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"Bulldozer" Lee legt einen Korea-Plan vor

Von Peter Kirschey *

Die USA weiten ihre Sanktionen gegen Nordkorea aus, am kommenden Sonntag beginnen im Gelben Meer zwecks »Abschreckung« gemeinsame Seemanöver US-amerikanischer und südkoreanischer Einheiten, und doch scheinen sich die Wogen um die koreanische Halbinsel ein wenig zu glätten.

Die umfangreichen US-amerikanisch-südkoreanischen Militärmanöver im Juli und August gingen zu Ende, ohne dass Pjöngjang die »schlimmste Bestrafung« wahr machte und den »Eisenhammer einer gnadenlosen Antwort« schwang, wie angedroht. KDVR-Führer Kim Jong Il reiste stattdessen zum »großen Bruder« nach Peking, um das weitere Vorgehen im Konflikt um nordkoreanische Nuklearwaffen abzustimmen.

Und ungeachtet der innerkoreanischen Spannungen, die sich nach dem Untergang des südkoreanischen Kriegsschiffes »Cheonan« Ende März verschärft hatten, bot Südkoreas Rot-Kreuz-Verband dem Norden jetzt Hilfe für die Opfer der Überschwemmungen an der Grenze zu China an. Man wolle Nahrungsmittel, Medikamente und andere Hilfsgüter im Wert von umgerechnet 6,6 Millionen Euro liefern, verlautete aus Seoul. Erste Zeichen einer vorsichtigen Entspannung?

Dazu könnte auch der jüngste Vorschlag zählen, den der südkoreanische Präsident Lee Myung Bak sich und der Welt unterbreitet hat: Lee legte einen Dreistufenplan zur friedlichen Wiedervereinigung Koreas vor. Eines allerdings hat dieser Plan mit allen anderen gemein, die im Verlauf der 65-jährigen Teilung von beiden Seite auf den Tisch gelegt wurden: Er ist fern der Realitäten und hat keinerlei Chancen, verwirklicht zu werden.

Lee regte die Gründung einer »Friedensgemeinschaft« und einer »Wirtschaftsgemeinschaft« zwischen Süd- und Nordkorea an, um schließlich die »Mauer der unterschiedlichen Systeme abzuschaffen und eine Gemeinschaft der koreanischen Nation zu bilden«. Natürlich knüpfte er diesen Vorschlag an die Bedingung der atomaren Abrüstung Nordkoreas.

Nicht nur wegen dieser Vorbedingung ist die Idee einer Friedens- und Wirtschaftsgemeinschaft irreal. Pjöngjang wird keinem Plan zustimmen, der nicht aus dem Norden kommt, sondern vom ärgsten Feind. So wurde der Vorstoß in den nordkoreanischen Medien auch mit keiner Silbe gewürdigt. Schon deshalb nicht, weil er von einem Präsidenten stammt, der die »Sonnenscheinpolitik« seiner Vorgänger beerdigt hat. Der konservative Lee Myung Bak, im eigenen Land von progressiven Kräften wegen seiner Härte als »Bulldozer« bezeichnet, wird in den Medien der KDVR tagtäglich als üble Kreatur, Marionette im Dienste des USA-Imperialismus und Chef einer verräterischen Clique charakterisiert, die Südkorea in die Katastrophe treibe. Schon deshalb sind seiner »Friedensgemeinschaft« in absehbarer Zeit keine Chancen einzuräumen.

Nach dem zwischen 1950 und 1953 gescheiterten Versuch, die Vereinigung militärisch zu erzwingen, erblickten immer wieder »Wiedervereinigungspläne« das Licht der Welt. In Pjöngjang liegt seit 1980 der Vorschlag des verstorbenen »ewigen Präsidenten« Kim Il Sung auf dem Tisch, eine »Konföderative Demokratische Republik Koryo« zu bilden. Unter dem Schlachtruf »Ein Land – ein Volk – zwei Regierungen« wollte Kim Vater die beiden Koreas mit ihren unterschiedlichen Gesellschaftssystemen unter dem Dach einer Konföderation vereinigen. Von Zeit zu Zeit holt die gegenwärtige Führung unter Kim Jong Il diesen Plan aus der Mappe, legt ihn aber schnell wieder ab.

Ob koreanisches »Commonwealth«, »Demokratischer Koreanischer Bund« oder »Konföderation Koryo« – alle diese Konstruktionen leiden daran, dass sie von keiner der verfeindeten Seiten jemals ernsthaft in Angriff genommen wurden. Und die eigentlichen Konfliktpunkte blieben ausgespart. Beispielsweise die Frage, was geschähe, wenn die Grenzen tatsächlich geöffnet würden.

Vereinigung am Verhandlungstisch setzt Verständnis für den anderen und Akzeptanz des anderen voraus. Beides hat in den zurückliegenden Jahrzehnten eher abgenommen, die Vereinigung bleibt also Fiktion. Beide Staaten erheben den Anspruch, für ganz Korea zu sprechen und das eigene politische System als das einzig richtige und rechtmäßige zu betrachten. Wie schwer sich auch Südkorea tut, zeigt der Fall des christlichen Priesters Han Sang Ryol, der nach einer groß inszenierten Propagandareise durch den Norden im Süden verhaftet wurde. Für Pjöngjang war das Anlass, die Republik (Süd-)Korea als faschistischen Staat darzustellen, in dem die verabscheuungswürdigsten Verbrechen geschehen.

Von einer Wiedervereinigung sind Nord- und Südkorea weiter entfernt denn je. Den Südkoreanern der jüngeren Generationen ist der Norden fremd, für sie ist der Zusammenschluss kein Lebenswunsch, wie er ihre Eltern und Großeltern noch beherrschte. Manchen ist er wegen der erwarteten Kosten geradezu eine Horrorvorstellung. Und so wird auch Lees Vorschlag in einer Schublade einstauben.

* Aus: Neues Deutschland, 2. September 2010


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