Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nuklearwaffen gegen Nahrungsmittel?

Schon bald könnte wieder über die atomare Abrüstung Nordkoreas verhandelt werden

Von Wolfgang Kötter *

Nach mehr als dreijähriger Pause könnten die Sechs-Parteien-Gespräche über das Nuklearprogramm der Demokratischen Volksrepublik Korea bald wieder aufgenommen werden. Bei einem kürzlichen USA-Besuch äußerte sich Atomunterhändler Ri Yong Ho durchaus optimistisch für die Zukunft der Gespräche. Teilnehmer sind außer Nordkorea und den USA auch China, Südkorea, Japan und Russland. Die Möglichkeit ergibt sich, nachdem der neue Staatschef Kim Jong Un Ende Februar verkünden ließ, man sei zu einem Moratorium für Atomwaffenversuche und Testflüge von Langstreckenraketen bereit. Zudem will Pjöngjang auf die Urananreicherung verzichten und der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA eine Überprüfung der Nuklearanlage Yongbyon gestatten. Die USA erklärten im Gegenzug, keinen Regimewechsel anzustreben und boten die Lieferung von 240.000 Tonnen Lebensmitteln an.

Jahrzehntelanges Katz- und Maus-Spiel

Nachdem seit vorigem Sommer bereits drei bilaterale Treffen zwischen den USA und Nordkorea stattgefunden haben, wird es dann in der Sechserrunde weitergehen. Wie groß aber die Erfolgschancen diesmal sind, lässt sich nur schwer abschätzen. Denn der Streit über das nordkoreanische Atomprogramm zieht sich bereits über Jahrzehnte hin und Pjöngjang spielt die atomare Karte von Anfang an geschickt und effektiv. Schon in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts baute man, zunächst mit der Unterstützung aus Moskau und Peking, eine eigene Nuklearkapazität auf. Als Nordkorea dann nach langem Zögern und nicht ohne sanften Druck der Sowjetunion im Jahre 1985 dem Atomwaffensperrvertrag beitrat, begann das bis heute andauernde atomare Katz-und-Maus-Spiel. Erst nach sieben Jahren wurde das erforderliche Kontrollabkommen mit der IAEA abgeschlossen. In der Folgezeit tauchten immer wieder Vermutungen über heimliche Nuklearaktivitäten Nordkoreas auf. Doch immer wenn IAEA-Kontrolleure lästige Fragen stellten, warf man sie kurzerhand aus dem Land hinaus. Mit der illegalen Wiederaufbereitung ausgebrannter Plutoniumbrennstäbe verstieß Nordkorea eklatant gegen den Sperrvertrag und gewann so waffentaugliches Spaltmaterial zum Bau der Bombe. Im Januar 2003 verkündete Pjöngjang dann den Vertragsaustritt und erklärte sich zwei Jahre später selbst zur Atomwaffenmacht. Außerdem stieg das Land aus den Sechs-Parteien-Gesprächen über sein Atomprogramm aus, in denen es zuvor sogar eine grundsätzliche Einigung über den nuklearen Verzicht gegeben hatte.

Stattdessen nahm die zeitweise stillgelegte Wiederaufbereitungsanlage Yongbyon ihren Betrieb wieder auf. Obwohl manche Beobachter den ersten Nuklearversuch im Oktober 2006 noch als Fehlzündung herunterspielten, gibt es seit der zweiten Testexplosion in der Stärke einer Hiroshimabombe vom Mai 2009 keinen Zweifel mehr am atomaren Status. Schätzungsweise umfasst das Arsenal jetzt 10 bis 15 Sprengköpfe. Gleichzeitig betreiben die Militärs ein extensives Raketentestprogramm mit Flugkörpern unterschiedlicher Reichweite bis hin zu 6 700 Kilometern, die die US-Bundesstaaten Alaska, Kalifornien und Hawaii erreichen können.

Reden statt rüsten

Inzwischen haben die USA und Nordkorea auch Gespräche über amerikanische Nahrungsmittelhilfe aufgenommen und erste Ergebnisse erzielt. „Das Ernährungsprogramm über das wir hier sprechen ist kompliziert und wir müssen die Einzelheiten ausarbeiten, wie es durchgeführt wird“, sagte der amerikanische Sondergesandte Robert King bei den Verhandlungen in Peking. Vor allem solle sichergestellt werden, dass die Hilfslieferungen die von Mangelernährung am stärksten betroffenen Gruppen erreiche. Die Lebensmittel seien für rund eine Million Nordkoreaner vorgesehen, darunter Kinder, Schwangere, stillende Mütter und alte Menschen, sagte der Diplomat.

Auch wenn Verhandlungen über Nuklearwaffen und über Nahrungsmittel zukünftig parallel laufen, bleibt Misstrauen über die wahren Absichten auf beiden Seiten bestehen. Anfang Februar aufgenommene Satellitenaufnahmen zeigen Fortschritte beim Bau eines Leichtwasserreaktors in Nordkorea. Das private US-Institut für Wissenschaft und Internationale Sicherheit veröffentlichte ein Bild der Atomanlage in Yongbyon. Der Bau der Turbinenhalle sei nahezu abgeschlossen. Nach nordkoreanischen Angaben soll der Reaktor der Energiegewinnung dienen. Einige westliche Experten gehen hingehen davon aus, dass die Anlage auch zur Herstellung waffenfähigen Plutoniums geeignet sein könnte.

Aber eine einseitige Schuldzuweisung an Pjöngjang wäre unfair. Auch die Politik der USA war widersprüchlich und rief zu Recht Irritationen hervor. Nur ein ernst gemeintes Angebot Washingtons, das die Sicherheitsängste und die wirtschaftlichen Nöte des kleinen Landes gleichermaßen berücksichtigt, hat eine Chance akzeptiert zu werden. Gerade die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten und anderswo bezeugen, dass die Eindämmung von Nuklearwaffen nicht funktioniert, wenn sie mit doppeltem Maßstab betrieben wird. Viel zu lange haben die etablierten Atommächte in dem Irrglauben gelebt, sie könnten ihr Monopol auf ewig konservieren. Heute ist absolut klar, dass ein „Weiter so“ unweigerlich neue Atomwaffenbesitzer hervorbringt und zwar nicht nur Staaten, sondern wahrscheinlich auch Terroristen und Kriminelle. Auch deshalb ist nukleare Abrüstung kein Fernziel, sondern Tagesaufgabe.

Nuklearchronik der KDVR

  • 12. Dezember 1985: KDVR unterzeichnet den Atomwaffensperrvertrag
  • 10. April 1992: Abschluss eines Kontrollabkommens mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA)
  • 21. Oktober 1994: Die USA und Nordkorea unterzeichnen ein Nuklearabkommen: Pjöngjang stellt sein laufendes Atomprogramm ein, Washington sagt im Gegenzug den Bau von Leichtwasserreaktoren und Öllieferungen zu
  • 29. Januar 2002: US-Präsident George W. Bush wirft Nordkorea, Irak und Iran vor, sich als eine "Achse des Bösen" um den Besitz von Massenvernichtungswaffen zu bemühen
  • 16. Oktober: Die Bush-Regierung behauptet, die nordkoreanische Führung hätte zugegeben, ein geheimes Urananreicherungsprogramm zu betreiben.
  • 11. November: Die USA, die EU, Japan und Südkorea beschließen, wegen des vermeintlichen Urananreicherungsprogramms kein Öl mehr in die KDVR zu liefern.
  • 12. Dezember: Die Regierung in Pjöngjang kündigt an, ihr 1994 eingestelltes Plutonium-Projekt umgehend reaktivieren zu wollen
  • 13. Dezember: Nordkorea fordert die IAEA auf, ihre Überwachungskameras aus den Atomanlagen zu entfernen
  • 27. Dezember: Nordkorea weist die IAEA-Inspektoren aus. Sie verlassen das Land am 31. Dezember
  • 10. Januar 2003: Nordkorea verkündet den Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag
  • 5. Februar: In der nordkoreanischen Atomanlage in Yongbyon wird ein Reaktor wieder in Betrieb genommen
  • 18. Juni: Erstemals räumt Pjöngjang öffentlich die Existenz seines Atomwaffenprogramms ein
  • 27.- 29. August: Die erste Runde der multilateralen 6-Staaten-Gespräche in Peking geht ohne Ergebnis zu Ende
  • 19. Oktober: US-Präsident Bush stellt Sicherheitsgarantien im Gegenzug für eine Einstellung des KDVR-Atomprogramms in Aussicht. Einen Nichtangriffspakt lehnen die USA weiter ab. Nordkorea weist das Angebot zurück
  • 25.-28. Februar 2004: Auch die zweite Runde der Sechsergespräche über das nordkoreanische Atomprogramm bringt keinen Durchbruch
  • 23.- 26. Juni: Die nächste Gesprächsrunde scheitert 9. Februar 2005 Nordkorea erklärt sich selbst zum Atomwaffenstaat
  • 26. Juli: Eine vierte Gesprächsrunde beginnt und geht 13 Tage später ohne Ergebnis zu Ende
  • 13. September: Wiederaufnahme der Gespräche
  • 19. September: Nordkorea erklärt sich unter Bedingungen zur Einstellung seines Atomwaffenprogramms bereit.
  • 9.-11. November: Fünfe Gesprächsrunde
  • 5. Juli 2006: Nordkorea unternimmt eine Serie von sieben Raketentests in Richtung Japanisches Meer.
  • 15 Juli: UN-Sicherheitsrat verurteilt die Raketentests Atomwaffentest und verhängt Sanktionen gegen Pjöngjang (Resolution 1695)
  • 9. Oktober: Nordkorea erklärt, zum ersten Mal einen Atomwaffentest durchgeführt zu haben
  • 14. Oktober: UN-Sicherheitsrat verurteilt den Atomwaffentest und verhängt weitere Sanktionen (Resolution 1718)
  • 18.- 22. Dezember: Neuerliche Runde der multilateralen Gespräche
  • 16.-18. Januar 2007: US-amerikanischen und nordkoreanische Vertreter treffen sich in Berlin
  • 13. Februar: die KDVR erklärt sich im Phasenprogramm bereit, sein Atomprogramm schrittweise abzubauen
  • 5. April 2009: Nordkorea startet eine Langstreckenrakete eine vom Typ Taepodong-2, die Atomsprengköpfe transportieren können soll Angeblich soll ein Satellit in den Kosmos befördert werden. der UN-Sicherheitsrat verurteilt den Raketentest
  • 25. Mai 2009: Nordkorea zündet seinen 2. nuklearen Sprengsatz von der Stärke einer Hiroshimabombe.


Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Zusammenfassung der Hauptbestimmungen)

Artikel I
Die Kernwaffenstaaten verpflichten sich, Kernwaffen an niemanden weiterzugeben und Nichtkernwaffenstaaten weder zu unterstützen noch zu ermutigen, Kernwaffen herzustellen oder zu erwerben.

Artikel II
Die Nichtkernwaffenstaaten verpflichten sich, Kernwaffen nicht herzustellen oder zu erwerben.

Artikel III
Kontrolle durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) auf der Grundlage individueller Abkommen.

Artikel IV
Recht auf Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke. Verpflichtung zum Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie.

Artikel V
Recht auf überirdische friedliche Kernexplosionen (obsolet, da aus Umweltgründen keine mehr durchgeführt werden).

Artikel VI
Verpflichtung zu Verhandlungen über Beendigung des nuklearen Wettrüstens, nukleare Abrüstung sowie allgemeine und vollständige Abrüstung unter internationaler Kontrolle.

Artikel VII
Recht zur Bildung kernwaffenfreier Zonen.

Artikel VIII
Bestimmungen für Vertragsänderungen.

Artikel IX
Unterzeichnungs- und Ratifikationsbestimmungen.

Artikel X
Bei Gefährdung der höchsten Landesinteressen Recht auf Rücktritt nach dreimonatiger Kündigungsfrist.



* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - in: neues deutschland, 12. März 2012


Zurück zur Korea-Seite

Zur Atomwaffen-Seite

Zurück zur Homepage