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Machtwechsel nach Maß?

Nordkoreas politische Führung setzt nach dem Tod von Staatschef Kim Jong-Il auf eine "großartige Nachfolge" durch seinen jüngsten Sohn Kim Jong-Un

Von Rainer Werning *

Zeit seines Lebens war Nordkoreas 69jähriger Staatschef Kim Jong-Il Ostasiens ideeller Gesamtterrorist. Internationale Medien hatten ihn stets bevorzugt mit Etiketten wie »letzter stalinistischer Sonnenkönig«, »Irrer mit der Bombe«, »Zombie« und »psychopathischer Führer eines Gulagsystems« belegt. Und mehrfach hatten sie ihn für tot erklärt. Nun war es ausgerechnet die staatliche Nachrichtenagentur KCNA, die mit annähernd zweitägiger Verspätung meldete, daß der im Ausland allseits gehaßte Kim bereits am Samstag (17.12.) während einer Zugfahrt einem schweren Herzinfarkt erlag. Eine herbe Schlappe für die Phalanx selbsterklärter Nordkorea-Watchers und Geheimdienst»experten«, die offensichtlich auf dem falschen Fuß erwischt wurden. Es bleibt ihnen nurmehr der Hinweis darauf, die nordkoreanische Bevölkerung schwelge in »staatlich gelenkter Dauer- und Trauerhysterie«.

Wer eigentlich war dieser Kim Jong-Il, dessen Tod die Medien der Volksrepublik zum Anlaß nehmen, das Land müsse jetzt die allgegenwärtige »Traurigkeit in Stärke umwandeln und seine Schwierigkeiten überwinden«? Bereits in den 1970er und 1980er Jahren hatte er unter der Ägide seines Vaters und Staatsgründers Kim Il-Sung mit Parteiaufgaben als Mitglied des Zentralkomitees (ZK) der Partei der Arbeit Koreas (PdAK) in den Bereichen Kunst, Kultur und Propaganda begonnen. Im Dezember 1991 war Kim bereits zum Oberkommandierenden der Volksarmee ernannt worden und im April 1993 zum Vorsitzenden der Nationalen Verteidigungskommission avanciert, des (partei-)politisch mächtigsten Amtes in der Volksrepublik. Auf der Basis der 1992 geänderten Verfassung kontrollierte und kommandierte er mithin die gesamten Streitkräfte der Volksrepublik und bekleidete gleichzeitig auch deren höchste militärische Position. Generalsekretär der PdAK wurde Kim formell hingegen erst im Oktober 1997. All das sprach nach dreijähriger Trauerphase nach dem Tod seines Vaters im Juli 1994 gegen eine Destabilisierung des Regimes.

Die politische Kontinuität der um den Sohn des früheren Staats- und Parteichefs gruppierten Führungsschicht bewahrte das nordkoreanische System nicht nur vor einer Implosion, sondern stärkte es gar. Denn stets blieb die militärische und zivile Machtbalance zwischen alten Partisanen, im Ausland (vorrangig in der ehemaligen Sowjetunion, in Osteuropa sowie in der DDR) geschulten Kadern und im eigenen Lande, vorrangig an der Kim-Il-Sung-Eliteuniversität, ausgebildeten Führungskräften austariert. Erstmals seit dem Tod Kim Il-Sungs war Anfang September 1998 das wenige Wochen zuvor neugewählte Parlament, die aus 687 Abgeordneten zusammengesetzte Oberste Volksversammlung (OVV), zusammengetreten. Diese stellte fortan die Weichen für einen »starken und gedeihenden Staat«.

Am 28. September 2010 fand in Pjöngjang die vielbeachtete dritte Delegiertenkonferenz der PdAK (nach der ersten 1958 und der zweiten im Jahre 1966) statt und das erste Zusammenkommen der Partei seit dem VI. Parteitag vom Oktober 1980. Auf dieser Konferenz avancierten Kim Jong-Ils jüngster Sohn Kim Jong-Un und seine Schwester Kim Kyng-Hi zu Vier-Sterne-Generälen. Kim Jong-Il selber, der seit Sommer 2008 an den Folgen eines Schlaganfalls laborierte, blieb im Rang eines Marschalls unangefochten an der Spitze der Nationalen Verteidigungskommission. Diese bestand bis zu seinem Tod aus 15 Mitgliedern, wobei in der Rangfolge der Nomenklatur Chang Sung-Taek, ein Schwager Kims und Mitglied dessen engsten Beraterstabs, auf Platz zwei rangiert. Er ist in Personalunion Vizevorsitzender der Kommission und Sekretär der PdAK-Verwaltungsabteilung. Selbst wenn nun Kim Jong-Ils jüngster Sohn offiziell als Sachwalter und Nachfolger seines Vaters auserkoren ist, wird es hinter den Kulissen Chang in Kooperation mit hochrangigen Militärs obliegen, über die »großartige Nachfolge« in Pjöngjang zu wachen und das politische Erbe der beiden Vorgänger Kim Jong-Uns zu wahren.

Eigentliches Ansinnen der nordkoreanischen Führung und gemäß system­immanenter Logik war, ist und bleibt es, einem Regime- beziehungsweise Systemwechsel zu trotzen. Wenn man schon nicht als Freund international geachtet wird, so das Kalkül in Pjöngjang, so will man wenigstens als ebenbürtiger Feind geächtet werden, um auf Augenhöhe Direktverhandlungen mit dem Erzfeind USA zum eigenen Wohle und mit Blick auf einen Friedensvertrag zu erwirken.

* Rainer Werning ist (gemeinsam mit Du-Yul Song) Koautor des im März 2012 im Wiener Promedia Verlag erscheinenden Buches »Korea: Von der Kolonie zum geteilten Land«.

Aus: junge Welt, 20. Dezember 2011



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