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Versöhnliche Töne

Erstmals übernimmt heute eine Frau in Seoul die Präsidentschaft. Zwischen Süd- und Nordkorea kommt es zur Annäherung – ungeachtet von Pjöngjangs kürzlichem Atomtest

Von Rainer Werning *

Auch wenn Nordkoreas politische Führung mit ihrem Mitte des Monats nach 2006 und 2009 durchgeführten dritten Atomtest weltweit für Furore sorgte: Auf der Koreanischen Halbinsel, wo der Kalte Krieg bis heute fortbesteht, beginnt eine neue Ära. In Südkorea wird heute (25. Februar) die 61jährige Park Geun-Hye, Tochter eines Expräsidenten, mit der Übernahme des höchsten Staatsamtes zur neuen politischen Führungsfigur.

Damit ist die Zeit von Präsident Lee Myung-Bak, dem ehemaligen Hyundai-Manager und Exbürgermeister der Metropole Seoul, zu Ende. In seiner fünfjährigen Amtszeit hatte er nie einen Hehl daraus gemacht, daß er seinen Spitznamen »der Bulldozer« überaus schätzte. Die »Sonnenscheinpolitik« seines Vorgängers Kim Dae-Jung sowie die frühere »Politik für Frieden und Prosperität« von Roh Moo-Hyun gegenüber dem Norden kanzelte er als naiv ab und bezeichnete deren Regierungsjahre von 1998 bis 2008 als »verlorene Dekade«. Er verfolgte sowohl innen- als auch außenpolitisch einen stramm antikommunistischen Kurs. Lee ließ sich stets von der Überzeugung leiten, das Regime im Norden werde ohnehin früher oder später implodieren.

Auf Konfrontation

Am 26. März 2010 war südwestlich der Baeknyeong-Insel im Gelben Meer die südkoreanische Korvette »Cheonan« gesunken. Sofort beschuldigten Südkorea und deren »Schutzmacht« USA die Marine Nordkoreas, das Kriegsschiff mit einem Torpedo versenkt zu haben. Kurz darauf machte Präsident Lee eine Entschuldigung durch Pjöngjang zur Vorbedingung für bilaterale Gespräche. Nordkorea bestritt kategorisch, die »Cheonan« versenkt zu haben und wertete den Vorfall als eine Inszenierung des Südens. Auch russische und chinesische Experten äußerten Zweifel an Südkoreas Version und warfen die Frage auf, warum das Kriegsschiff ausgerechnet in einem Teil des Gelben Meeres manövriert hatte, in dem der Grenzverlauf nie eindeutig festgelegt worden war und wo die Wassertiefe äußerst gering ist. Die Fachleute glauben, die Ursache des Unglücks sei eine Havarie gewesen. Aber als Nordkorea im November desselben Jahres auch noch die Insel Yonpyong mit Artillerie unter Beschuß nahm, wurde jedweder Dialog zwischen Seoul und Pjöngjang unmöglich.

Einer der zahlreichen Widersprüche auf der Halbinsel ist, daß die von der Regierung in Seoul über ein Jahrzehnt verfolgte »Sonnenscheinpolitik« gegenüber dem Norden ausgerechnet von ihrem engsten Verbündeten, den USA, konterkariert wurde – unter dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush. Dieser hatte Anfang 2002 in seinem messianischen Feldzug gegen »den internationalen Terrorismus« Nordkorea neben Iran und dem Irak zur »Achse des Bösen« gerechnet. Als unter seinem Nachfolger Barack Obama solche schrillen Töne gegenüber Pjöngjang nicht mehr angeschlagen wurden, war es nun Südkoreas Präsident Lee, der gegenüber Nordkorea auf Konfrontation ging.

Ein weiterer Widerspruch: Bevor Mitte der 1970er Jahre das »Modell Südkorea« wegen seines ökonomischen Erfolgs weltweit gepriesen wurde, hatte die Volksrepublik mit ihrem Dschutsche-Kurs, der auf eigenständige Entwicklung setzte, auf viele unabhängig gewordene Länder der dritten Welt Faszination ausgeübt. Wahrte der Norden gegenüber Moskau und Peking stets Distanz, verordnete Südkoreas Militärdiktator Park Chung-Hee, der Vater der neuen Präsidentin, dem Land einen Brachialkapitalismus. Dabei stützte er sich auf die Präsenz Zehntausender im Land stationierter GIs.

1996 wurde Südkorea nach Japan als zweites asiatisches Land in die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aufgenommen, den erlauchten Klub reicher Länder. Derweil laborierte der Norden mehrfach an den Folgen von Dürre- und Flutkatastrophen sowie wirtschaftlicher Stagnation. Zudem präsentiert sich die südliche Hauptstadt Seoul heute als kosmopolitische Metropole mit glitzernden Glasfassaden. In der Hauptstadt Pjöngjang mit ihren Monumentalbauten fühlt man sich an die »Große Proletarische Kulturrevolution« im China der 1960er Jahre erinnert – inklusive Massenauftritten mit martialisch-pathetischer Marschmusik.

Die Zivilregierung in Seoul gibt sich demokratisch, offen und aufgeklärt. Doch die politische Führung stützt sich seit der Staatsgründung im August 1948 auf das archaische »Nationale Sicherheitsgesetz«. Einige von dessen Paragraphen beruhen auf dem »Gesetz für die Sicherheitsbewahrung« der ehemaligen Kolonialmacht Japan (1910–45), auf dessen Grundlage die japanischen Truppen Widerstandskämpfer inhaftiert und hingerichtet hatten. Laut dem »Nationalen Sicherheitsgesetz« gilt Nordkorea offiziell als »staatsfeindliche Organisation«. Dementsprechend war der Ende 2011 verstorbene nordkoreanische Staatsführer Kim Jong-Il lediglich der »Rädelsführer einer antistaatlichen Organisation« – wenngleich auf dessen Einladung in den Jahren 2000 und 2007 die ersten innerkoreanischen Gipfeltreffen in Pjöngjang stattgefunden hatten.

Offiziell bekennt sich Nordkorea zum »Sozialismus eigener Prägung« und zum »starken und gedeihenden Staat«. Die Führung verfolgt einen eigentümlichen Mix aus neokonfuzianischem Verhaltenskodex, rigidem Etatismus, Personenkult und einer Glorifizierung des Militärs. Dies hindert den Staat jedoch nicht daran, mit dem Gaeseong-Industrie-Komplex (GIC) nahe der Grenzstadt Gaeseong ein Projekt zu verfolgen, das mit südkoreanischem Know-how und Geld für den eigenen sowie den internationalen Markt produziert – ein weiterer Widerspruch.

Gangnam vs. Korean Style

Im Jahr 2011 war Nordkoreas Führung damit beschäftigt, sich auf den 100. Geburtstag seines 1994 verstorbenen Staatsgründers und »ewigen Präsidenten« Kim Il-Sung im April 2012 vorzubereiten. Am 17. Dezember 2011 verstarb zwar dessen Sohn Kim Jong-Il. Doch die Nachfolgeregelung verlief problemlos; nahtlos wurde nunmehr dessen Sohn Kim Jong-Un neuer Machthaber – lächelnd flankiert von seiner Frau Ri Sol-Ju.

Am 12. Dezember 2012, im Vorfeld der Wahlen in Südkorea, feuerte Pjöngjangs Führung dann mit einer Langstreckenrakete einen Satelliten ins All, um ihr Land international als »eine florierende große Nation« zu präsentieren. Zudem wollte Pjöngjang damit angesichts der beginnenden zweiten Amtszeit Obamas und des bevorstehenden Regierungswechsels in Seoul daran erinnern, Nordkorea wieder oben auf die politische Agenda zu setzen. Und schließlich versuchte Enkel Kim Jong-Un damit, nach innen Stärke zu demonstrieren.

In den vergangenen Monaten hat der phänomenale Aufstieg des südkoreanischen Rappers Park Jae-Sang alias Psy, der mit seinem »Gangnam Style«-Video auf Youtube bis Ende Dezember 2012 über eine Milliarde mal angeklickt wurde, auch die Menschen im Norden inspiriert. Während Psy in seinem Song den extravaganten Lebensstil in Seouls Nobeldistrikt Gangnam persifliert, karikierte Nordkoreas Regierung auf Uriminzokkiri, dem Onlinedienst des Komitees für die friedliche Wiedervereinigung Koreas, mit Hilfe des Videos Park Geun-Hye in ihrem Wahlkampf als »Eisprinzessin« – eine Anspielung auf ihren vermeintlich kalten Charakter.

Als wollte er der neuen Kollegin persönlich einen Olivenzweig überreichen, erklärte Kim Jong-Un zur Verblüffung seiner zahlreichen Gegner im Ausland in der diesjährigen Neujahrsansprache, sein Land strebe fortan eine Aussöhnung mit dem Süden an. Die Beendigung der Konfrontation sei eine wichtige Voraussetzung, um die Teilung des Landes zu überwinden und die Wiedervereinigung zu erreichen. »Die Geschichte der innerkoreanischen Beziehungen zeigt«, so Kim wörtlich, »daß die Konfrontation zwischen Landsleuten zu nichts als Krieg führt.«

Auch diese Erklärung mutet paradox an: Just am 12. Februar, als sich US-Präsident Obama auf seine Rede zur Lage der Nation vorbereitete, meldete Nordkoreas staatliche Nachrichtenagentur KCNA, daß wenige Stunden zuvor ein »erfolgreicher unterirdischer dritter Atomtest zum Schutz der nationalen Sicherheit gegen die Bedrohung durch die feindliche Politik der USA« durchgeführt worden sei.

Mit solchen »Demonstrationen der Stärke« hat Pjöngjang in den vergangenen Jahren immer wieder »den Besitz eines größtmöglichen Abschreckungspotentials« unterstrichen. Die gemeinsamen Land- und Seemanöver Südkoreas und der USA betrachtet das Regime im Norden als Bedrohung der eigenen Sicherheit. Seit dem Koreakrieg (1950–53) verfährt man in der Volksrepublik gemäß der Logik: Wenn schon international nicht als Freund geachtet, möchte man zumindest als Feind auf Augenhöhe geächtet werden. Dies gilt erst recht im Umgang mit den USA, die damit zu Verhandlungen und Zugeständnissen gezwungen werden sollen. Aus dem seit 1953 lediglich bestehenden Waffenstillstandsabkommen soll endlich ein Friedensvertrag werden.

Der letzte Atomtest am 12. Februar schließt keineswegs aus, daß es noch in diesem Jahr zwischen Madame Park und Mister Kim zu einem – nach 2000 und 2007 – dritten innerkoreanischen Gipfeltreffen kommen wird.

* Rainer Werning ist Koautor des 2012 im Wiener Promedia Verlag erschienenen Buches »Korea: Von der Kolonie zum geteilten Land«.

Aus: junge Welt, Montag, 25. Februar 2013



Zweiter Streich

Park Guen-Hye: In den Fußstapfen des Vaters

Von Rainer Werning **


Es war der zweite politische Streich im selben Jahr, der Park Geun-Hye am 19. Dezember 2012 glückte, als sie mit 51,6 Prozent der Stimmen die Präsidentschaftswahl für sich entschied. Ihr schärfster politischer Rivale Moon Jae-In, ein früherer Menschenrechtsanwalt und Kandidat der Vereinten Demokratischen Partei, erhielt 48 Prozent. Im April zuvor war Park Geun-Hye mit ihrer konservativen Partei Saenuri (Neue Welt/Neue Grenze) bereits aus der Parlamentswahl als Siegerin hervorgegangen. Ungewöhnlich in einem Land, das noch immer von einer tief verwurzelten konfuzianischen Geschlechterideologie geprägt ist.

Park Geun-Hye ist die älteste Tochter von Park Chung-Hee, der sich 1961 an die Macht geputscht und das Land bis 1979 diktatorisch regiert hatte. Er war im Oktober 1979 von seinem eigenen Geheimdienstchef ermordet worden. Sein Name ist bis heute im Bewußtsein vieler Südkoreaner mit der Transformation eines armen Agrarlandes in einen prosperierenden Industriestaat verbunden. Und bis heute wird er von zahlreichen Südkoreanern als »Architekt des Wirtschaftswunders am Han-Fluß« geschätzt.

Park Geun-Hye hat im Wahlkampf zweifellos vom Image ihres Vaters profitiert. Vor allem viele ältere Menschen glauben, daß sie am ehesten den erreichten Wohlstand sichern und einen weiteren wirtschaftlichen Aufschwung herbeiführen könne. Für fortschrittliche und linke Kreise bleibt Park Chung-Hee ein ideeller Gesamtreaktionär. Sie werfen ihm vor, zwei Generationen von Arbeitern »verheizt« und jedwede Opposition martialisch unterdrückt zu haben, um das »Wirtschaftswunder« zu vollbringen.

Punkten konnte Park Geun-Hye mit dem Versprechen, von der knallharten neoliberalen Wirtschaftspolitik ihres Parteikollegen und bisherigen Präsidenten Lee Myung-Bak abzukehren. Sie hat versprochen, sich stärker für Arme und Marginalisierte einzusetzen und »eine neue Ära für unser Land zu beginnen«. Denn auch in Südkorea hat die Prekarisierung in der Arbeitswelt zugenommen und sich die Schere zwischen Reich und Arm weiter geöffnet. Außenpolitisch setzt die neue Präsidentin auf die Wiederbelebung des Dialogs mit dem Norden. Diese Politik des gegenseitigen Vertrauens soll Korea gemeinsam mit China und Japan als ebenbürtigen Partner in eine nordostasiatische Zone des Friedens und Fortschritts einbinden.

Park hat ihre Rolle als Frau im Wahlkampf nicht zum Thema gemacht. Dabei hätte sie mit der Diskussion über Gleichberechtigung sowohl Zugang zu jungen Wählerinnen finden, als auch eine längst überfällige Debatte über die in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik noch immer ausgegrenzten Frauen anstoßen können.

** Aus: junge Welt, Montag, 25. Februar 2013


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