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Von Kim zu Kim

Nordkoreas Staatschef Kim Jong Il ist tot / Sohn Kim Jong Un wird Nachfolger

Von Roland Etzel *

Die Führung der KDVR (Nordkorea) hat die Bevölkerung zur Treue gegenüber Kim Jong Un aufgerufen, Sohn des verstorbenen Staatsführers Kim Jong Il. In Berichten der KDVR-Nachrichtenagentur KCNA wurde Kim Jong Un am Montag als »großer Nachfolger« seines Vaters bezeichnet.

In der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik (KDVR) ist am Montag (19. Dez.) der Tod des ersten Mannes des Landes bekannt gegeben worden. Kim Jong Il sei im Alter von 69 Jahren gestorben, heißt es in einer Miteilung der Pjöngjanger Nachrichtenagentur KCNA. Im Fernsehen des Landes wurde mitgeteilt, Kim sei am Samstag (17. Dez.) während einer Inspektionsreise mit dem Zug als Folge großer körperlicher und geistiger Ermüdung an einem Herzinfarkt gestorben.

Kim war 1994 de facto Partei- und Staatschef geworden. De jure erhielt er das bis dahin vakant gelassene höchste Amt im Staate erst drei Jahre später. Er hatte die Macht von seinem Vater Kim Il Sung übernommen, der die Volksrepublik im Norden des geteilten Korea seit 1948 als mehr oder weniger unumschränkter Herrscher geführt hatte. Die Trauerfeierlichkeiten sind für Mittwoch in Pjöngjang angekündigt. Das Begräbnis soll am 28. Dezember sein. Bilder des chinesischen Fernsehens zeigten am Montag große Mengen trauernder Menschen in der Hauptstadt.

Das Land soll nun von Kim Jong Un geführt werden, dem Sohn Kim Jong Ils und Enkel Kim Il Sungs. Darauf waren der Endzwanziger und die internationale Öffentlichkeit bereits seit einigen Jahren vorbereitet worden. Kim Jong Un gilt als aufgeschlossen und weltgewandt.

Diese Wahrnehmung steht in krassem Gegensatz zu einigen Reaktionen im Ausland, die es gestern nach Bekanntgabe des Todes von Kim Jong Il gegeben hatte. Der südliche koreanische Staat, die Republik Korea, löste sofort nach Bekanntwerden der Todesnachricht höchste Alarmbereitschaft aus. Japan berief den Nationalen Sicherheitsrat ein. Ministerpräsident Yoshihiko Noda wies das Verteidigungsministerium und andere Regierungsstellen an, sich »auf alle Eventualitäten« vorzubereiten.

Diese Aktionen kennzeichnen die Situation im Fernen Osten. Zwar ist der Korea-Krieg seit 1953 beendet. Dennoch stehen sich besonders die beiden koreanischen Staaten seitdem trotz zeitweiliger Annäherung und Versöhnungsgesprächen in den 90er Jahren heute wieder in tiefster Feindschaft gegenüber. Wozu sich Südkoreas Führung bis gestern nicht aufraffen konnte, das gab es allerdings von japanischer Seite: ein Beileidstelegramm.

Berlin beließ es bei einem Appell des Auswärtigen Amtes. Nordkorea solle, so heißt es darin, »sein Atomprogramm aufgeben, demokratische Freiheiten zulassen und die katastrophale Versorgung der Bevölkerung verbessern«. Frankreich äußerte sich schroff. Außenminister Alain Juppé sagte in Bordeaux, sein Land teile die Trauer Chinas über den Tod Kims nicht.

* Aus: neues deutschland, 20. Dezember 2011


Geliebt, gehasst, verdammt

Staatstrauer in der KDVR, keine Gewissheit für die Zukunft

Von Detlef D. Pries **


»Zuerst die Armee« hieß die Politik, mit der Kim Jong Il seinem Staat zu internationaler Geltung verhelfen wollte. Indessen geriet das Land an den Rand des wirtschaftlichen Ruins.

Die Menschen auf den Straßen Pjöngjangs »versuchen nicht einmal, die Tränen fortzuwischen, und ringen mit Schmerz und Verzweiflung angesichts des Verlusts«, berichtete die Nachrichtenagentur KCNA am Montag, nachdem der Tod des »Geliebten Führers« Kim Jong Il verkündet worden war. Tatsächlich zeigen Fernsehbilder tränenüberströmte Frauen und Männer.

So viel Trauer über den Tod des Mannes, der 17 Jahre lang ein Land beherrschte, in dem nach UN-Schätzungen rund ein Drittel der 24 Millionen Einwohner unterernährt sind? Die staatlichen Essensrationen, die knapp 70 Prozent der Bevölkerung erhalten, decken demnach weniger als die Hälfte des Kalorienbedarfs. Unbekannt ist die Zahl derer, die in den vergangenen Jahren vor Hunger und Repression auf dem Umweg über China und andere Staaten nach Südkorea geflohen sind. Der direkte Weg von Nord nach Süd ist seit mehr als einem halben Jahrhundert versperrt: Die Grenze, seit 1953 eine Waffenstillstandslinie, ist von beiden Seiten mit Waffen gespickt. Auf zaghafte, aber von lauten Propagandatrompeten begleitete Annäherungsversuche zwischen beiden Staaten folgten stets wieder gegenseitige Vorwürfe und martialische Drohungen.

Von seinem Vater, dem 1994 verstorbenen Kim Il Sung, hatte Kim Jong Il nicht nur das Ruder des Staates, der Partei und der Armee übernommen, sondern auch einen kaum zu übertreffenden Personenkult. Schier übermenschliche Fähigkeiten schrieb man ihm zu, und diese von Geburt an. Laut offizieller Biografie wurde der älteste Sohn Kim Il Sungs am 16. Februar 1942 mitten im antijapanischen Befreiungskampf in einem Partisanenlager am Päktusan geboren. Der Berg an der chinesisch-koreanischen Grenze ist eine Art koreanisches Heiligtum. Aus anderen Quellen geht indes hervor, dass Kim Jong Il in einem Ausbildungslager im sowjetischen Fernen Osten, nahe Chabarowsk, zur Welt kam.

Erst Anfang 30 war Kim Jong Il, als ihn Kim Il Sung bereits als seinen Nachfolger bezeichnen ließ. Seit 1974 Mitglied des Politbüros der Partei der Arbeit, übernahm er immer höhere Funktionen in Partei und Militär. Zwar wurde er nie Präsident, der Titel blieb auf »ewig« seinem Vater vorbehalten, doch herrschte er seit dessen Tod unumschränkt.

Vater Kim konnte immerhin darauf verweisen, dass die KDVR dank harter Arbeit ihrer Bewohner beachtliche Fortschritte beim Wiederaufbau nach dem Koreakrieg gemacht hatte. Pjöngjang präsentierte sich ausländischen Besuchern noch Ende der 80er Jahre als durchaus beeindruckende Metropole. Unmittelbar nach dem Krieg hatten die Sowjetunion, China, die DDR und andere Staaten erhebliche Beiträge dazu geleistet. Schon Kim Il Sung bestand jedoch darauf, sich in keinerlei Abhängigkeit von anderen Staaten zu begeben. Eine Devise seiner »Dschutsche-Ideologie« lautete »Alles aus eigener Kraft!« Die Folge war eine zunehmende Selbstisolierung des Landes. Diese Entwicklung spitzte sich unter Kim Jong Il noch zu und führte - verschärft durch Naturkatastrophen und eine verfehlte Wirtschaftspolitik im Inneren - zu ökonomischem Niedergang und die Bevölkerung zermürbenden Versorgungsschwierigkeiten.

Ungeachtet dessen schockierte Kim Jong Il die Welt, indem er Langstreckenraketen entwickeln und im Jahre 2006 einen ersten Atomwaffentest verkünden ließ, dem 2009 ein zweiter folgte. Im Ausland nannten ihn manche daraufhin den »Verrückten mit der Bombe«. Doch war es nicht zuletzt der US-amerikanische Krieg gegen Irak, der ihn in seiner Auffassung bestärkte, dass nur der Besitz von Atomwaffen die KDVR vor einem gewaltsamen »Regimewechsel« bewahren könne, zumal alle anderen Staaten der Region entweder selbst über Atomwaffen verfügen oder durch den »Atomschirm« der USA geschützt sind. Durch einen möglichst großen Einsatz im »Atompoker« wollte er Washington zur offiziellen Anerkennung der KDVR und zum Abschluss eines Friedensvertrags bewegen. Diese Politik verstörte bisweilen gar seine letzten einflussreichen Verbündeten, China und Russland.

Vieles wurde über das angeblich luxuriöse Privatleben Kim Jong Ils verbreitet, seine Vorliebe für Hollywood-Filme, teuren Cognac, Hummer und dergleichen. Manches davon dürfte vom südkoreanischen Geheimdienst gestreut worden sein. Wahr ist, dass sich Kim Jong Il wie schon sein Vater stets als Mann für das Volk präsentierte, freilich himmelhoch über der »Masse« stehend.

** Aus: neues deutschland, 20. Dezember 2011


Der "junge Kapitän" betritt die Brücke

Kim Jong Un folgt Großvater und Vater ***

Angesichts der offensichtlich angeschlagenen Gesundheit des »Geliebten Führers« wurde insbesondere in Südkorea bereits seit Jahren über die »Thronfolge« in der vermeintlich kommunistischen Dynastie im Norden der Halbinsel spekuliert. Südkoreanische Geheimdienste entließen keinen Überläufer aus dem Norden, ohne ihn ausgiebig zu seinem Wissen über Zustände und Vorgänge in der Familie Kim verhört zu haben. Drei Söhne hatte Kim Jong Il demnach, und jeder der drei wurde auch schon als wahrscheinlicher Nachfolger seines Vaters bezeichnet: Kim Jong Nam, Kim Jong Chol und Kim Jong Un. Während Jong Nam der zweiten Ehe seines Vaters entstammt, wurden seine jüngeren Halbrüder Jong Chol und Jong Un von dessen dritter Frau, der ehemaligen Tänzerin Ko Yong Hi, zur Welt gebracht. Die in Japan geborene Mutter war 2004 verstorben.

Der Japaner Kenji Fujimoto, der als Sushikoch im Hause der Kims gearbeitet hatte, zitierte seinen Chef später jedoch mit einem vernichtenden Urteil über Kim Jong Chol: »Der Junge schafft es nicht, er hat zu viel von einer Heulsuse.« Der Jüngste dagegen, Kim Jong Un, sei körperlich wie charakterlich geradezu das Ebenbild seines Vaters.

Seit Jong Uns Geburtstag im vergangenen Jahr zum Feiertag erklärt wurde, weiß man wenigstens, dass er an einem 8. Januar das Licht der Welt erblickte. Ob das indes 1982, 1983 oder 1984 war, ist noch unbekannt. Wie sein Bruder Jong Chol soll er unter falschem Namen eine Schule in der Schweiz besucht und sich als Basketballfan erwiesen haben. Im Anschluss, von 2002 bis 2007, habe er an der heimischen Militärakademie »Kim Il Sung« studiert, heißt es. Danach begleitete er seinen Vater immer wieder bei Besuchen von Militäreinheiten und wurde im April 2008 in die Nationale Verteidigungskommission berufen.

Nachdem die KDVR am 25. Mai 2009 ihren zweiten Atomwaffentest unternommen hatte, soll Kim Jong Il das Parlament, die Armee und die Botschafter seines Landes darüber informiert haben, dass er Jong Un zu seinem Nachfolger erkoren habe.

Bis dahin war außerhalb der KDVR nur ein Foto bekannt, das den jüngsten Kim-Sohn in früher Jugend zeigte. Das sollte sich in den folgenden Monaten ändern. Im September 2010 wurde Kim Jong Un von seinem Vater zum Viersternegeneral befördert und ins Zentralkomitee der Partei der Arbeit Koreas berufen. In deren Militärkommission fungierte er fortan als Vizechef. Die Medien priesen ihn seither als »brillanten Genossen « und nannten ihn den »jungen Kapitän«. Damit wurde auch im Ausland zur Gewissheit, dass die Nachfolgefrage in Pjöngjang geklärt war.

»Alle Parteimitglieder, Soldaten und die Gesellschaft sollten nun treu der Führerschaft des Genossen Kim Jong Un folgen und die vereinigte Front der Partei, der Streitkräfte und der Gesellschaft schützen und weiter stärken«, hieß es am Montag in einer Meldung der offiziellen Nachrichtenagentur KCNA, die im nordkoreanischen Fernsehen von einem weinenden Sprecher vorgetragen wurde. Sicherlich werden die Nordkoreaner demnächst auch eine offizielle Biografie ihres neuen Führers studieren müssen. Ob und inwieweit dieser Lebenslauf der Realität entsprechen wird, ist angesichts der Mythen und Legenden, die bisher um die Familie Kim gestrickt wurden, allerdings fraglich. Ebenso bleibt vorerst offen, ob der jüngste Kim den Machtapparat tatsächlich in dem Maße wie Großvater und Vater beherrscht.

*** Aus: neues deutschland, 20. Dezember 2011


Zäher Streit um Pjöngjangs Atomprogramm

Seit 2003 verhandeln sechs Staaten, seit April 2009 sind die Gespräche unterbrochen

Von Knut Mellenthin ****


Der Tod Kim Jong Ils wird die Wiederaufnahme der Sechsergespräche über das Atomprogramm Pjöngjangs vermutlich noch einmal verzögern. Die 2003 begonnenen Verhandlungen, an denen die beiden koreanischen Staaten, die USA, China, Russland und Japan teilnehmen, sind seit dem 14. April 2009 unterbrochen.

Damals war es Nordkorea, das seinen Rückzug von den Gesprächen erklärte. Anlass war die Verärgerung Pjöngjangs über die Verurteilung ihrer vorangegangenen Raketentests durch den UN-Sicherheitsrat. Tatsächlich hatte die KDVR mit diesen Versuchen nicht gegen internationale Verträge verstoßen. Am 16. April 2009 gab Pjöngjang die Ausweisung der Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA bekannt. Am 25. Mai desselben Jahres unternahm Nordkorea einen unterirdischen Atomversuch. Offiziell war es der zweite. Der erste am 9. Oktober 2006 war allerdings weithin angezweifelt und nicht ernst genommen worden. Ob die KDVR auch nur über eine einzige wirklich einsatzfähige, also in ein Trägersystem integrierbare Atomwaffe verfügt, ist nicht bekannt.

Aus Sicht Pjöngjangs war die Testexplosion vom 25. Mai 2009 eine Demonstration der Stärke, die den Weg zur Wiederaufnahme der seit Monaten festgefahrenen Sechsergespräche ebnen sollte. Am 5. Oktober 2009 berichtete die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua über eine entsprechende Mitteilung Kim Jong Ils an Chinas Premierminister Wen Jiabao. Seither widersetzen sich jedoch die USA und Südkorea der Rückkehr an den großen Verhandlungstisch, obwohl beide Staaten von Zeit zu Zeit bilaterale Gespräche mit Vertretern Pjöngjangs führen. Vor einem Neustart der Sechsergespräche verlangen die USA »Signale« für die »ehrliche Absicht « Nordkoreas, sein Atomprogramm und seine Nuklearwaffen zu demontieren, sowie nicht näher bezeichnete »spezielle und konkrete« Maßnahmen.

Die Regierung in Seoul fordert zudem, dass zunächst zwei Zwischenfälle des vorigen Jahres in ihrem Sinn »aufgeklärt« werden müssen. Gemeint ist nichts weniger als ein Schuldeingeständnis der KDVR. Es geht zum einen um den Untergang eines südkoreanischen Kriegsschiffs am 26. März 2010, bei dem 46 Besatzungsmitglieder ums Leben kamen. Nordkorea bestreitet jede Beteiligung; Untersuchungen kamen zu widersprüchlichen Ergebnissen.

Der zweite umstrittene Zwischenfall ereignete sich im November 2010: Nordkoreanische Artillerie beschoss aus Protest gegen ein südkoreanisches Marinemanöver die Insel Jonpjong und tötete dabei zwei Soldaten. Die Militärübung hatte in einem von beiden Seiten beanspruchten Seegebiet stattgefunden.

Inzwischen hat die KDVR einen bedeutenden Schritt getan, um ihr Verhandlungsinteresse zu unterstreichen: Am 24. August teilte sie nach einem Treffen zwischen Kim Jong Il und dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew mit, dass sie bereit sei, die Sechsergespräche mit einem Moratorium zu verknüpfen. Dieses soll Produktion und Erprobung von Atomwaffen und Raketen betreffen. Außerdem sei man bereit, auch die Urananreicherung in die Verhandlungen einzubeziehen. Nordkorea verfügt seit vorigem Jahr über eine entsprechende Anlage, in der es nach eigenen Angaben Brennstäbe für ein im Bau befindliches Atomkraftwerk produzieren will.

**** Aus: neues deutschland, 20. Dezember 2011


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