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Reden in Genf

Unterhändler Pjöngjangs und Washingtons versuchen erneut, den Streit über Nordkoreas Atomprogramm zu entschärfen

Von Rainer Werning *

Für den heutigen Montag (24. Okt.) und den morgigen Dienstag (25. Okt.) ist in Genf die zweite direkte Gesprächsrunde zwischen der Demokratischen Volksrepublik Korea und den USA innerhalb von drei Monaten vorgesehen. Dort will die Delegation Pjöngjangs unter Leitung von Vizeaußenminister Kim Kye Gwan mit den US-amerikanischen Sondergesandten Stephen Bosworth und Glyn Davies über die Wiederaufnahme der sogenannten Sechsergespräche beraten.

Dabei wird auch das für Washington sensible Thema behandelt, ob und in welcher Weise weitere sterbliche Überreste von im Koreakrieg (1950 bis 53) gefallenen GIs in die Heimat überführt werden. Die Zeit drängt zum Handeln; das kommende Jahr ist für alle Beteiligten gleichermaßen bedeutsam. In den USA und Südkorea stehen Wahlen an, während sich Pjöngjang auf pompöse Jubelfeiern anläßlich des 100. Geburtstags des Staatsgründers und »Präsidenten auf Ewigkeit«, Kim Il-Sung, im April 2012 vorbereitet.

Zur Lösung des seit Jahren schwelenden Konflikts um Nordkoreas Atomprogramm war 2003 auf Initiative der VR China die Bildung der Sechsergesprächsrunde zustande gekommen. Neben dem Gastgeber gehören ihr die beiden Korea, Japan, Rußland und die USA an. Mitte Februar 2007 herrschte in Peking kurzzeitig Euphorie. Im Kern hatte man sich damals auf eine Vereinbarung geeinigt, die Energielieferungen an die Volksrepublik vorsah, die dafür im Gegenzug den Atomreaktor in Jongbjon schließen sowie die Rückkehr von Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) gestatten sollte.

Bei der vereinbarten Maxime, dies abgestimmt und beidseitig umzusetzen, gab es die Schwierigkeit, sich zu einigen, wer den ersten Schritt unternimmt. Während Washington immer wieder Vorleistungen ins Gespräch brachte, wonach Nordkorea konkrete Abrüstungsmaßnahmen umsetzen sollte, beklagte sich die Regierung in Pjöngjang darüber, zugesagte Hilfslieferungen erfolgten nicht rechtzeitig oder blieben gänzlich aus. Um dieser Zwickmühle zu entkommen, setzte Pjöngjang auf eine Politik der Stärke, indem es Raketentests und nach eigenem Bekunden zwei Atomwaffenversuche durchführte. Die darauf einsetzende internationale Ächtung beantwortete Pjöngjang im Frühjahr 2009 mit dem Fernbleiben von den Sechsergesprächen.

Im vergangenen Jahr eskalierte der Konflikt, als am 26. März 2010 die südkoreanische Korvette »Cheonan« unterging und 46 Marinesoldaten den Tod fanden. Seoul ging mit Pjöngjang hart ins Gericht und beschuldigte das nordkoreanische Militär, das Schiff versenkt zu haben. Pjöngjang bezeichnete das postwendend als »fabrizierte Geschichte«. Am 23. November feuerten schließlich nordkoreanische Geschütze tödliche Schüsse auf die südkoreanische Insel Yeongpyeong ab. Dies, so betonte Pjöngjang, sei eine angemessene Reaktion auf wiederholte provokative US-südkoreanische Großmanöver an der umstrittenen Northern Limit Line (in der Grenzzone im Gelben Meer).

In Genf wird übrigens der US-Sondergesandte für die Atomgespräche mit Nordkorea und Exbotschafter seines Landes in Südkorea, Stephen Bosworth, Platz machen für den Karrierediplomaten Glyn Davies. Dieser war zuletzt Botschafter bei der IAEA in Wien. Aus Sicht der US-Regierung wird es um eine Deeskalation des Konflikts mit Pjöngjang gehen, wie denn im Gegenzug dessen Regierung unter Kim Jong Il darum bemüht ist, einen reibungslosen Wechsel in der Staats- und Parteiführung mit einer ebensolchen Inszenierung des Festaktes anläßlich des 100. Geburtstags von Kim Il Sung zu verbinden.

Der Verhandlungsposition Pjöngjangs kommt zugute, daß nicht nur dessen wichtigster Verbündeter, die VR China, sondern in der letzten Zeit auch Moskau sein Gewicht für Kim Jong Il in die Waagschale gelegt hat. Im August reiste Kim das erste Mal seit 2002 wieder zu einem öffentlichen Besuch nach Rußland, um dort mit Präsident Dmitri Medwedew eine engere Kooperation beider Länder zu vereinbaren. So hat man sich im Kreml bereit erklärt, eine Zugverbindung nach Nordkorea wieder in Betrieb zu nehmen, eine Gaspipeline dorthin zu verlegen und künftig gemeinsame russisch-nordkoreanische Seemanöver abzuhalten. Eine politische Aufwertung und wirtschaftliche Unterstützung, die der durch Naturkatastrophen und Nahrungsmittelknappheit arg gebeutelten Volksrepublik sehr entgegenkommt.

* Aus: junge Welt, 24. Oktober 2011


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