Bevorzugung der Armee«, wie es offiziell genannt wird. Deshalb sind die Worte des Armeesprechers durchaus ernst zu nehmen, haben die nordkoreanischen Reaktionen eine neue Qualität. Denn wenn das Waffenstillstandsabkommen hinfällig geworden ist, existiert faktisch wieder der Kriegszustand. Zwischen 1950 und 1953 überzog ein verheerender Bürgerkrieg das Land, der sich zuerst zugunsten des Nordens neigte, dann mit Hilfe von USA-geführten Einheiten bis an die chinesische Grenze führte und schließlich durch das Waffenstillstandsabkommen von Panmunjom eingefroren wurde. Die Abschottung zwischen Nord und Süd wurde total, an dieser Grenze ballt sich die größte Militäransammlung verfeindeter Kräfte.

Ebenso lautstark warnte Südkorea den Norden vor einem Atomtest. Ein USA-Fernsehsender hatte in der vergangenen Woche Meldungen über Vorbereitungen zu einem unterirdischen Atomtest in Umlauf gebracht, Beweise aber nicht mitgeliefert. Seither wuchern die Spekulationen.

Schon im letzten Jahr hatte eine Meldung über einen unterirdischen Atomtest die Runde gemacht, die gemessenen Erschütterungen stellten sich aber als Bergsprengung an der Grenze zu China heraus. In dieser Region vermutet der USA-Geheimdienst die nordkoreanischen unterirdischen Versuchsanlagen. Nordkorea hat offiziell erklärt, über ein atomares Waffenpotenzial zu verfügen, doch bisher keinen Test durchgeführt Streitpunkt in den nordkoreanisch-US-amerikanischen Beziehungen sind die in Südkorea stationierten 27 000 USA-Soldaten. Eine der Kernforderungen der KDVR und eine Vorbedingung für nordkoreanisches Einlenken in der Atomfrage ist der Abzug des US-amerikanischen Militärs von der Halbinsel. Bisher haben sich Südkorea und die USA geweigert, darüber zu verhandeln. Nun hat der südkoreanische Präsident Roh Moo Hyun einen Plan vorgelegt, wie die USA-Truppen durch südkoreanische Einheiten zu ersetzen sind und Südkorea die volle Souveränität auch über die entmilitarisierte Zone erhält. Bis zum Jahre 2011 könnten US-amerikanische Bodentruppen Südkorea verlassen haben und die Verteidigung der Demarkationslinie von den eigenen Truppen übernommen werden. Allerdings wurden in Seoul auch Befürchtungen laut, dass ein Abzug der USA das falsche Signal an Nordkorea sei und Pjöngjang dies als Einladung zum Einmarsch in den Süden auffassen könnte.

Die jüngsten KDVR-Tests mit sieben Langstreckenraketen des Typs Taepodong II von Startrampen in verschiedenen Landesteilen haben eine lange Vorgeschichte. Seit über 40 Jahren arbeitet das Land an der Entwicklung von Raketentechnik.

Während in den frühen 70er Jahren die Volksrepublik China den Norden mit Raketen versorgte, verdrängte die Sowjetunion von 1976 an dank der damaligen Erfolge in der Raumfahrt den Konkurrenten. Gleichzeitig ging die nordkoreanische Führung auf Suche nach neuen Partnern und Ägypten bot sich als Technologielieferant an. Danach – zwischen 1984 und 1989 – wurden verschiedene Varianten von Scud-Mittelstreckenraketen getestet und in den Dienst der nordkoreanischen Volksarmee gestellt. Ab 1993 vermuten Militärexperten, dass die KDVR ein eigenes Raketenprogramm Rodong-1 mit nachgebauten sowjetischen Flugkörpern entwickelt hat. Nordkoreanische Raketen wurden mehr und mehr zum Exportschlager in den arabischen Raum, nach Ägypten, Syrien und Iran.

Im August 1998 überflog eine Taepodong-I-Rakete japanisches Territorium. An Bord soll sich der Satellit Gwangmyongsong Nr. I befunden haben. Nach japanischen Angaben war die Rakete ins Meer gestürzt, Nordkorea berichtete dagegen von einer erfolgreichen Erdumkreisung des Satelliten. Allerdings wurden von Bodenstationen rund um den Erdball keinerlei Signale von einem koreanischen Satelliten empfangen. 2003 wollen japanische Militärexperten herausgefunden haben, dass rund 200 Rodong-Mittelstreckenraketen auf das Inselreich gerichtet sind, inzwischen soll das Arsenal auf 250 angewachsen sein. Alle Angeben jedoch beruhen auf Vermutungen, da sich Nordkorea nicht in die Karten schauen lässt. Doch ein starkes Militär ist das einzige, was dem Land geblieben ist.

* Aus: Neus Deutschland, 25. August 2006


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