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Blicke in Glaskugeln

Nach Kims Tod in Nordkorea verbreiten Mainstream-Medien ihre Klischees

Von Rainer Werning *

Nach dem Tod von Staatschef Kim Jong-Il am vergangenen Samstag (17. Dez.) begannen in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang die Vorbereitungen zur Beisetzung des landesweit ranghöchsten Politikers. Mittlerweile hat die staatliche Nachrichtenagentur KCNA die Liste des Beisetzungskomitees mit Kim Jong-Un an der Spitze veröffentlicht, der die »großartige Nachfolge« seines Vaters antreten soll. Bis zum 29. Dezember währt die Trauerphase. Die Beisetzung soll am 28. Dezember stattfinden und der Leichnam neben dem seines im Juli 1994 verstorbenen Vaters Kim Il-Sung, des Staatsgründers und »ewigen Präsidenten« der Demokratischen Volksrepublik Korea, bestattet werden. Chang Sung-Taek (in angloamerikanischen Medien auch Jang Song-Thaek geschrieben), dem 65jährigen Onkel Kim Jong-Uns, fällt bei alledem in Verbindung mit hochrangigen Militärs eine zentrale Rolle zu. Im Gegensatz zum Tod Kim Il-Sungs gibt es diesmal keine offiziell angeordnete dreijährige Trauerphase.

In beiden Todesfällen existieren dennoch Gemeinsamkeiten. Da keiner der beiden Kims der »internationalen Staatengemeinschaft« den Gefallen tat, ihr Land auch nur einen Türspalt für westliches Kapital und westliche Ideen zu öffnen, bezogen sie kräftig Prügel. Aus nordkoreanischer Sicht folgte dieser Schritt einer systemimmanenten Logik. Vor allem die von außen erzwungene Teilung des Landes nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Koreakrieg (1950–53), der das Land dem Erdboden gleichmachte und die Welt an den Abgrund eines Dritten Weltkriegs führte, sind im kollektiven Gedächtnis der politischen Führung Nordkoreas haften geblieben. Die im Westen notorisch beklagte »Isolation« und »Abschottung« der Volksrepublik verkannte, daß man in Pjöngjang sehr wohl intensive Kontakte zum Trikont pflegte.

Als Kim Il-Sung im Sommer 1994 starb, beschworen westliche Denkfabriken eine rasche Implosion des Landes – vergleichbar den Entwicklungen in der vormaligen Sowjetunion und in den Staaten Osteuropas. Maßlos unterschätzt blieb das spezifische Machtgefüge in Nordkoreas politischen Entscheidungsprozessen (siehe jW vom 20.12.). Geblieben sind Stereotype und Klischees. Allein seit dem Wochenbeginn schwadronieren die Mainstream-Medien wild drauflos. Kostproben: »Absurde Trauerszenen: Nordkoreaner weinen an Rolltreppe um Kim Jong-Il«, »Phase der Instabilität und Unberechenbarkeit«, »Experten fürchten Machtvakuum«, »Plateauschuhe und Propaganda«, »›Raketen-Muskelspiele‹ in Pjöngjang«, »Kim Jong-Un – Der Phantom-Mann«. Geradezu kongenial die »teuflische Verwandtschaft« zwischen US-Senator John McCain und einem Griffelhalter der Rheinischen Post (Düsseldorf, 19.12.). Empfindet ersterer Genugtuung über Kims Tod und (ver-)wünscht ihn »in warme Ecke der Hölle«, fabuliert sein nord­rhein-westfälischer Wiederkäuer über »die gefährlichste Diktatur der Welt« und »den letzten knallharten Stalinisten, Kim Jong Il. Freilich mit einem entscheidenden Unterschied: es war nicht sein siechendes und geknechtetes Volk, das den selbst ernannten ›Großen Führer‹ zum Teufel jagte; es war der Teufel, der ihn geholt hat. Das kann man so schreiben, (…) wenn man auch nicht sehr viel über das am stärksten abgeschottete Land der Welt weiß (…) Kim Jong Il (ist) im Tod vielleicht noch bedrohlicher als lebend«.

Eine Schlappe erlebten derweil die »Sicherheitsexperten« in Südkorea, die über den Tod Kim Jong-Ils erst über KCNA informiert wurden. Sowohl Won Sei-Hoon, Chef der südkoreanischen Nationalen Sicherheitsbehörde (NIS), als auch Verteidigungsminister Kim Kwan-Jin tappten im Dunkeln und hatten ihren Präsidenten Lee Myung-Bak nicht zeitnah informiert. Won und Kim gerieten sofort ins Kreuzfeuer öffentlicher Kritik; die für ihre Behörden bereitgestellten Gelder seien völlig fehlinvestiert.

Überschattet wird dieser Streit von der Diskussion, ob nun Seoul eine eigene Beileidsdelegation nach Pjöngjang entsenden soll. Südkoreas Vereinigungsminister Yu Woo-Ik erklärte zwar, man spreche dem nordkoreanischen Volk sein Beileid aus, schicke aber keine Regierungsvertreter nach Pjöngjang. In aktuellen Meinungsumfragen plädieren 49,6 Prozent der Südkoreaner für einen solchen Schritt, nur 31,4 Prozent sind dagegen.

* Rainer Werning ist mit Du-Yul Song Koautor des im März 2012 im Wiener Promedia Verlag erscheinenden Buches »Korea: Von der Kolonie zum geteilten Land«.

Aus: junge Welt, 23. Dezember 2011



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