Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Familientreffen im Kymgangsan

Taut das Eis zwischen Nord- und Südkorea wieder?

Von Peter Kirschey *

Als Kinder oder Jugendliche wurden sie zwischen 1950 und 1953 im koreanischen Bürgerkrieg, voneinander getrennt. Als Senioren haben sie nun das Glück, sich für drei, vier Tage wieder begegnen zu dürfen. Zwischen dem 26. September und dem 1. Oktober soll das im Diamantgebirge (Kymgangsan) unmittelbar nördlich der Grenze zwischen Nord und Süd geschehen.

Je 100 Familienmitglieder aus Nord und Süd werden sich an großen runden Tischen in einer Halle gegenübersitzen, umringt von medizinischen Betreuern, Bewachern und Fotografen. Anhand alter Fotos werden sie einander wiedererkennen können und vielleicht erfahren, was aus ihren Familien in den vergangenen 55 Jahren geworden ist.

Es gibt keine genauen Angaben darüber, wie viele Familien während des Koreakriegs, der nach Schätzungen eine Million Todesopfer und eben so viele Verletzte forderte, auseinandergerissen wurden. Die Schätzungen schwanken zwischen 100 000 und 5 Millionen. Während in Nachkriegsdeutschland die familiären Bande selten abrissen, war die Trennung in Korea total: Die Waffenstillstandslinie am 38. Breitengrad wurde zu einer unüberwindlichen Barriere. Zwischen Nord und Süd gibt es keine privaten Telefonverbindungen, keinen Briefverkehr und keine Reisen zum Verwandtenbesuch. Weder Fotos noch Grüße fanden den Weg über Mauern und Zäune. Wer in den Wirren des Krieges auf die eine oder andere Seite geschlagen wurde, hat von seinen Angehörigen jenseits der Demarkationslinie seither nichts mehr gehört. Auch die Lebensbedingungen der anderen Seite blieben den getrennten Familien verborgen. Bis heute sind Fernseh- und Radioprogramme des feindlichen Nachbarn tabu.

Nur die Rot-Kreuz-Gesellschaften auf beiden Seiten erstellten Listen von vermissten oder verschollenen Angehörigen. Viele Nachforschungen verliefen im Sande, da es kaum überprüfbare Unterlagen gab. Dörfer und Städte wurden im Krieg ausradiert, die Bewohner siedelten sich an anderen Orten wieder an. Pjöngjang, die Hauptstadt des Nordens, war von amerikanischen Bomben zu 90 Prozent in Schutt und Asche gelegt. Wer nach 1953 dort wohnen durfte, das entschieden die Behörden. In Südkorea sorgte die rapide Industrialisierung der vergangenen 30 Jahre dafür, dass Dörfer ausstarben und der Großteil der Bevölkerung sich in Großstädten niederließ. Jeder vierte der 44 Millionen Südkoreaner lebt in der Hauptstadt Seoul. All dies macht die Rückverfolgung familiärer Spuren außerordentlich kompliziert.

Die ersten Nord-Süd-Familienbegegnungen fanden 2000, in der Zeit vorsichtiger Annäherung zwischen beiden Staaten statt. Bis 2007 trafen sich bei 13 solcher organisierten Begegnungen insgesamt 16 000 Koreaner. Besuche in den Heimatorten waren auch bei diesen Gelegenheiten nicht möglich. Mit dem Amtsantritt des konservativen Präsidenten Lee Myung Bak in Seoul 2008 begann jedoch wieder eine Eiszeit in den Beziehungen. Lee lehnte die »Sonnenscheinpolitik« seiner Vorgänger gegenüber dem Norden strikt ab und setzte auf einen harten Das löste in der KDVR neuerlich Kriegshysterie aus, die bescheidenen Erfolge des innerkoreanischen Dialogs schienen zunichte gemacht.

Doch seit einem Monat gibt es Signale vorsichtiger Öffnung aus dem Norden. Auch Besuche südkoreanischer Touristen im Diamantgebirge sollen wieder gestattet werden. Reisen von Nordkoreanern in den Süden bleiben jedoch ausgeschlossen.

* Aus: Neues Deutschland, 25. September 2009


Zurück zur Korea-Seite

Zurück zur Homepage